Je zwei Jahre unbedingt für 17 bzw. 18 Jahre alte IS-Terroristen
Zwei junge, bereits einschlägig vorbestrafte Anhänger der radikalislamistischen Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) im Alter von 17 und 18 Jahren sind Dienstagmittag am Wiener Landesgericht wegen terroristischer Vereinigung, versuchter schwerer Körperverletzung und Vergehen gegen das Waffengesetz zu jeweils zwei Jahren unbedingter Haft verurteilt worden. Der 17-Jährige wurde zudem in ein sogenanntes forensisch-therapeutisches Zentrum eingewiesen.
Maßgeblich dafür war ein psychiatrisches Gutachten, das dem 17-Jährigen eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit einer düsteren Gefährlichkeitsprognose bescheinigt hatte. „Es war keine andere Möglichkeit“, stellte der vorsitzende Richter hinsichtlich der Unterbringung im Maßnahmenvollzug fest. Bei der Strafbemessung wurden beiden Angeklagten die Geständnisse mildernd angerechnet, erschwerend waren demgegenüber der rasche Rückfall sowie die mehrfache Tatbegehung. Bei einer Strafdrohung von bis zu fünf Jahren erschienen dem Senat jeweils zwei Jahre täter- und schuldangemessen.
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Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Der 17-Jährige meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, der 18-Jährige akzeptierte die über ihn verhängte Strafe. Die Staatsanwältin erbat zu beiden jungen Männern Bedenkzeit.
Die zur gerichtlichen Sachverständigen bestellte Kinder- und Jugendpsychiaterin Gabriele Wörgötter hatte am zweiten Verhandlungstag gegen die beiden Angeklagten nachdrücklich vor dem 17-Jährigen gewarnt. Von dem Burschen, der Ende Jänner 2023 erstmals wegen terroristischer Vereinigung verurteilt worden war und der sich seit Mitte Mai wegen neuerlicher terroristischer Straftaten wieder in Gewahrsam befindet, gehe eine immense Gefahr aus.
Gefährliche Persönlichkeit
Ausschlaggebend dafür sei eine „manifeste Persönlichkeitsstörung“, wie Wörgötter darlegte. Der psychische Zustand des Burschen habe sich in den vergangenen Monaten von einer ursprünglichen Persönlichkeitsentwicklungsstörung hin zu einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und schizoiden Komponenten entwickelt. Der 17-Jährige sei zwar zurechnungsfähig und damit schuldfähig, aber „sehr, sehr schwer psychisch gestört“ und in Verbindung damit mit einer „sehr, sehr ungünstigen Gefährlichkeitsprognose“ behaftet.
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Wörgötter verwies auf die fortgeschrittene Radikalisierung des Jugendlichen, der vor zehn Monaten 21 Monate Haft, davon sieben Monate unbedingt ausgefasst hatte, nachdem er unter anderem an seiner Schule IS-Enthauptungsvideos hergezeigt hatte, mit einem Kampfmesser in den Unterricht marschiert war und mit einer Machete mit einem aufgedruckten IS-Emblem auf der Mariahilfer Straße patrouilliert hatte.
Würde man den jungen Angeklagten jetzt auf freien Fuß setzen, wäre „mit einer sehr, sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass er in absehbarer Zeit mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen begehen wird“, sagte Wörgötter. Konkret erwähnte sie „absichtliche schwere Körperverletzungen bis hin zu Tötungsdelikten“ sowie terroristische Straftaten.
Sie sprach sich deshalb dafür aus, den 17-Jährigen im Fall eines Schuldspruchs zusätzlich in ein forensisch-therapeutisches Zentrum - den so genannten Maßnahmenvollzug - einzuweisen. Das sei „die einzige Möglichkeit“, stellte die Sachverständige unmissverständlich klar.
Therapeutische Hilfe
Damit ist sichergestellt, dass der Jugendliche nach Verbüßung der über ihn verhängten Strafe ohne zeitliche Befristung weiterhin angehalten werden - so lange, bis ein Experte oder ein Expertin feststellt, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgeht. Im Maßnahmenvollzug wäre - jedenfalls auf dem Papier - außerdem gewährleistet, dass der IS-Anhänger haftbegleitende therapeutische Maßnahmen erhält.
