Corona-Debatten auf ORF und ServusTV: Lieber fad als "Einstiegsdroge"
*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
Zum Start des neuen TV-Tagebuch-Jahres starten wir einmal mit besonders viel Meinung .
Weil Zahlen derzeit so allgegenwärtig sind, versuchen wir eine Einteilung. Sagen wir, es sind 70 Prozent Meinung mit etwas (hoffentlich) Satire, 30 Prozent Zitate, also (hoffentlich) Fakten.
Servus-TV-Chef Ferdinand Wegscheider kam am Sonntag in seinem Wochenkommentar bei konservativer Schätzung auf einen Wert von 85 Prozent Meinung, 10 Prozent Fakten und 5 Prozent Satire. Der satirische Gehalt erschöpfte sich dabei im Hochhalten der obligatorischen Gauklerhandpuppe. Dabei verspricht Wegscheider doch beharrlich, es handle sich um einen "satirischen Wochenrückblick".
In eigener Sache
Diesmal wirkte „Der Wegscheider“ wie eine achtminütige Verteidigungsrede in eigener Sache.
Zunächst gab er gleich einmal Entwarnung für alle, die geglaubt haben, er sei still und leise von der Bildfläche verschwunden. Die Weihnachtspause dauerte diesmal mehr als einen Monat.
Tief durchatmen.
Inzwischen gab es laut Wegscheider eine „konzertierte und äußerst leicht durchschaubare Aktion des medialen Establishments, das gerade versucht, die Corona-Krise zu nutzen, um mit haltlosen Vorwürfen einen lästigen Konkurrenten loszuwerden.“
Gemeint sind eine Beschwerde des Presseclub Concordia - und mehrere kritische Artikel „linker Medien“, wie Wegscheider sagte. Kleines Hoppala: Dazu wurde ein Artikel der Neuen Zürcher Zeitung eingeblendet, wahrlich kein bolschewistisches Kampfblatt. Selbst die bürgerlich-liberale - für manche auch rechtskonservative - Traditionszeitung titelte: „Servus-TV ist die neue Einstiegsdroge für Corona-Leugner“. In der Unterzeile hieß es übrigens: „Er ist Österreichs reichster Mann, und jetzt lässt Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz auf seinem Fernsehsender Fake News und Verschwörungstheorien über die Corona-Pandemie verbreiten. Die Frage ist, warum.“
Wegscheider sieht die Verbreitung von Fake News freilich auf Seiten des „medialen Establishments“ und sich und ServusTV als Kämpfer für die Wahrheit.
Ex-"Bild"-Chef gegen den Mainstream
Einem kleinen, aufstrebenden Sender sei diese „Einer gegen alle“-Masche ja zugestanden. Deutlich skurriler wird es, wenn unmittelbar danach, einer, der vor Kurzem noch Deutschlands auflagenstärkste Tageszeitung leitete, sich via ServusTV als Kämpfer gegen den medialen Mainstream betätigt.
Julian Reichelt, geschasster „Bild“-Chefredakteur, war in der Diskussionssendung „Links. Rechts. Mitte“ zu Gast. „Alle haben vermutet, er geht zu ServusTV“, sagte die ziemlich begeisterte Moderatorin Katrin Prähauser einleitend, „und richtig, er ist da. Er ist unser Gast.“
Reichelt wies in einer seltsam langen Interviewstrecke im Mittelteil der Debatte den Vorwurf des Machtmissbrauchs gegenüber Frauen als "perfiden, erfundenen Quatsch" zurück. "Ich glaube tatsächlich, dass ich dazu beigetragen habe, an ganz vielen Positionen Frauenkarrieren bei Axel Springer und 'Bild' zu ermöglichen, die vorher leider nicht möglich waren", behauptete Reichelt.
Dies hat im Laufe der Affäre eigentlich niemand bestritten.
