PCR-Tests: Sieben Lehren aus einem Jahr „Alles gurgelt“
Österreich ist Europameister im PCR-Testen – hauptsächlich wegen des Wiener Systems „Alles gurgelt“ bei dem mittlerweile 1,6 Millionen Tests pro Woche ausgewertet werden. In den vergangenen Tagen kam es auch zu vermehrter Berichterstattung in deutschen Medien. Angesichts der dort herrschenden Testknappheit wurde sogar von einem „Wiener PCR-Wunder“ gesprochen, schließlich werden in Wien innerhalb einer Woche mehr Tests ausgewertet als in ganz Deutschland. „Alles gurgelt“-Partner Lead Horizon will darum dorthin expandieren.
Tatsächlich ist das Projekt aber kein Wunder, viel mehr wird seit einem Jahr am Erfolg gearbeitet. Immer wieder müssen Schrauben nachgezogen werden. Daraus können mehrere Lehren gezogen werden.
1. Man braucht immer etwas in der Hinterhand
Das politische Bekenntnis zum Projekt hat wesentlich zum Erfolg beigetragen“, sagt Thomas Starlinger, der als Leiter des Expertengremiums „Future Operations Plattform“ der Kopf von „Alles gurgelt“ ist. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sei von Anfang an ein Treiber gewesen, so Starlinger, weil dieser sich nicht nur auf das Impfen verlassen wollte, sondern als Back-up auch auf das Testen.
2. Ein Start ist der Beginn eines langen Prozesses
Seit Projektstart vor einem Jahr gibt es ausnahmslos jeden Dienstag von 17 bis 20 Uhr eine Besprechung mit allen Projektpartnern – also inklusive der Chefs vom Labor Lifebrain, Rewe oder auch der Post. Vertreten lasse sich jemand nur in absoluten Ausnahmefällen, heißt es. Besprochen wird dabei nicht nur, was man adaptieren müsse, es wird auch „jedem verlorenen Testkit und jedem nicht abgeholten Sack nachgegangen“, so Starlinger.
3. Nicht jeder kann gut mit Smartphones umgehen
Gemütlich auf der Couch gurgeln – möglich macht das ein Smartphone und ist damit für jeden gut durchführbar. So war zumindest die Annahme. Man musste allerdings schon bald feststellen, dass vielen, insbesondere älteren Menschen, die Handhabe zu kompliziert war. Ende Mai wurden darum Gurgelboxen geschaffen, damit man auch ohne Handy am Programm teilnehmen konnte. Nach wie vor werden rund 19.000 PCR-Tests pro Woche in Boxen oder bei Teststraßen gemacht.
Abholen
Alle Wiener können Test-Sets mit einem Barcode in allen
Bipa-Filialen in Wien abholen
Abgeben
Die Tests können zu Hause durchgeführt werden und u. a.
in jeder Rewe-Filiale abgegeben werden
Auswertung
Wenn man vor 9 Uhr den Test abgibt, erhält man das Ergebnis innerhalb von 24 Stunden per eMail.
4. Hauptsache, alles im Hauspatschenradius
Dass „Alles gurgelt“ so gut angenommen werde, begründe sich auch darin, dass es sich problemlos in den Alltag integrieren lasse, sagt Margaretha Gansterer, Logistikprofessorin an der Uni Klagenfurt und Teil von „Future Operations“. Die Abgabestellen wurden darum kontinuierlich aufgestockt, von anfangs 150 auf mittlerweile rund 600. Dass der Bequemlichkeitsfaktor nicht zu unterschätzen sei, habe sich zuvor bei den Massentests in entlegenen Teststraßen im Dezember 2020 gezeigt, sagt Gansterer. Es haben nur 13,5 Prozent der Bevölkerung daran teilgenommen.
5. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Die Tests werden regelmäßig auf ihre Tauglichkeit geprüft – und zwar wöchentlich vom AKH Wien und der Medizinischen Fakultät Linz. So soll sichergestellt werden, dass auch neue Virusvarianten erkannt werden. Außerdem kommt es zu konsequentem Monitoring und Sequenzierungen der Tests, heißt es aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). In Wien wusste man dadurch bereits am 26. Dezember 2021, dass die Omikron-Variante dominant ist, bevor es für den Rest Österreichs Zahlen gab.
6. Menschen wollen aktiv etwas beitragen
„Das Gurgeln hat der Bevölkerung in einer Situation hoher Unsicherheit das Gefühl gegeben, selbst etwas kontrollieren zu können“, sagt Barbara Schober, Psychologie-Professorin an der Uni Wien. Es sei nachvollziehbar vermittelt worden, dass man als Einzelner etwas zur Pandemiebekämpfung beitragen und sich und seine Mitmenschen schützen kann. Das habe außerdem einen vertrauensbildenden Effekt gehabt, so Schober, weil die Menschen das Gefühl hatten, man „sei der Politik nicht egal.“
7. Unternehmen sind ein wichtiger Teil des Alltags
Auch die Wiener Betriebe waren stark in die Entwicklung eingebunden – auch abseits der Projektpartner. „Das Interesse der Unternehmen war bereits in der Pilotphase sehr hoch. Mehr als 5.500 Betriebe haben sich beteiligt“, sagt Walter Ruck, Präsident der stark involvierten Wirtschaftskammer Wien. Dort wurde das System getestet. Und in der Anfangsphase gab es in vielen Unternehmen Abgabestellen, da Mitarbeiter so keine zusätzlichen Wege machen mussten. Außerdem konnte so auch Einpendlern aus den umliegenden Bundesländern das Gurgeln ermöglicht werden.
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