Autolos durch die Wiener Innenstadt: Das sind die Ausnahmen
Die Innere Stadt soll verkehrsberuhigt werden. Darüber ist sich die Stadtpolitik einig – über die Umsetzung war man es viele Jahre nicht. Mit dem neuen Konzept von Stadt und Bezirk sind nun (fast) alle zufrieden. Die vorgestellten Plänen lassen jedoch viele Fragen unbeantwortet.
Für Aufregung sorgte im Vorfeld die Kameraüberwachung. Wie genau funktioniert sie? An 26 Zufahrtswegen sollen „Kamera Gates“ kontrollieren, wer in den Bezirk fährt. Anhand von drei Bildern gleicht ein IT-System das Kennzeichen der Autos mit einer Liste ab. Wer zur unbeschränkten Einfahrt berechtigt ist (etwa als Anrainer), dessen Nummerntafel wird vorab dauerhaft registriert. Sobald es von einer Kamera fotografiert und erkannt wird, wird es gleich wieder gelöscht.
Wer nicht zum Kreis der Berechtigten gehört, dessen Foto wird gespeichert. Verlässt er die Stadt rechtzeitig oder fährt er in eine Garage, die ebenfalls an das IT-System angebunden sind, werden die Bilder ebenfalls automatisiert gelöscht. Nur, wer unerlaubt in der City unterwegs ist, dessen Nummerntafel wird an die Polizei weitergeleitet.
Welche Bedenken haben Datenschützer? Datenschützer von „Epicenter Works“ glauben nicht, dass nur Fotos gemacht werden – sondern vermuten Videoaufnahmen. Sie sind in Sorge, dass zwangsweise auch Passanten erfasst werden. Besonders problematisch könne das bei Demonstrationen werden: „Das Sicherheitspolizeigesetz erlaubt die Weiterleitung der Aufnahmen in Echtzeit. Die Polizei könnte diese Daten bei Demonstrationen ohne richterliche Genehmigung von der Stadt Wien anfordern“, sagt Experte Thomas Lohninger im KURIER-Gespräch.
Welche Ausnahmen gibt es für Bezirksfremde, die eigentlich gar nicht zufahren dürfen? Wer ein „erhebliches persönliches Interesse“ hat, der darf für 30 Minuten in die City einfahren. Dazu zählen unter anderem Hol- und Bringdienste für mobilitätseingeschränkte oder erkrankte Anrainer. Das Problem: Die Kameras erkennen nicht, ob jemand ein „erhebliches Interesse hat“. In der Praxis wird man also wohl niemanden strafen können, solange er nicht länger als 30 Minuten mit dem Pkw in der Inneren Stadt unterwegs ist. Ob jemand illegal durch die City fährt, kann nur die Polizei bei Kontrollen feststellen.
Was passiert, wenn man „unverschuldet“ – also wegen eines Staus – länger als 30 Minuten in der City bleibt? Das ist noch unklar. Es ist aber davon auszugehen, dass es in diesem Fall zu einer Kulanzlösung kommen wird.
Was hält die Polizei vom Konzept ? Die Wiener Landespolizeidirektion will keine Auskünfte geben – zumal die Beschränkungen noch nicht endgültig beschlossen sei. Auch zur Höhe der Strafen, die bei Verstößen drohen, wollen Polizei und Stadt noch nichts sagen.
Es ist immer von Pkw die Rede. Gelten für Motorräder andere Regeln? Nein, auch für Motorrad- und Mopedfahrer werden die Zufahrtsbeschränkungen gelten.
Wie viel kostet ein Platz in einer Parkgarage? In der Tiefgarage an der Kärntnerstraße kostet die Stunde für Kurzparker 3,20 Euro, auf der Freyung 4,50 Euro und
am Franz-Josefs-Kai 5 Euro. Zur Verfügung stehen in gewerblichen Garagen theoretisch 5.300 Stellplätze. Von einem sprunghaften Anstieg der Auslastung geht man etwa beim Betreiber „Best in Parking AG“ nicht aus: „Unsere derzeitigen Kunden werden die Plätze weiterhin nutzen. Viele Oberflächenparker werden auf andere Bereiche oder Öffis ausweichen“, sagt Geschäftsführer Johann Breiteneder zum KURIER.
Wird es Ausnahmen für Touristen geben, die in Hotels in der City nächtigen? Unklar. In italienischen Städten mit autofreiem Zentrum gibt es spezielle Genehmigungen für Hotelgäste. In Wien könnte es eine ähnliche Regelung geben.
Apropos Italien: Wie regeln andere Städte den Verkehr im Zentrum? In London wurde 2003 eine Citymaut eingeführt. Diese kostet 15 Pfund pro Tag (17,35 Euro). Zusätzlich gibt es in einer „Ultra Low Emission Zone“ einen „Aufpreis“ von 14,45 Euro für gewisse Fahrzeuge ab bestimmten Abgasnormen. Und es gibt eine „Zero Emission Streets“, die Benzin- und Dieselfahrzeuge seit 2020 gar nicht befahren dürfen. Als Paradebeispiel wird auch das spanische Pontevedra genannt. Die 80.000-Einwohner-Stadt ist seit 20 Jahren autofrei. Das slowenische Ljubljana hat das Zentrum 2007 autofrei gemacht.
Wird es durch das Konzept nun wirklich weniger Verkehr geben? Laut Machbarkeitsstudie von „Traffix“ bringen die Maßnahmen ein Drittel weniger Einfahrten. Aber: Im Sommer ist ein Zwischenbericht durchgesickert, dessen Aussage weniger erfreulich war. Damals ging „Traffix“ von wesentlich geringeren Effekten aus, die schon geplante Präsentation wurde eilig abgesagt, die beteiligten Politiker waren verärgert.
Was hat plötzlich zu den besseren Studienergebnissen geführt? Man habe im Sommer nur „das Rechenmodell vorgestellt“, aber nicht alle Daten der Stadt vorliegen gehabt, heißt es bei „Traffix“. In den ersten Berechnungen hätten der Verkehr in Nebenstraßen sowie der Abendverkehr (zu Veranstaltungen) gefehlt. Nun habe man alle Daten „einer Revision unterzogen“.
Was sagen Experten zu den erhofften Effekten? Beim Verkehrsclub Österreich (VCÖ) ist man guter Dinge. Man denkt sogar schon weiter: „Möglich wären zeitliche Beschränkungen für feinstaubbelastete Gebiete, Einkaufsstraßen oder ganze Bezirke“, sagt eine Sprecherin. Der Datenschutz müsse gewahrt bleiben.
Gibt es Gegenstimmen zur Verkehrsberuhigung? Die FPÖ hat keine Freude mit den Plänen: Die Stadt schaffe eine „Überwachungsanlage“. Die Grünen kritisieren, dass die SPÖ das Projekt unnötig verzögert habe, indem sie einen grünen Vorstoß 2020 vereitelte. Zu guter Letzt fehlt das Okay der grünen Verkehrsministerin Leonore Gewessler. Ohne Reform der StVO ist eine Kameraüberwachung verboten.
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