Linke Agitation
Die Entscheidung für seinen Rauswurf sei "in einem furchterregenden Klima" getroffen worden. "Ich glaube durchaus, dass es ein politisches Klima gibt, in dem man dankbar dafür ist, dass kritische Stimmen verstummen", sagte Reichelt. Er ortete die Außerkraftsetzung der Unschuldsvermutung als "beliebtes Instrument linker Agitation“.
Man beachte die Parallelität zur Argumentationslinie Wegscheiders. Der Servus-Chef hatte sich davor noch über den Beruf „Faktenchecker“ lustig gemacht, Reichelt griff einen solchen gleich direkt an.
David Schraven, Gründer der deutschen Faktencheck- und Rechercheplattform Correctiv, hatte Anfang Dezember auf Twitter einen Wechsel Reichelts zu ServusTV in den Raum gestellt. Der Ex-Bild-Chefredakteur spottete: "Der liegt abends auf der Couch und schreibt, was ihm einfällt, was aber eine frei erfundene Behauptung ist.“
Reichelt arbeitet nun an einer neuen Plattform. Er möchte künftig "Journalismus, wie er sein sollte, der nach den Fakten sucht und sagt, was ist" machen. Das sei zu einer "Marktlücke" geworden. Dieser angeblichen Lücke widmen sich seit Jahren Mateschitz-Portale wie Addendum (Slogan: „Das, was fehlt“) oder aktuell Der Pragmaticus. Ob Reichelt in irgendeiner Form mit seinem geplanten Portal in der Mateschitz-Medienwelt andockt? Nach diesem Auftritt ist es sicher nicht unwahrscheinlicher geworden.
Hitzige Diskussion
Ja, diskutiert wurde auch noch - und das ziemlich hitzig. Leider ohne die souveräne Journalismus-Doyenne Anneliese Rohrer, die sich wegen Erkrankung entschuldigt hatte.
Ex-Bild-Macher Reichelt vergaß nicht auf die Trigger-Worte „Cancel Culture" und "Woke-Wahnsinn“. Er vertrat die These, dass Omikron kein „überragendes Übel“ darstelle, welches die Einführung einer Impfpflicht rechtfertige. Er bezeichnete es als „einen der spannendsten politischen Trends, der aus dieser Corona-Krise hervorgehen wird: Dass manche Menschen die natürlich nutzen wollen, um unsere Gesellschaften fundamental umzubauen.“
Das geht verdächtig nahe in Richtung „Plandemie“-Vorstellungen. Zudem war mit Julia Neigel eine Diskutantin zu Gast, die lediglich als Sängerin vorgestellt wurde. Was sie ansonsten zur Verbreitung von angeblichen Fakten zur Corona-Krise qualifiziert, wurde nicht erklärt. So bleibt der Eindruck übrig, dass eine Nähe zur Ausrichtung von ServusTV schon ausreicht, um eingeladen zu werden. Sie kritisierte, "dass die Presse weniger ihren journalistischen Kodex gelebt hat als einen Haltungs- und Meinungsjournalismus.“
Datenverdrehung
Augenfällig ist, dass gerade jene, die „Meinungsjournalismus“ unterstellen, selbst ihre Faktenbasis bevorzugt auf Meinung aufbauen. Neigel vertrat zum Teil haarsträubende Thesen ohne Quellenangabe ("man munkelt").
Dem trat in der Runde vor allem der Mathematiker Peter Markowich entgegen. Er widersprach zum Beispiel Reichelts Behauptung, wonach "niemand" an Omikron sterbe. "Natürlich sterben Menschen an Omikron", so Markowich und attestierte dem Ex-Bild-Chefredakteur "massive Datenverdrehung“.
Markowich ließ sich immer wieder in aussichtslose Scharmützel von Aussage gegen Aussage verwickeln. Streckenweise konnte man der Diskussion nicht mehr folgen, manche Frage blieb deshalb auch unbeantwortet. Diskussionsleiterin Prähauser trug wenig zur Klärung bei, diskutierte teilweise lieber selbst mit („Das ist keine Verschwörungstheorie …“).
