Tauben: Die gefiederten Rennpferde des kleinen Mannes

Tauben: Die gefiederten Rennpferde des kleinen Mannes
Heute fast vergessen, war die Taubenzucht einst ein überaus beliebtes Hobby der Wiener.

„Wer Tauben füttert, füttert Ratten.“ Dieser Satz gehört noch zu den eher charmanteren Dingen, die der typische Wiener über das graue Stadt-Federvieh zu sagen pflegt.

Dass Tauben ein derart schlechtes Image haben, ist aber erst ein relativ junges Phänomen. Bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Vögel in der Stadt sogar überaus beliebt. Und das nicht nur als Delikatesse oder Überbringer von schriftlichen Nachrichten.

„Vielmehr war es die Zucht sogenannter Schönheitstauben, die lange Zeit in Städten wie Wien ein weitverbreitetes Hobby war“, erzählt Andrea Dee. Die ehemalige Journalistin hielt früher in Penzing selbst bis zu 150 Tauben und schrieb ein Buch zum Thema. Heute betreibt Dee ein kleines zoologisches Museum im niederösterreichischen Kirchstetten.

Teils aus wissenschaftlichem Interesse, aus Tierliebe oder schlicht zum Zeitvertreib wurden Tauben schon vor Jahrhunderten gezüchtet. „Bereits im 18. Jahrhundert gab es unzählige Rassen, bei denen es – ähnlich wie bei Hunden – auf verschiedene Eigenschaften ankam“, sagt die Expertin. Sei es eine besonders schöne Federzeichnung, bestimmte Flugeigenschaften oder spezielle Laute, die das Tier von sich gibt.

Wiener Fluggansel

Und so kam es, dass sich regional eigene Rassen herausbildeten. Etwa die Wiener Fluggansel, deren Federzeichnung an eine Pommerngans erinnert. Sie gehört zu den Wiener Hochfliegern, deren Name bereits auf ihre Flugeigenschaften hinweist: Sie können sich bis zu 2.000 Meter hoch in die Luft schwingen.

Tauben: Die gefiederten Rennpferde des kleinen Mannes

Das mussten die gerne als „Rennpferde des kleinen Mannes“ bezeichneten Tiere oft auch in Wettbewerben unter Beweis stellen. Ein Brauch, der 2019 von der UNESCO sogar zum immateriellen Kulturerbe geadelt wurde. Im Tiergarten Schönbrunn wird zudem eine Erhaltungszucht betrieben.

Professioneller Ernst

Die Taubenzucht war (und ist es in kleineren Maßstab auch heute noch) ein Hobby, das mit einer bemerkenswerten Ernsthaftigkeit betrieben wurde. Expertin Dee berichtet von zahlreichen Taubenzucht-Vereinen, die in Wien beheimatet waren.

Die Züchter trafen sich regelmäßig in den Extrazimmern von Gasthäusern, die oft mit Bildern der verschiedenen Taubenrassen, Urkunden und Porträts verdienter Züchter aufwendig dekoriert waren.

Es gab aber auch Wettbewerbe, bei denen Aussehen und Eigenschaften der Vögel prämiert wurden, einschlägige Fachzeitschriften und nicht zuletzt spezielle Taubenmärkte. „Dort traf man sich regelmäßig, um Tiere zu kaufen, zu verkaufen oder zu tauschen“, sagt Dee.

Tauben: Die gefiederten Rennpferde des kleinen Mannes

Taubenmarkt in Meidling

Einer der wohl bekanntesten befand sich in der Zwischenkriegszeit beim Gasthaus Strohmayer in der Meidlinger Aichhorngasse. Wirt Eduard Strohmayer galt damals als eine der großen Persönlichkeiten der Wiener Taubenzucht-Szene.

Die historischen Aufnahmen beweisen es: Taubenzucht war vor allem ein Zeitvertreib für Männer. Entgegen einer weitverbreiteten Vorstellung war sie aber keineswegs ein Hobby ärmerer Gesellschaftsschichten. „Allein schon das Futter war für die damalige Zeit so kostspielig, dass sich das nicht jeder leisten konnte“, sagt Dee.

Taubenschlag

Hinzu kommt die aufwendige Haltung. Anders als etwa Singvögel können Tauben nicht in Käfigen gehalten werden. Üblich war daher ein Gartenschlag samt Voliere oder ein Dachschlag in einem Wohnhaus-Dachboden, der oft von mehreren Züchtern gemeinsam betreut wurde.

Zwar gibt es heute noch einige Vereine, die sich der Zucht der Vögel widmen, die große Zeit dieses Hobbys ist aber vorbei. Einer der letzten Taubenmärkte hat laut Dee bis vor wenigen Jahren beim ehemaligen Gasthaus „Goldener Hirsch“ in Penzing existiert.

„Der Bedeutungsverlust hat vor allem mit dem veränderten Freizeit-Verhalten zu tun“, sagt die Expertin. „Wer in den Urlaub fahren will, kann sich nicht um die Tauben kümmern.“ Und ein Taubenschlag im eigenen Wohnhaus würde auch nicht mehr zu den heutigen urbanen Hygiene-Standards passen.

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