Lanz über Wiener Gurgeltests: "Also PCR für Fortgeschrittene"
*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
In Deutschland blickt man derzeit staunend nach Österreich. Erstens wegen der nun beschlossenen Impfpflicht, und zweitens aufgrund der hohen PCR-Testkapazitäten in Wien. Am Dienstag war das auch bei „Markus Lanz“ Thema, somit ist klar, dass jetzt quasi offiziell darüber diskutiert wird. Mindestens.
Zunächst ging es aber in der, so Markus Lanz, "picke-packe vollen" ZDF-Talkshow noch um den CDU-Chef der Woche, den frisch gekürten Friedrich Merz. Ob denn der auch den CDU-Fraktionsvorsitz übernehmen sollte, dazu tauschten einander Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, und die Journalistin Cerstin Gammelin aus.
„Das wird ein Spaß“, schloss Lanz diesen Diskussionsteil ab. „Jetzt aber zu den ernsthaften, wirklich wichtigen Dingen …“
„P … C … R.“
PCR-Tests werden knapp
Deutschland gehen die PCR-Tests aus, habe Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kürzlich verkündet, natürlich bei Lanz.
Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer sah „ein hausgemachtes, typisch deutsches Problem“. Nur Fachärzte für Labormedizin dürften PCR-Tests durchführen, obwohl auch Humangenetiker oder Veterinärmediziner mit der Technologie umgehen könnten. Das sei eine „zünftisch-ständische Organisation“ wie aus dem 18. Jahrhundert, polemisierte Palmer.
Gammelin sah sich an die Diskussion um die Impfung durch Apotheker erinnert. „Anstatt alle, die es können, das auch machen zu lassen, wird sich wieder hinter Qualitätsstandards versteckt“, sagte sie.
Der Virologe Hendrik Streeck, nach Lauterbach Lanzens liebster Pandemieerklärer, gibt Palmer zum Teil recht. Das Hauptproblem sieht er aber in der Beschaffung von Reagenzien und des benötigten Plastikmaterials.
Ministerpräsident Günther bestätigt, dass die PCR-Tests knapper werden, und die Labors in Schleswig-Holstein mittlerweile am Limit arbeiten. Die bisherige Strategie sei aber eben auf Schnelltests ausgerichtet gewesen, diese würden ebenfalls „hohe Zuverlässigkeit“ bieten.
Gammelin fragt sich hingegen, warum noch immer dieselben Schnelltests in Gebrauch sind. Während Wien so viele PCR-Tests durchführe. Die Journalistin: „Warum geht das in Wien und nicht in Deutschland?“
Streeck: PCR nur bei Symptomen sinnvoll
Streeck meinte, ein Umstieg auf Gurgeltests sei möglich, die Umsetzung wäre "nicht so das Problem“. Die andere Frage sei: „Wollen wir das?“
„Anlassloses Testen kann auch Probleme bringen“, erklärt der Bonner Virologe. PCR könne noch Wochen später anschlagen, weil sich noch immer mRNA im Rachenraum befinden, obwohl man längst nicht mehr infektiös sei.
„Der Schnelltest kann schon mal eine Infektion übersehen. Aber man findet sehr gut den infektiösen Zeitpunkt, vor allem wenn man es häufig macht“, sagt Streeck. „Beim Abfall der Viruslast ist es auch relativ zuverlässig, dass dieser Antigentest nicht mehr anschlägt.“
Er kommt zu dem Schluss, dass „der Antigentest eigentlich besser ist, wenngleich er schlechter in der Sensitivität ist.“ PCR sei beim Auftreten von Symptomen "als Ausschlusstest natürlich wichtig".
PCR-Test nur bei Symptomen: Aus österreichischer Sicht fühlt man sich bei diesen Aussagen noch an die Anfangszeit der Pandemie erinnert.
Daher nun Auftritt Corinna Milborn. Die Puls4-Infochefin war zugeschaltet.
