"Im Zentrum": Wenn der Taxler über die "Plandemie" plaudert

"Im Zentrum": Wenn der Taxler über die "Plandemie" plaudert
Beim ORF-Talk "Im Zentrum" war diesmal ein Mann zu Gast, der einst Verfechter von Verschwörungstheorien war und mittlerweile ausgestiegen ist.

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

„Wenn man diskutiert, und man merkt, jemand steht ganz woanders, dann ist es wichtig, sich realistische Ziele zu setzen", sagt Autorin Ingrid Brodnig.

Es ist Sonntagabend. Wir befinden uns mitten in einer Diskussion bei „Im Zentrum“ zum Thema „Wie sehr spaltet Corona unsere Gesellschaft?“ Es geht um die Zukunft des demokratischen Diskurses, die Grenze zwischen berechtigter Skepsis und Verschwörungstheorie.

Ex-Verschwörungstheoretiker

Hätte man früher mit Gerald diskutiert, wäre es vielleicht ein halbwegs realistisches Ziel gewesen, zu erreichen, dass er einem überhaupt noch zuhört. Er ist als „Ex-Verschwörungstheoretiker“ eingeladen. Es hat mehrere Jahre gedauert, bis er sich aus dieser Welt kruder Ideen vollkommen lösen konnte.

Fünf bis sechs Jahre sei er „intensiv dabei gewesen“. Er sei davor „mit der komplexen Welt nicht zu Rande gekommen“, erzählt er. „Wie funktioniert Gesellschaft, wie funktioniert Staat?“ - er sei ganz weit weg davon gewesen, das zu verstehen.

Ein Buch mit ganz einfachen Thesen habe dann „als Bauernfänger“ gedient, erzählt Gerald. Er sei von einem Bekannten mit der Frage konfrontiert worden: „Was ist, wenn alles nicht so ist wie du glaubst?“

„In dieser Situation hat mir die einfache Wahrheit geholfen“, sagt Gerald, der sich in sozialen Medien "Ascendancer" nennt.

Erst Jahre später habe er erkannt, dass verschiedene Theorien, denen er glaubte, einander widersprechen. Er sei selbst "auf zwei, drei Dinge draufgekommen", andere Leute hätten dann Nadelstiche gesetzt, mit viel Einfühlungsvermögen. Das habe die Keimzellen gesetzt, um zu sehen: „Ich bin ein bisschen auf dem Holzweg.“

Viele suchen nach Erklärungen

Aber es gibt nicht nur Gerald, der vernunftbegabt genug war, um sich selbst eines Besseren zu belehren. Es gibt auch nicht nur jene Besessene, die nie aus den Verschwörungserzählungen herausfinden. Es gibt auch den Taxifahrer, der Gerald auf dem Weg zum ORF-Zentrum von der „Plandemie“ erzählt. Corona sei gelenkt, alles nur geplant, habe ihm der Taxler gesagt.

IM ZENTRUM: Zwischen Akzeptanz und Ignoranz - Wie sehr spaltet Corona unsere Gesellschaft?

Brodnig zitiert eine Studie: „Ungefähr die Hälfte der Amerikaner glaubt an zumindest eine Verschwörungstheorie.“

Es gibt also viele, die nach Erklärungen suchen. Zurzeit gebe es auch viele, die eine Sehnsucht danach empfinden, dass aufgesperrt wird, meint Brodnig. Daher habe die Schauspieleraktion #allesdichtmachen einen Nerv getroffen. Das sei pauschal gesehen sehr zynisch rübergekommen, die Gefährlichkeit des Virus sei zu wenig beachtet worden. Brodnig hatte „das Gefühl, dass manche auch für eine Differenzierung in der Diskussion rund um das Coronavirus eintreten wollten, aber gerade diese Differenzierung ist in den Videos nicht rübergekommen.“ Es sei nur angekommen: „Es is alles wurscht." Dabei sei es gerade in dieser Phase der Pandemie wichtig, noch aufpassen, meint Brodnig. Dieser Gegensatz habe ihrer Meinung nach für die große Empörung gesorgt.

FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch findet die Aktion hingegen „sehr gut“, „es muss Menschen möglich sein, ihren Unmut zu äußern“. Auch die Corona-Politik sei zynisch, erklärt sie. „Bei vielen geht es auch um die persönliche Existenz.“

Diskussionsleiterin Claudia Reiterer spricht das schwieriges Verhältnis der FPÖ mit Kunst und Kultur an. Ob die Partei jetzt nur Beifall für die aufbegehrenden Schauspieler spende, „weil es in Ihre Politik passt?“

Belakowitsch versucht, dieses Bild gerade zu rücken: „Wir haben nicht nur den röhrenden Hirsch an der Wand hängen.“ Das Wesen von Kunst und Kultur sei es, kritisch zu sein.

