Knapp zwei Drittel der Wiener Volksschüler sprechen im Alltag nicht Deutsch
Der erste Schultag ist absolviert. Und während derzeit die Schutzmaßnahmen vor Corona den öffentlichen Diskurs dominieren, bleibt ein Thema weiter ungelöst: Wie geht man in Schulen mit Kindern um, die Deutsch nicht als Umgangssprache haben?
Wie fördert man sie ausreichend und welche Probleme ergeben sich?
Bereits in den vergangenen zwei Wochen haben 8.000 Wiener Kinder in den Sommerschulen Deutsch gelernt. So sollte aufgeholt werden, was während der Corona-Krise auf der Strecke geblieben war. Doch das ist maximal Kosmetik.
Rund 64 Prozent aller Wiener Volksschüler sprechen im Alltag nicht deutsch, wie die Agenda Austria anhand von Zahlen der Statistik Austria betont. Dabei gibt es zwischen den Bezirken große Unterschiede.
So ist etwa in Margareten bei 88 Prozent der Kinder die Umgangssprache nicht Deutsch. Davon sprechen 15 Prozent Türkisch, 19 Prozent Bosnisch, Kroatisch oder Serbisch. 54 Prozent andere Sprachen, die aber nicht extra ausgewiesen sind.
In der Brigittenau sind es 85 und in Favoriten 82 Prozent der Schüler, die im Alltag nicht Deutsch sprechen. In Hietzing liegt der Anteil nur bei 34 Prozent.
In Favoriten haben 25 Prozent der Schüler Türkisch als Umgangssprache, im 15. Bezirk sprechen 21 Prozent Bosnisch, Kroatisch oder Serbisch.
Nicht Deutsch sprechen heißt nicht, nicht Deutsch zu können?
Doch was sagen diese Zahlen tatsächlich aus? "Umgangssprache sagt nicht aus, ob die Kinder nicht auch gut deutsch sprechen können", heißt es dazu aus der Bildungsdirektion. Defizite gebe es auch bei Deutsch sprechenden Kindern.
Knapp über 20 Prozent etwa, verfügen über eine schwache Lesekompetenz. Grundsätzlich sei eine Steigerung der Deutschkenntnisse wichtig.
Seit dem Schuljahr 2018/19 gibt es zudem Deutschförderklassen. Zum Start wurden etwa 4.966 Kinder in solche Klassen gesteckt. Wie gut diese funktionieren, müsse erst evaluiert werden, heißt es dazu aus der Bildungsdirektion.
Bildungsproblem
Für Bildungsexperten Stefan Hopmann von der Uni Wien ist die Tatsache, dass viele Kinder keine deutsche Umgangssprache haben, kein Sprach-, sondern ein Bildungsproblem. "Mehrsprachig ist grundsätzlich ein Vorteil", sagt er.
Das setze aber voraus, dass die Schulen diese Zweitsprachen in den Unterricht integrieren. Das sei aber – im Gegensatz zu internationale Privatschulen etwa – in den normalem Volksschulen nicht der Fall. "Die Kinder haben kein Türkisch oder Arabisch." In vielen Familien würden die Kinder zudem weder in ihrer Muttersprache noch in der "Schulsprache" gefördert.
Eltern als Schlüssel
"Schulsprache" – die unterscheide sich laut Hopmann von der Alltagssprache durch eigene Begriffe (etwa in Mathematik). Wenn Eltern diese nicht beherrschen, können sie ihren Kindern nicht helfen. Bleibt dieses Sprachdefizit, drohe "eine Schulkatastrophen-Karriere".
Hopmann plädiert daher dafür, dass die Sprachförderung in den Unterricht integriert wird. Und es eine andere Schulorganisation gibt. Etwa, dass auch in der Volksschule verschiedene Lehrer verschiedene Fächer unterrichten.
So könnte es eine differenziertere Förderung geben. Deutsch-Förderklassen hält er für "Unfug". Mit der entsprechenden Förderung würde das Deutsch am Schulhof schnell Einzug finden, meint der Experte.
Dass es mehr Ressourcen und Unterstützung für Schulen mit schwierigem Umfeld brauche, meint auch Agenda-Austria-Ökonom Hanno Lorenz. Das derzeitige Vorhaben gehe an den "Bedürfnissen der Realität vorbei".
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