Lanz sagte zur Einleitung: "In Wien wird an einem Tag doppelt soviel getestet wie in ganz Deutschland. Wieviel kostet das und wie funktioniert das?“
Wie es in Wien läuft
Milborn erklärte das, was man hierzulande natürlich schon weiß. Wien führe im Schnitt 300.000 Tests pro Tag durch. „In Österreich hat man schon früh auf PCR-Tests gesetzt, vor allem in Wien. Die Kapazitäten wurden auch früher ausgebaut.“
Dann widerlegte sie im Vorbeigehen die Zweifel von Streeck. „Dass der PCR-Test noch länger anschlägt, ist kein Problem. Sollte man positiv sein, wird der Ct-Wert mit ausgeworfen. Wenn der Ct-Wert über 30 ist, kann man sich wieder frei bewegen und wieder arbeiten gehen.“
Lanz, anerkennend: "Also PCR für Fortgeschrittene …"
Milborn fügte noch an, dass in Wien auch auf die verschiedenen Virusvarianten geprüft werde.
Wie das alles gelingt? Die Gurgeltests seien in Wien erfunden worden, „und die werden auch eingesetzt.“ Daher würden die meisten Menschen zuhause PCR-Tests machen. Sie erklärte auch das Prinzip: Vor dem Handy gurgeln, ins Röhrchen spucken, Foto machen, bei Supermarkt oder Tankstelle einwerfen, zwölf Stunden später hat man meistens das Ergebnis.
„Die Leute testen regelmäßig, um sicherzugehen“ und sei „wirklich einfach und im vergleich zu Deutschland wirklich billig“, sagte Milborn. In Wien koste ein Test 6 Euro, in Deutschland koste allein die Laborarbeit pro Test 40 Euro.
„Insgesamt sind wir bei knapp 52 Euro“, assistierte Lanz.
Jetzt lobte Streeck: „Das ist sehr pragmatisch gelöst in Österreich, das muss man einfach mal sagen.“
Den geringeren Preis erklärt er mit dem Pooling (also gleichzeitiger Überprüfung von zum Beispiel zehn Speichelproben), und dass man so mehr auf Maschinen setzen könne, das sei „immer billiger“.
Lanz: „Haben wir keine gute Strategie?“
Günther meinte, die Antigentests würden auch eine Übersicht liefern, wo man ungefähr stehe, man habe in Deutschland einfach „pragmatisch gehandelt“.
Impfpflicht-Debatte
Milborn sollte dann auch noch über die österreichische Impfpflicht berichten. Diese gelte schon ab 1. Februar, eine Million Österreicher würden dann „mit einem Bein in der Illegalität“ stehen.
Lanz sprach die Proteste in Österreich an, die es sonst nicht häufig gebe.
Milborn bestätigte, dass die Impfpflicht „sehr polarisiert“ habe, es könne aber sein, „dass es jetzt abflaut, da es beschlossen ist.“ Falls ab 15. März tatsächlich gestraft werde, könne es aber wieder zu mehr Widerstand kommen. Aber, so meinte Milborn, „ehrlich gesagt, die Regierung hofft darauf, dass es nicht so weit kommt.“
Wundern über Deutschland
Lanz zitierte Milborns einleitenden Thesensatz: „Wir in Österreich wundern uns, wie entscheidungsschwach dieses deutsche politische System manchmal wirkt.“
Milborn erklärte: „Wir haben immer so den Eindruck, dass Deutschland das Land ist, das perfekt organisiert ist, dass etwas durchgezogen wird. In dieser Pandemie ist es tatsächlich nicht so.“
Sie nannte als Beispiel die lange Diskussion um die Maskenpflicht in Deutschland, „bei der Impfrate steht Deutschland auch nicht besser da“, das PCR-Testsystem sei weit schlechter ausgebaut, die Impfpflicht sei in Österreich ebenso schneller beschlossen worden. Hier schränkte sie aber ein: „Ohne die Details zu kennen, das war vielleicht nicht die beste Idee.“
Günther spricht sich konsequent für eine Impfpflicht ab 18 aus, Österreich gehe den richtigen Weg, er wünscht sich, „dass wir schneller vorankommen“. Die Impfpflicht sieht er als „einzigen Weg, um die Grundrechte für Geboosterte wiederherzustellen.“
"Schnauze voll!"
Grünen-Politiker Palmer ging hier noch einen Schritt weiter. Er will mit der Einführung einer Impfpflicht in Deutschland alle Corona-Maßnahmen beendet sehen. „Wir brauchen jetzt etwas anderes als eine durchbürokratisierte Einzelfallregelung, die absurde Auswüchse erzeugt. Ich habe jetzt die Schnauze voll!“
Mit einer ausreichenden Immunisierung gebe es weder eine Überlastung der kritischen Infrastruktur noch einen Grund für weitere Grundrechtseingriffe. Dabei reiche eine Impfpflicht für Menschen ab 50 völlig aus, weil 90 Prozent der Corona-Patienten in den Krankenhäusern 50 Jahre und älter seien, meinte Palmer.
