Straße in Wien bleibt nach NS-Botanikerin benannt
„Fehler können passieren. Man muss aber zu ihnen stehen“, räumt der Wiener Historiker Oliver Rathkolb ein, der sich fast einem Jahrzehnt wissenschaftlich mit den Wiener Straßennamen beschäftigt. Trotz der breiten Debatte, die seitdem über die Benennung von Verkehrsflächen nach historisch problematischen Personen geführt wurde, unterlief der Stadt noch 2018 eine unangenehme Panne: In Meidling benannte sie einen Weg nach Lore Kutschera (1917 bis 2008).
Was damals übersehen wurde: Die renommierte Botanikerin engagierte sich seit Beginn der 30er-Jahre an führender Stelle in diversen NS-Organisationen – vom Bund Deutscher Mädel (BDM) bis hin zu NS-Studentengruppierungen (der KURIER berichtete).
Erst jetzt brachten Recherchen der Historikerin Lisa Rettl die braunen Flecken in Kutscheras Biografie zutage. „Wie viele andere hat sie nach 1945 ein zweites Leben begonnen“, schildert Rathkolb. In den zahlreichen biografischen Einträgen zu ihr hätten sich keine Hinweise auf ihre politischen Verstrickungen gefunden. Diese lieferte erst der SS-Akt ihres Ehemanns, den Rettl entdeckt habe. Dort fand sich ein Protokoll, in dem Kutschera selbst auf ihre Aktivitäten in den diversen NS-Organisationen hinweist.
Kutscheras Fall ist nun in einem neuen Buch dokumentiert, das am Mittwoch vorgestellt wurde. Es handelt sich um den Ergänzungsband zu der Publikation „Umstrittene Straßennamen“, die Rathkolb und Kollegen 2014 herausgebracht haben.
Wie berichtet, hat der Historiker Peter Autengruber die Umbenennung des Lore-Kutschera-Wegs gefordert. Dazu wird es aber nicht kommen, betont Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ).
Wie die anderen problematischen Straßennamen auch soll er eine erklärende Zusatztafel bekommen.
Mohren-Debatte
Ihren Namen werden auch die Große und Kleine Mohrengasse im 2. Bezirk behalten, die unter dem Kapitel „Kolonialismus“ im Ergänzungsband abgehandelt werden. Im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste wurden in Wien Stimmen laut, die beiden Gassen umzubenennen, weil „Mohr“ eine rassistische Bezeichnung sei.
Historiker Walter Sauer hat für den Ergänzungsband recherchiert, dass die Geschichte des Begriffs wesentlich vielschichtiger und komplexer ist. Ursprünglich seien damit nicht nur Dunkelhäutige, sondern auch Muslime gemeint gewesen. Er sei zunächst auch nicht abwertend verwendet worden, wie etwa das Beispiel des Mohren unter den Heiligen Drei Königen zeigen würde. Erst in der Neuzeit, während der Blüte des Sklavenhandels, habe der Begriff eine negative rassistische Bedeutung bekommen.
All das in eine erklärende Zusatztafel zu packen, wird freilich etwas schwierig werden, wie Kaup-Hasler einräumt. Man überlege noch ein passendes Format für die Hinweistexte in den Mohrengassen.
Gegen eine Umbenennung würden aber auch ganz pragmatische Gründe sprechen: „In der Großen und Kleinen Mohrengasse befinden sich insgesamt 500 Adressen“, rechnet die Stadträtin vor. Man müsse auch berücksichtigen, was eine Umbenennung für die betroffenen Bewohner bedeuten würde.
Mit den Straßennamen ist die historische Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen. In einem nächsten Schritt sollen auch Ehrengräber oder Namen von Gemeindebauten untersucht werden, kündigt Kaup-Hasler an.
Grundsätze
Da Straßennamen der Orientierung dienen, erfolgt die Benennung tendenziell nach Personen mit kürzeren Namen, schildert SPÖ-Gemeinderat Georg Niedermühlbichler, Vorsitzender des zuständigen Unterausschusses. Jeder könne eine Benennung vorschlagen, die Entscheidung falle aber in Abstimmung mit dem Bezirk. Den Beschluss fasst der Gemeinderat
Prüfung
Für das Prüfverfahren, in dem geklärt wird, ob eine Benennung nach einer bestimmten Person möglich ist, ist die Kulturabteilung (MA7) zuständig
6.696 Verkehrsflächen
gibt es in Wien. Davon sind 4.249 nach Personen benannt. Im Zuge der Recherchen der vergangenen Jahre wurden rund 190 als problematisch eingestuft
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