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Auf die Frage des vorsitzenden Richters, ob sie eingrenzen könne, was sie mit „absehbarer Zeit“ meine, in der beim 17-Jährigen mit neuerlichen Straftaten zu rechnen wäre, präzisierte Worgötter: „Demnächst. Wenn er hier (aus dem Verhandlungssaal, Anm.) hinausgehen würde, wäre er gefährlich.“ Auf die weitere sinngemäße Frage, ob man den Maßnahmenvollzug dem 17-Jährigen - dieser ist, wie Wörgötter ausdrücklich betonte, bei Jugendlichen „nur im äußersten Extremfall zugelassen“ - ersparen könne, erwiderte die Gutachterin, das sei im vorliegenden Fall „absolut unmöglich“.
Wörgötter hatte den 17-Jährigen schon vor der ersten Verhandlung begutachtet - damals hatte sie empfohlen, den Burschen in einer betreuten WG mit einer geregelten Tagesstruktur unterzubringen und diesem eine „konsequente Psychotherapie“ zukommen zu lassen. Das wurde nicht umgesetzt. „Wäre ein entsprechendes Behandlungsschema mit sozialtherapeutischen und psychotherapeutischen Maßnahmen installiert worden, hätte verhindert werden können, dass er heute hier vor uns sitzt“, betonte Wörgötter.
Die Kinder- und Jugendpsychologin Julia Wachter, die den 17-Jährigen vor dem zweiten Prozesstermin ebenfalls untersucht hatte, pflichtete anschließend dieser Einschätzung bei: „Ich wüsste nicht, wie man seiner Gefährlichkeit sonst ausreichend begegnen kann.“ Der Angeklagte sei fortgeschritten radikalisiert, befinde sich auf Stufe sechs einer neunstufigen Risiko-Kategorie und weise „das eineinhalbfache Risiko eines typischen Gewalttäters auf“.
Radikales Umfeld
Wachter ließ in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt, dass der 17-Jährige „extrem beeinflussbar“ sei: „Das ist der große Risikofaktor. Er kann sich nicht abgrenzen von ungünstigen Einflüssen. Das war in seinem Fall ein radikales Umfeld.“ Den Zeitraum, in dem der 17-Jährige nach einer allfälligen Enthaftung und ohne therapeutische und medikamentöse Behandlung wieder straffällig werden könnte, bezifferte die Psychologin auf „die nächsten Wochen, Monate“.
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Der 17-Jährige hatte sich seit Montag gemeinsam mit einem um ein Jahr älteren Freund, der zuletzt am 17. Mai 2023 wegen terroristischer Vereinigung, krimineller Organisation und Sachbeschädigung zu 18 Monaten teilbedingter Haft verurteilt worden war, vor Gericht verantworten müssen. Die zwei hatten am 19. Mai einen MA48-Mitarbeiter mit einem Luftdruckgewehr beschossen und den Mann am Oberschenkel getroffen.
Obwohl sie aufgrund ihrer Vorstrafen zum Besitz einer CO2-Waffe gar nicht berechtigt gewesen wären, hatten sie sich insgesamt drei Luftdruckgewehre samt Munition und Zielfernrohren besorgt. Daneben wurde beiden Angeklagten zur Last gelegt, erneut IS-Propaganda verbreitet zu haben. Der 18-Jährige soll sich auch als so genannter Sittenwächter betätigt und mit mehreren Mittätern, gegen die separat ermittelt wird, einen Burschen geschlagen haben, der der „Vergewaltigung“ eines Mädchens beschuldigt wurde - von diesem Anklagepunkt wurde der 18-Jährige freigesprochen.
Der 17-Jährige ist seit Vorliegen des schriftlichen psychiatrischen Gutachtens in der Justizanstalt (JA) Gerasdorf vorläufig untergebracht, wo er an sich eine medikamentöse Behandlung und therapeutische Betreuung erhalten sollte. Seiner Verteidigerin Anna Mair zufolge hat der Bursch aber erst am vergangenen Donnerstag erstmals überhaupt mit einer Psychiaterin gesprochen. „Er wird nur mit Medikamenten ruhig gestellt!“, rief die Mutter des Jugendlichen aus dem Publikum in Richtung Richtertisch. Sowohl Wörgötter als auch Wachter bezeichneten - unter der Voraussetzung, dass die Informationen von Mair zutreffen - die Versorgung des 17-Jährigen in der JA Gerasdorf als „nicht ausreichend“. Das sei allerdings „eine politische Frage“, meinte der Richter.
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Die Verhandlung fand unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt. Ein Großaufgebot der Justizwache - maskiert und bewaffnet - sorgte dafür, dass alles in geregelten Bahnen verlief. Auch eine Beamtin vom Verfassungsschutzes war anwesend und machte sich Notizen. Beide Angeklagten wurden nicht nur mit Hand-, sondern sogar mit Fußfesseln zum Verhandlungssaal gebracht.
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