"Null Risiko", Patientin starb trotzdem

Ein Urteil spaltete am 16. Juli die Geister. Im Prozess gegen das Wiener Krankenhaus Göttlicher Heiland und zwei Ärzte ging es um den Tod der 23-jährige Kirstin Rehberger, die nach einer harmlosen Fußoperation starb. Ein Turnusarzt wurde Geldstrafe verurteilt, der mitangeklagte Chirurg freigesprochen, das Spital ebenso.
Nach Tod einer 23-jährigen Wienerin durch Schmerzmittel bei Fußoperation: Zwei Ärzte und ein Spital auf der Anklagebank.

Die Eltern sollten Recht behalten. „Ein Schuldeingeständnis werden wir nicht hören“, sagen sie vor Prozessbeginn. Ihre 23-jährige Tochter Kirstin war „kerngesund“, abgesehen von den schmerzhaften Plattfüßen, die sie sich am 28. November 2008 im Wiener Krankenhaus Göttlicher Heiland operieren ließ.

„Vollkommen harmlos, ein Routineeingriff, null Risiko“, wie der angeklagte Chirurg T. vor Gericht erklärt. Er ließ seine „Standardverordnung“ für die Schmerztherapie ins Krankenblatt eintragen, machte am Abend nach der Operation noch einen „Anstandsbesuch“ bei der Patientin, danach war er „mit dem Akt nicht mehr befasst“.

Der mitangeklagte Turnusarzt J. hat mit Kirstin noch „gescherzt“. Es habe überhaupt keinen Anlass zur Besorgnis gegeben, „es hat nichts geläutet bei mir“.

Johannes Steinhart, der als ärztlicher Leiter des mitangeklagten Krankenhauses auf der Anklagebank sitzt, rühmt das „bewährte Schema“ der Schmerztherapie und der Organisation.

„Ich habe mir keine gefährlichen Gedanken gemacht, bei mir hat nichts geläutet.“

Angeklagter Turnusarzt

Und trotzdem ist Kirstin Rehberger tot. Gestorben am Morgen nach dem Eingriff in Folge einer medikamentösen Atemdepression, der KURIER berichtete. „Das war nicht Gottes Wille“, sagen die Eltern, die mit Anwalt Sebastian Lesigang ins Wiener Landesgericht gekommen sind. „Unser Leben ist ein Scherbenhaufen“, beklagen sie und erwarten vom Prozess, dass er die Mängel aufdeckt. „Was Kirstin passiert ist, kann jedem passieren.“

Die intensivmedizinische Gutachterin Sylvia Fitzal vermisst „das pharmakologische und klinische Wissen über eine effiziente Schmerztherapie“. Wegen dieses organisatorischen Mangels habe es im Göttlichen Heiland für Kirstin Rehberger ein „höheres Risiko“ gegeben.

Operateur T. verordnete Dipidolor, die angepasste Dosierung könne er vom Operationssaal aus nicht steuern. Im Aufwachraum bekam Kirstin die ersten Injektionen.

Herumbasteln

Auf der Bettenstation ließ Turnusarzt J. weitere Dipidolor-Gaben verabreichen. Nicht mit Infusionen, sondern subkutan (unter die Haut), weil er zu wenig Zeit habe, um „an einer Patientin herumzubasteln“. Zusätzlich verordnete er noch andere Medikamente und ein Schlafmittel, ohne den diensthabenden Oberarzt damit zu behelligen. Und ohne zu überprüfen, was Kirstin schon vorher alles bekommen hatte. „Es ist nicht Routine, bei der Übergabe eines Patienten alles zusammenzuzählen.“

„Unser Leben ist ein Scherbenhaufen.
Sie war kerngesund, es war nicht Gottes Wille, dass sie stirbt.“

Kirstins Eltern

Speziell von Dipidolor weiß man, dass es als Nebenwirkung zu Atemschwierigkeiten führen kann. Überdies war Kirstin eine Woche zuvor bereits unter Narkose gesetzt worden, damals musste der Eingriff aber wegen einer technischen Panne abgebrochen werden.
Dennoch kam niemand auf die Idee, die vitalen Funktionen der 23-Jährigen mittels Monitor zu überwachen oder sie wenigstens an einen Pulsoximeter anzuschließen. Im Orthopädischen Krankenhaus Gersthof – im dem Chirurg T. früher gearbeitet hatte – war es auch damals längst üblich, Patienten bis 24 Stunden nach einer Operation von einem Anästhesisten betreuen zu lassen und an ein Puls-Überwachungsgerät anzuschließen. Turnusarzt J. bezeichnet das als „Luxus“.

Für Kirstin Rehberger wäre der „Luxus“ lebensrettend gewesen. Klinikchef Steinhart drückt den Eltern im Prozess reichlich spät sein Beileid aus, zeigt sich aber über die schweren Anschuldigungen „bestürzt“ und sieht keinen Grund, an der Organisation etwas zu ändern.

Urteil am Dienstag.

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