Wo Simmering dem Paradies ganz nah ist

Werner Jedletzberger, Gärtner in fünfter Generation
Ein Stückchen tropischer Urwald am östlichen Wiener Stadtrand.

Vom östlichen Stadtrand, da, wo die Großstadt ausfranst, gibt es gute Geschichten zu erzählen. Geschichten von Nachbarschaftshilfe, Arbeitsteilung und Familienbetrieben, die seit eineinhalb Jahrhunderten erfolgreich am Standort wirtschaften und nicht im Traum daran denken, den Verlockungen umtriebiger Immobilienentwickler nachzugeben. Denn unmoralische Angebote bekommen die Gärtner hier in Simmering jede Menge. Die Felder werden vom Rand her scheinbar angeknabbert. Die Häuser kommen immer näher. Aber noch ist die Stadt weit, auch wenn wir laut Stadtplan auf Wiener Stadtgebiet sind.

Hier hat die Gärtnerei Jedletzberger seit 1880 ihren Standort. In fünfter Generation hat Werner Jedletzberger vor eineinhalb Jahren vom Vater übernommen. Ein klassischer Familienbetrieb, in der Saison hat man fünf Mitarbeiter, die Fläche ist stetig gewachsen. Am Anfang wurde nur Gemüse am Feld angebaut, der Großvater hat dann mit den Blumen angefangen. Nelken, in niedrigen Nistbeetkästen. Die Eltern haben Ende der 1990er damit aufgehört. „Gute Qualität zu schaffen, ist schwierig. In Bogotá haben sie das ideale Klima, und zwar das ganze Jahr. Bei uns: Du setzt sie im Frühling, hast ein, zwei schöne Blüten. Im Sommer sind sie weich, im Herbst und im Winter brüchig und wenig“, sagt Werder Jedletzberger.

Wo Simmering dem Paradies ganz nah ist

Vorwitzige Rüssel

Seine Gärtnerei hat sich jetzt anderwärtig spezialisiert. Gräser, Schnittstauden, Beiwerk. Dort ein bisschen was, da ein bisschen was. Purpurglöckchen, Calla, Hortensien, Quitten, Schneerosen, Duftpelargonien, Pfingstrosen. Auch Lunaria, das Schillingblatt, gedeiht in Simmering, die Jedletzbergers gehören zu den wenigen, die das zarte Gewächs mit den silbrig-durchscheinenden Blättern noch anbauen. Vor allem aber Anthurien, diese exotischen Geschöpfe mit dem herzförmigen Blatt und dem vorwitzigen Rüssel. Mit Anthurien haben sich die Simmeringer Gärtner vor ein paar Jahren als Erste und bisher Einzige auf den österreichischen Markt getraut.

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Wie ein Punschkrapferl

Warm und feucht ist es hier, man vermisst nur exotisches Vogelgezwitscher. Anthurien, so weit das Auge reicht. Die meist handtellergroßen Blüten tragen Schattierungen von grün, rot bis pink, man könnte auch punschkrapferlfarben dazu sagen. Es ist wie im Paradies. Man vergisst kurz, dass man in einem Glashaus in Simmering steht. Und nicht im tropischen Urwald, dort kommen sie ursprünglich her. Ihr natürlicher Lebensraum ist das Unterholz. In Simmering hat man ihnen beste Bedingungen geschaffen. Sie wachsen hier auf aufgeschäumtem Kalkgestein, werden mit Regenwasser besprengt und mit Nützlingen vor Schädlingen beschützt.

Die Anthurien, erzählt Werner Jedletzberger, waren die Idee vom Papa. Nach den anstrengenden Nelken wollte er was anderes. In Holland erblickte Vater Jedletzberger die schönen Exotinnen und verliebte sich. Man scheute zunächst die hohen Anschaffungskosten. Ein Glashaus voll Anthurien kostet gleich einmal 100.000 Euro. Dazu kommt das Rundherum, Energieschirm und isolierte Wände. „Wir haben die Anthurien auf Risiko probiert, jetzt funktioniert das schon seit zwanzig Jahren“, erzählt Mama Christa. Was außerdem funktioniert, ist die Simmeringer Nachbarschaftszusammenarbeit. Die manifestiert sich etwa durch Kokosschnitzel.

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Viele Blumen, etwa die elegante Calla, wachsen auf mit Substrat gemischter Erde: Kokosschnitzel von den Nachbarn. Die bauen zunächst ihre Paradeiser, Gurken und Paprika auf Kokossubstrat an. Weil eine Kokosmatte für eine Kultur nur ein Jahr verwendet werden kann, wird sie im nächsten Jahr an den Nachbarn weitergegeben. So teilt man sich die Kosten. Doch nicht nur bei den Kokosmatten arbeitet man unter Simmeringer Gärtnern zusammen. Zuletzt hat Werner Jedletzberger mit den Nachbarn eine Hackschnitzelheizung für die Glashäuser gebaut. Rat holten sie sich bei den anderen Gärtnern, die damit schon Erfahrung hatten.

Perfekte Harmonie? Das war nicht immer so. Großvater Jedletzberger wusste da ganz andere Geschichten zu erzählen. Von wegen früher war alles besser.

4.600 gewerbliche Gärtner und Floristen gibt es in Österreich. Werner Jedletzberger, 37, ist einer von ihnen, und er kann sich auch nichts anderes vorstellen. Die Gärtnerei ist für ihn Vergangenheit und Zukunft. „Ich bin hier aufgewachsen, hab immer hier gewohnt. Das ist mein Leben.“

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