Check! Somit scheint wenigstens ein „realistisches Ziel“ in dieser Diskussion erreicht zu sein: Eine FPÖ-Politikerin lobt kritische Künstler, die ansonsten auch immer wieder die FPÖ kritisieren.

Eva Blimlinger, die grüne Sprecherin für Kultur und Wissenschaft, sagt dazu: „Satire ist ja gut, aber das war halt leider keine Satire, dazu waren die Beiträge zu schlecht.“

Ein Satz, über den man noch länger diskutieren könnte, aber dazu ist das Thema an diesem Abend zu weit gefasst.

Blimlinger: "Keine Spaltung"

Blimlinger ist schnell wieder bei den ganz großen Dingen: Sie sehe keine Spaltung der Gesellschaft, diese werde oft herbeigesprochen. Dazu müsste „die Hälfte polarisierend dagegen stehen“, das sei aber nicht der Fall. Der Großteil lasse sich testen, die Container für die Gurgeltests seien voll, der Großteil der Menschen wolle auch geimpft werden. „Eine Spaltung würde bedeuten, dass es überhaupt keine gemeinsamen Wege mehr gibt“, sagt Blimlinger, die das Ganze wohl ein bisschen zu rosig sieht.

Die Publizistin und NÖN-Herausgeberin Gudula Walterskirchen sagt hingegen: „In den letzten Wochen hat sich etwas dramatisch verschoben.“ Es gebe auch die Alleinerzieherin, mit zwei Kindern im Homeschooling, die nicht mehr weiß, wie sie die Stromrechnung bezahlen soll.“

Sie sehe es nicht so wie Blimlinger, „dass alle im gleichen Maße alles mitmachen“. Es gebe auch wenig Spielraum. Das Gefühl der Angst sei "von Anfang an dominierend“ gewesen, meint Walterskirchen, „auf Dauer ist ein Zustand der kollektiven Angst gefährlich.“ Sie findet, „der offene Diskurs kam ein bisschen zu kurz.“ Und das hätten Künstler, die „teilweise selbst existenziell betroffen sind“ zurecht auf den Punkt gebracht. Das sehe sie auch als eine ihrer Aufgaben.

„Kunst hat keine Aufgabe, sie steht für sich“, sagt Blimlinger.

Wieder so ein Satz, über den man lange sprechen könnte. Auch mit Gerald könnte man vielleicht darüber sprechen, wie man aus dem Dickicht an Verschwörungserzählungen und Verschwörungsmythen (diese Benennung schlägt Blimlinger vor) herauszufinden.

Es gibt nämlich nicht nur viele überzeugte Impfgegner (auch Gerald war früher einer), sondern noch eine viel größere Gruppe an Impfskeptikern, die unsicher sind und schwanken, wie Brodnig hervorhebt.

Zahlenspuk

Diese relativ große Gruppe scheint die FPÖ am meisten zu interessieren. Da sind dann richtige Zahlen gar nicht mehr so wichtig. Denn Belakowitsch, die sogar Medizinerin ist, behauptet allen Ernstes, in der starken Grippesaison 2015/2016 seien „weltweit 400 Millionen Menschen gestorben“ und vergleicht dies mit Covid-19.

Blickt man tatsächlich auf die Zahlen, sieht man: Auf der Erde sterben jährlich insgesamt zwischen 50 und 60 Millionen Menschen. Da ist von Autounfall über Altersschwäche bis Atemwegserkrankung alles dabei.

Der Zahlenspuk fällt in der Runde niemandem auf. Brodnig reagiert lediglich auf den Vergleich zwischen Grippe und Covid-19, der „ein großes Problem“ sei. Und stark Grippewellen seien deshalb tödlich, weil weniger Prävention betrieben worden sei.

Belakowitsch, die ihre Stimme nun fast auf Parlamentslautstärke aufgedreht hat, sagt: „Sie können’s ja weiterhin leugnen, Sie können weiterhin auf Ihrem Trip bleiben: Alles ist Verschwörung!“

Was sich wohl Ex-Verschwörungstheoretiker Gerald jetzt denkt?

Immerhin erklärt Wissenschaftsjournalistin Elke Ziegler (ORF-Hörfunk) das Präventionsparadox. „There is no glory in prevention“, sagt sie. Das Zitat der ruhmlosen Prävention beruhe darauf, dass man zum Beispiel mit den Corona-Maßnahmen eine viel schlimmere Entwicklung verhindere. Viele Menschen würden dann sagen: „Das hätt’ma gar nicht gebraucht, weil es ist ja gar nichts passiert.“

Andersrum gesagt: #Garnixdichtmachen kann man leicht fordern. Durchhalten könnte man die Folgen als politisch verantwortliche Partei wohl nicht.

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