Das negative Image der Impfpflicht kann er nicht nachvollziehen. "Pflichterfüllung ist für mich eine Tugend“, meint der Grüne.
"Können Pandemie nicht wegimpfen“
Streeck zeigte sich hingegen skeptisch, und wurde seinem Ruf der Bild-Zeitungsgerechten Sprache einmal mehr gerecht. „Wir können dadurch die Pandemie nicht wegimpfen“, Er sei sich nicht sicher, ob eine Impfpflicht in Deutschland „überhaupt nötig“ ist. Streeck: „Wir impfen jetzt gegen eine Variante, die es praktisch gar nicht mehr gibt.“ Gegen die Ansteckung mit Omikron erziele die Impfung "keine richtige Schutzwirkung“.
Dass der Schutz vor schweren Verläufen aber weiterhin gegeben ist, erwähnte Streeck, der neuerdings Mitglied des Expertenrates der deutschen Bundesregierung ist, nicht.
„Wir schützen aber das System vor Überlastung“, wandte Palmer ein.
Hierzu meinte Streeck, es gelte vielmehr das Personalproblem im Gesundheitssystem in den Griff zu bekommen.
Ein nicht besonders virologischer, sondern ziemlich politischer Standpunkt.
Impf- und Genesenenstatus gleichstellen
Streeck forderte zudem eine Gleichstellung des Genesenenstatus mit dem Impfstatus. „Der Genesenenstatus wird stiefmütterlich behandelt“, meinte er. Studien (vor Omikron) würden zeigen, dass eine Reinfektion nach frühestens 300 Tagen geschieht.
Zudem müsse man in Zukunft auch Antikörpertests als Nachweis für den Genesenenstatus akzeptieren. Schließlich brauche es noch eine große Studie, um herauszufinden, wie viele Menschen aktuell wirklich nicht geschützt seien. „Da haben wir keine Ahnung“, meinte Streeck. „Wir wollen eine Impfschutzquote erreichen, wissen aber gar nicht, wie viele Leute diesen Schutz schon haben.“
Dann wurde Lanz richtig emotional. Als er darauf zu sprechen kam, dass das Robert-Koch-Institut den Genesenenstatus für den Grünen Pass quasi über Nacht auf drei Monate hinuntergesetzt habe, kommentierte er: „Ich versteh' das nicht!“ Diese „erratische Kommunikation“ von Behördenseite würde für Unsicherheit in der deutschen Bevölkerung sorgen.
Lanz wollte wissen, was Streeck hierzu aus dem Expertenrat berichten könne.
Dort habe man Verschwiegenheit vereinbart, erklärte Streeck.
Wenn es gegen die Impfpflicht geht, ist Streeck aber gar nicht verschwiegen. Er lieferte noch ein weiteres Argument dagegen: „Gesundheitsvorsorge wurde immer als etwas Persönliches gesehen.“ In der Omikronwelle sieht er keinen Grund, daran etwas zu ändern.
"Nicht auf Studie warten"
Palmer schmierte nun Streeck etwas Honig um den Mund. Er habe dessen Auftritte bei Lanz immer gern gesehen, „damit das Panikorchester nicht allzu laut spielt“. Er habe Medienberichte gelesen, die nur zur Vernichtung Streecks gedacht gewesen seien, „jetzt sitzt er im Expertenrat, ist rehabilitiert.“
Jetzt kam aber das große Aber. „Ich kann nicht ein halbes Jahr auf die nächste Studie warten“, sagte Palmer, „jetzt muss es mit der Impfpflicht einmal klargezogen werden.“
Milborn ausgeblendet
Und wo war eigentlich Corinna Milborn? Sie hätte sicher noch etwas zur Debatte beitragen können. Aber Lanz zog es vor, sie nur für zwei Statements, wie eine Art Korrespondentin aus Wien, zuzuschalten. Danach wurde der Bildschirm, auf dem sie zu sehen war, nicht mehr eingeblendet.
Auch das ist aus österreichischer Sicht etwas schwer verständlich.
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