Hort des Friedens
Die ORF-Diskussionen sind im Vergleich dazu das andere Extrem. Seit Beginn der Pandemie ist „Im Zentrum“ nachgerade ein Hort des Friedens. Die eingeladenen Expertinnen und Experten stellen ihre Erkenntnisse und Beobachtungen zu Corona nacheinander vor, es wird kaum etwas in Frage gestellt und fast nie jemand attackiert.
Nicht einmal beim heißen Thema Impfpflicht geriet am Sonntag irgendjemand im Studio in Wallung. Dabei war mit Madeleine Petrovic diesmal sogar eine prononcierte Skeptikerin der Corona-Schutzimpfung zugeschaltet.
Doch die ehemalige Grünen-Chefin erwies sich diesmal nicht als Heißläuferin. Man hatte den Eindruck, dass sie ihre Meinung nicht aufgrund einer Agenda vertrat, sondern weil es ihr um die Sache ging, ums notwendige Hinterfragen einer Vorgangsweise.
Legitimer Standpunkt
Und so sagte sie auch eingangs: „Ich kann als Juristin die Wirksamkeit der Impfung nicht wirklich beurteilen. Ich beurteile, ob das, was vorliegt, und das, was mir von Wissenschafter_innen aus dem Bereich der Medizin gesagt wird, für eine juristisch haltbare Impfpflicht reicht und da ist meine klare Ansicht: Das reicht nicht.“ Man wisse noch zu wenig über die Wirkung der Booster-Impfung und über die Kreuz-Impfung nach der Verabreichung eines Vektor-Impfstoffes, um ein Strafurteil über Menschen zu fällen, die sich dabei nicht sicher fühlen, meinte Petrovic.
Das Vertreten dieses Standpunktes ist einfach legitim und spiegelt auch die vielen Einsprüche gegen die Impfpflicht im Begutachtungsverfahren wider.
Wettern gegen "bedingte Zulassung"
Schaltete man wieder auf die ServusTV-Debatte zurück, dann wurde dort gegen die "bedingte Zulassung" der mRNA-Impfstoffe und der damit angeblich verbundenen „Gentherapie“ gewettert.
Dem Mathematiker Markowich gelang es in der aufgeheizten Stimmung nicht, die wissenschaftliche Antwort darauf zu geben, daher müssen wir hier im TV-Tagebuch wieder auf den ORF umschalten. Vakzinologin Ursula Wiedermann-Schmidt vom Nationalen Impfgremium erklärte dort endlich ganz genau, was "bedingte Zulassung" bedeutet: „Also das bedeutet, dass sehr wohl eine regelrechte Zulassung erfolgt ist, im Unterschied zur Notzulassung, wie das teilweise in Amerika erfolgt ist, aber mit einem zeitlichen Limit. Das heißt, die EMA hat für alle Impfstoffe diese bedingte Zulassung jeweils für ein Jahr erteilt und diese muss dann nach jeder Periode erneuert werden, was auch passiert ist. Das bedeutet, das ist eigentlich eine sehr gute Sache, weil dadurch sichergestellt wird, dass mit der Einführung eines Impfstoffes auch kontinuierlich die Sicherheitsdaten erhoben werden müssen. … Ich glaube, der Gegenteil ist der Fall, dass wir alle eigentlich zufrieden sein können, dass ein besonders sicherer Prüfprozess erfolgt. Der bedeutet, dass wir hier sichere Produkte haben und wenn die Prüfungen nicht erfolgt sind, dann verliert natürlich ein Produkt die Zulassung.“
Die Diskussionen im ORF mögen zwar derzeit fad sein, der Informationsgewinn kann aber mitunter beträchtlich höher sein. Auch beim anschließend gezeigten "Dokfilm": "Impfgegner - Wer profitiert von der Angst?"
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