Halbzeit: Wie steht’s um die rot-pinke Mannschaft in Wien?
Die selbst ernannte „Fortschrittskoalition“ feiert Jubiläum. Nach Corona muss sie mit der Energiekrise und den Missbrauchsskandalen in der Stadt fertig werden. Wie schlagen sich die Regierungsmitglieder?
Bürgermeister Michael Ludwig
Das Management der Pandemie im Griff, hohe Beliebtheitswerte – und mit seiner SPÖ in Umfragen knapp an der Grenze zur absoluten Mehrheit: Noch vor einem Jahr konnte Michael Ludwig den (im Vergleich zum Chaos im Bund) souveränen Stadtchef geben. 2022 bekam sein Image dann doch einige Kratzer. Am harmlosesten war da noch das leicht peinliche Hineinstolpern Ludwigs in die Video-Falle zweier Putin-treuer Komödianten. Richtig unsouverän wirkte dann jedoch der Umgang mit der Causa Wien Energie, in der er tagelang auf Tauchstation ging. Allen Beteuerungen zum Trotz bleibt der Eindruck haften, Ludwig habe versucht, die Vergabe von 1,4 Milliarden per Notkompetenz der Stadtregierung, dem Gemeinderat und der Öffentlichkeit zu verheimlichen. In der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung musste er leiser treten.
Fazit: Der risikoaverse Corona-Kurs stand ihm besser als die Rolle als Troubleshooter
Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr
Aufgrund der Größenverhältnisse in der Koalition und seiner persönlichen Unerfahrenheit anfangs etwas abgekanzelt, schaffte es der Neos-Chef, im Groß-Ressort Bildung und Integration zunehmend Duftmarken zu setzen. Die überfällige Reform der MA 35 brachte er etwa mit professioneller Begleitung auf Schiene, auch wenn die Situation in der Abteilung nach wie vor problematisch ist. Für das Management der Missbrauchsskandale in Kindergärten und Schulen erhielt er sogar Lob von Kinderschutzorganisationen. Verärgert sind viele Lehrer und Eltern über den Pädagogenmangel in Wien.
Immer wieder läuft der Vizebürgermeister noch gegen die rote Wand. In der Causa Wien Energie etwa war lange unklar, ob er von Ludwig in die Milliardenzahlungen eingeweiht worden war. Patscherte Performance.
Fazit: Findet bei heiklen Themen langsam zu einem eigenen Profil
Peter Hanke
Wirtschaft. Lange Zeit galt er als Shootingstar: Telegen, eloquent, ein guter Verbinder zu den Konservativen. Das brachte ihm die Nachrede ein, er könne als SPÖ-Zugpferd in den Bund wechseln. Der Bürgermeister war nicht erfreut über den Nebenbuhler. Die Wien-Energie-Affäre holte Hanke im Sommer auf den Boden der Realität zurück – das politische Management und die Kommunikation liefen schlecht. Auch, aber nicht nur, weil Ludwig den Stadtrat alleine ließ. Seither ist es still geworden um Hanke. In der U-Kommission wird die Opposition sich an ihm abarbeiten – da muss er zeigen, was er kann.
Fazit: Gute Performance in guten Zeiten, die Krisenkommunikation ist ausbaufähig
Peter Hacker
Gesundheit. Mit dem Abebben der Pandemie tun sich für den streitbaren Gesundheitsstadtrat Problemfelder auf, die sich nicht mehr so erfolgreich managen lassen. Allen voran die massiven Personalprobleme in den Wiener Spitälern. Hier hat Peter Hacker bis dato noch kein wirksames Konzept gefunden, vielmehr ist ihm mit der Wiener Ärztekammer ein mächtiger Gegner erwachsen, der gerade in bewährter Manier eine groß angelegte Kampagne zum Thema vom Stapel lässt. Erinnerungen an den Ärztestreik zur Arbeitszeitreform 2016 werden wach. Noch ist völlig offen, wer am Ende als Sieger aus dem Ring steigt.
Fazit: Für einen der Stars aus der SPÖ-Regierungsriege wird der Wind zusehends rauer
Veronica Kaup-Hasler
Kultur. Ihr erklärtes Ziel beim Amtsantritt: Die Kultur in die Außenbezirke zu bringen. Mit dem Rabenhof, der nun auch Stücke in Floridsdorf, Liesing und der Donaustadt spielt, ist Veronica Kaup-Hasler das gelungen. Im Umgang mit dem Lueger-Denkmal macht sie aber keine gute Figur: Die Ausschreibung für die geplante Kontextualisierung – an sich schon für viele ein Affront – gibt es immer noch nicht, die temporäre Kontextualisierung gleicht eher einer Überhöhung Luegers als einer kritischen Auseinandersetzung. Erst vor drei Tagen wurde (deshalb?) das Denkmal erneut mit schwarzer Farbe überschüttet.
Fazit: Mitunter gute Ansätze, mangelnde Umsetzung. Da ist noch Luft nach oben
Ulli Sima
Verkehr. Sie hat die Agenden der einstigen grünen Vizebürgermeisterin Birgit Hebein geerbt – und räumt nun unter lautem Getöse auf. Sima begrünt, baut, beruhigt den Verkehr – und spricht darüber. Bei der verkehrsberuhigten City gelang ihr eine Mehrparteien-Einigung, nun legt sie sich mit dem Bund an. Die Zwischenbilanz kann sich also sehen lassen. Das sich Sima beim Lobautunnel nicht durchsetzte und im Streit mit den Stadtstraßen-Besetzern grob patzte, ist dennoch nicht vergessen. Zu messen sein wird sie an großen Themen, die noch vor ihr liegen – etwa das E-Scooter-Chaos und das Roadrunner-Problem.
Fazit: Sima ist ein PR-Talent. Arbeitet sich gekonnt am grünen Lieblingsfeind ab
Jürgen Czernohorszky
Klima. Bis 2040 will Wien klimaneutral sein. Der Weg zur „Klimamusterstadt“ – wie so oft ist das Marketing der tatsächlichen Politik weit voraus – ist jedoch noch weit. Das liegt auch, aber bei Weitem nicht nur an Czernohorszky: Klimaschutz ist per definitionem eine Querschnittsmaterie und der frühere Bildungspolitiker scheint sich SPÖ-intern oft nicht durchsetzen zu können. Das größte Problemkind Verkehr ist das beste Beispiel, neben den vielen Gasheizungen ist das der größte Hebel zur Emissionsreduktion. Viel wird hier am Stadtentwicklungsplan 2035 hängen, der bis 2024 beschlossen werden muss.
Fazit: Es mangelt am Durchsetzungsvermögen, das sich das Thema verdient hätte
Kathrin Gaál
Wohnbau. Formell eine von Michael Ludwigs beiden Stellvertretern in der Stadtregierung, wickelt Kathrin Gaál ihre inhaltliche Agenda als Wohnbaustadträtin eher dezent ab. Massive Kritik musste sie zuletzt dafür einstecken, dass in Zeiten der Krise ausgerechnet in Gemeindewohnungen Mieten stark angehoben wurden. Jüngste Beispiele zeigen, dass historische schützenswerte Bauten nach wie vor nicht ausreichend vor Abrissen geschützt sind. Akzente gelingt es Gaál, auf ihrem zweiten Themenfeld – der Frauenpolitik – zu setzen. Etwa mit der zuletzt präsentierten Kampagne gegen K.o.-Tropfen.
Fazit: Bis dato keine großen Leuchtturmprojekte, aber auch keine großen Fehlleistungen
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