Autofreie Innenstadt: Wien will Zufahrten sperren

Autofreie Innenstadt: Wien will Zufahrten sperren
Nach jahrelangen Debatten steht das finale Konzept: Nur noch ausgewählte Personen dürfen in der City parken. Und: Mit dem Pkw soll man nur noch an 26 Stellen einfahren dürfen.

Die Stadt Wien und der 1. Bezirk haben - nach vielen Verzögerungen und politischem Streit - ihr finales Konzept für eine Verkehrsberuhigung der Innenstadt präsentiert: Es sieht vor, dass die 34 Zufahrtsmöglichkeiten auf 26 reduziert werden (siehe Grafik unten). Zudem werden alle einfahrenden KFZ per Kamera überwacht.

Künftig sollen fast nur noch Anrainer ohne Beschränkung in die City einfahren dürfen. Bezirksfremde müssen ehestmöglich in eine Garage einfahren. Tun sie das innerhalb von 30 Minuten nicht, machen sie sich strafbar.

Autofreie Innenstadt: Wien will Zufahrten sperren

Acht Ein- bzw. Ausfahrten fallen weg.

Für Wirtschaftstreibende, öffentliche Dienste wie die Müllabfuhr, für Einsatzfahrzeuge und Taxis gilt die Zeitbeschränkung nicht. Um mobilitätseingeschränkte Personen abzuholen, darf ebenfalls innerhalb von 30 Minuten ein- und wieder ausgefahren werden.

"Kamera-Gates" kontrollieren Einfahrten

Für die Zufahrten sind sogenannte „Kamera-Gates“ geplant. Diese erfassen nur die Kennzeichen, betonen Stadt und Bezirk. Mehr nicht. Die Kameras machen – so der Plan – jeweils drei Fotos der einfahrenden Autos. Die Bilder werden mittels IT-System abgeglichen.

Wer legal einfährt, wenig später in einer Garage registriert wird und/oder zeitgerecht ausfährt, dessen Bilder werden sofort gelöscht. Alle anderen werden an die Polizei weitergeleitet.

Datenschützer hatten die Pläne zur Videoüberwachung zuvor scharf kritisiert. Ein vom Städtebund beauftragtes Datenschutzgutachten gibt jedoch grünes Licht für deren Einsatz.

Autofreie Innenstadt: Wien will Zufahrten sperren

City-Bezirkschef Markus Figl (ÖVP) mit der roten Verkehrsstadträtin Ulli Sima und zahlreichen Bezirks- und Stadtpolitikern Seite an Seite. Im ersten Anlauf 2020 stand er an der Seite Birgit Hebeins 

Wie bedeutsam die Einigung aus Sicht der Beteiligten ist, zeigt das Aufgebot bei der Pressekonferenz. Sechs Redner (und Rednerinnen) werden den Journalisten aufgeboten. Die erste Sitzreihe ist für weitere Politiker reserviert.

Autofreie City als Mondlandung

Aufmerksamen Beobachtern der Stadtpolitik kam die Szenerie freilich bekannt vor: Es ist etwas mehr als zwei Jahre her, als die zuständige Verkehrsstadträtin und der Bezirksvorsteher schon einmal die „autofreie City“ bejubelten. Was folgte, war ein veritables Zerwürfnis zwischen SPÖ und Grünen (siehe Infokasten), das damals in der Absage des Projekts gipfelte.

Grüne Anfänge, roter Ärger
Vor der Wahl 2020 stellte die damalige grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein mit Bezirkschef Markus Figl (ÖVP) das erste Konzept für eine autofreie City vor (siehe Faksimile). Michael Ludwig (SPÖ) schäumte, ließ Hebein lange zappeln – und erteilte dem Plan wenige Tage vor der Wahl medienwirksam eine Absage

Rot-pinke Neuauflage
Dann folgte der Affront: Mit den Neos als neuem Partner schrieb sich die SPÖ die Verkehrsberuhigung wenige Wochen später selbst ins Koalitionspapier. Wesentliche Änderung zu Hebeins Konzept: eine Videoüberwachung

Datenschutz-Bedenken
Dagegen liefen Datenschützer und plötzlich auch die Grünen   (nicht zuletzt ein Revanchefoul) Sturm. Druckmittel: Ohne die grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler, die die StVO ändern muss, geht gar nichts. Ein datenschutzrechtliches Gutachten des Städtebundes dürfte nun Gewesslers Zustimmung sicherstellen

Letzte Stolperfallen
Übrigens: Eigentlich hätte das Konzept diesen Sommer fertig sein sollen. Dann sickerten Zahlen durch, die das Vorhaben teuer und wirkungslos erscheinen ließen. Stadt und Bezirk zogen die Notbremse. Die nunmehr präsentierten Zahlen zur Verkehrsreduktion klingen „besser“. „Trotzdem alles korrekt“, heißt es. Man habe die Daten nur „einer Revision unterzogen“  

 

Ein wesentlicher Aspekt hat sich seit damals geändert: Verkehrsstadträtin ist nicht mehr Grünen-Chefin Birgit Hebein, sondern  Ulli Sima (SPÖ), die – anders als  ihre Vorgängerin – das Placet des Bürgermeisters hat. Der Bezirkschef, ÖVP-Mann Markus Figl, ist ident. Eingebunden waren diesmal auch der kleine Koalitionspartner, die Neos, sowie alle Bezirksparteien (außer der FPÖ).

So standen die angetretenen Politiker nicht an, einander zu danken („für die Eintracht“) und zu gratulieren („zum großen Wurf“). SPÖ-Verkehrssprecher Erich Valentin bemühte gar einen Vergleich mit der Mondlandung („Ein kleiner Schritt ...“), aber das war wohl auch einigen der Mitstreiter zu viel.

Autofreie Innenstadt: Wien will Zufahrten sperren

Derzeit fahren werktags 52.800 Kfz in die Innere Stadt. Die Verkehrsberuhigung soll Einfahrten um ein Drittel reduzieren

Ein Drittel weniger Kfz

Die Stadt verspricht sich vom Konzept jedenfalls eine deutliche Verkehrsberuhigung. Laut begleitender Machbarkeitsstudie von „Traffix“  bedeutet das konkret: Aktuell fahren täglich 52.800 Autos in die City, diese sollen um ein Drittel weniger werden.

Weitere Einfahrten würden sich in Garagen verlagern (siehe Grafik), Parkplätze sollen um fast ein Viertel entlastet werden. Den dadurch freiwerdenden Platz will die Stadt gemeinsam mit dem Bezirk durch neue Geh- und Radwege sowie Begrünungsmaßnahmen umgestalten.

Gewessler noch zögerlich

Nicht ganz unwichtig: Noch fehlt die Zustimmung der grünen Verkehrsministerin Leonore Gewessler. In ihrem Ressort muss eine Novelle der Straßenverkehrsordnung erarbeitet werden, über die der Nationalrat abstimmt. Sonst ist der Kameraeinsatz rechtlich nicht möglich.  

Im Ministerium gab man sich betont vage: Man unterstütze Projekte zu Klimaschutz und Verkehrssicherheit „mit großer Freude“. Die datenschutzrechtlichen Anforderungen müssten aber „gründlich ausgearbeitet werden“. Klare Zustimmung klingt anders.

Auf eine rasche Gesetztesänderung drängt Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) bei der Präsentation. Sobald diese vorliege, brauche man zwei bis zweieinhalb Jahre für die Verwirklichung. Kosten dürfte die Zufahrtskontrolle in der Anschaffung zwölf Millionen Euro. Der Betrieb wird auf bis zu zwei Millionen Euro pro Jahr geschätzt.

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