Kameras in der City: Die eilig abgesagte Einigung
Besonnen, verbindlich, höflich. Markus Figl weiß, wie man als Bezirksvorsteher der Inneren Stadt an die Öffentlichkeit zu treten hat. Vergangene Woche war dem ÖVP-Polit-Profi die Anspannung aber anzumerken. Immerhin wurde sein Terminkalender ordentlich durcheinandergebracht.
Sein Prestigeprojekt, die Verkehrsberuhigung des Bezirks, landete auf (für ihn) unerfreuliche Weise in den Medien: Ein 27 Seiten langer Zwischenbericht zur Machbarkeitsstudie war an den ORF durchgesickert.
Kernaussage: Die Videoüberwachung, die es für die Verkehrsberuhigung braucht, verursache hohe Kosten – bei geringem Nutzen. Nach einer Erstinvestition von 18,6 Millionen Euro sei mit jährlichen Kosten von 2,4 Millionen Euro zu rechnen. Die Zahl der Pkw-Einfahrten in die City sinke zugleich nur um 14 Prozent. So hat es das Planungsunternehmen Traffix im Auftrag von Stadt und Bezirk errechnet.
Das erwischte Figl am falschen Fuß. Und nicht nur ihn – sondern auch Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ), die mit Figl bei dem Millionenprojekt an einem Strang zieht. Wie der KURIER erfuhr, soll für den heutigen Montag eine gemeinsame Pressekonferenz geplant gewesen sein. Mutmaßliches Thema: die Einigung auf die Verkehrsberuhigung samt Kameraüberwachung.
Seit Längerem tobt eine Debatte über die Kameras, die sicherstellen sollen, dass nur Berechtigte in die City einfahren dürfen. Für andere drohen dann Strafen (mehr dazu siehe Infobox unten). Die Wiener Grünen kritisieren nicht nur die Kosten, sondern haben datenschutzrechtliche Bedenken angemeldet. Das ist insofern relevant, als es für die Umsetzung das Placet der grünen Verkehrsministerin Leonore Gewessler braucht. Und diese macht keine Anstalten, jene Änderung in der StVO zu veranlassen, die für die Überwachung rechtlich nötig ist.
Sima und Figl hätten bei der heute geplanten Pressekonferenz daher die Ministerin ins Visier nehmen wollen, analysieren Insider. SPÖ und ÖVP hätte eine Einigung präsentiert – und Gewessler damit unter Zugzwang bringen wollen. Das Match Stadt gegen Bund ist altbekannt.
Intendierter Nebeneffekt: Die unerfreulichen Ergebnisse des Zwischenberichts wären im Jubel der Einigung untergegangen. Da diese wenige Tage vorher publik wurden, ging der Plan nicht auf. Die Einigung ist abgesagt.
Seither befinden sich Figl und Sima im Rückwärtsgang. Figl wolle „nicht über ungelegte Eier“ reden, der Bericht vergleiche „Äpfel mit Birnen“, hieß es auf KURIER-Anfrage. Man bedauere, dass „Zahlen kolportiert werden, die weder Hand noch Fuß haben“. Sima gab an, den Bericht „gar nicht zu kennen“. Für Kritiker des Konzepts ist das „politische Kindesweglegung“.
Bleibt die Frage, ob sich ÖVP und SPÖ zurecht von dem Bericht distanzieren – und die Zahlen wirklich so „unausgegoren“ sind wie behauptet. Die Antwort: Eher nicht. Der Bericht liegt dem KURIER vor. Der Bericht trägt das Logo der Stadt Wien, ist ziemlich aktuell – und alles andere als unbekannt: Er stammt aus einer Sitzung des Lenkungsausschusses vom 17. Mai.
Alle Fraktionen des Bezirks sind eingebunden; ebenso die MA 18 (Stadtplanung), die federführend mit dem Projekt betraut ist. Das belegt eine Sitzungsliste, die dem KURIER vorliegt. Figl bestätigte seine Anwesenheit ebenso per Unterschrift wie SPÖ-Gemeinderat Erich Valentin, Vorsitzender des städtischen Mobilitätsausschusses. Auch dabei: Vertreter der MA 18 und der MA 65 (für Rechtliche Verkehrsangelegenheiten).
Umbau bei der MA 18
Vor allem die Rolle der MA 18 dürfte spannend sein: Für sie trägt Sima die Verantwortung – und sie baut derzeit gehörig um. Die Abteilung gilt als „Grünen-affin“, im Mai musste Leiter Andreas Trisko den Posten räumen. Er versieht nun Dienst in der Magistratsdirektion und koordiniert Klimaschutz-Themen. Ein Aufstieg sieht anders aus.
In der MA 18 hat Clemens Horak als interimistischer Leiter übernommen. Sima-Kritiker sprechen von hoher Frustration in der Abteilung. Diese werde „kaputtgespart“ und die vorhandene Expertise sei nicht nachgefragt.
Neue Präsentation Ende des Sommers
Die Einigung auf die Verkehrsberuhigung soll nun jedenfalls erst Ende des Sommers präsentiert werden, heißt es aus Bezirk und Stadt.
Und das, obwohl laut Zeitplan der Abschlussbericht von Traffix bereits seit Donnerstag vorliegt. (Warum Stadt und Bezirk den angeblich „alten“ Zahlen aus dem Zwischenbericht also nicht einfach die finale Version entgegenstellen, ist unklar.)
Um die Einfahrtsgenehmigungen in die City zu kontrollieren, wollen Stadt und Bezirk auf Kameras setzen. Diese sollen an den Bezirksgrenzen montiert und auf die Kfz ausgerichtet sein. Ihre Aufgabe ist es, die Kennzeichen zu erfassen und mit einer „Whitelist“ abzugleichen. Auf der Liste sind alle Kfz verzeichnet, die zufahren dürfen. Auf wen das zutrifft, dessen Videoaufnahme werde sofort gelöscht, heißt es aus dem Rathaus.
Alle anderen Kfz werden weiterverfolgt. Wer etwa wenig später in eine Garage einfährt, wird dort ebenfalls von einer Kamera erfasst. Seine Aufnahmen werden dann auch gelöscht. Übrig bleiben all jene, die unrechtmäßig in der City sind. Sie erhalten per Post eine Strafe.
Datenschützer sowie die Grünen warnen davor, dass die Kameras Fußgänger, Radfahrer und – ganz besonders – Demonstranten erfassen. Im Rathaus beruhigt man: Die Kameras könnten Bilder abseits der Nummerntafeln automatisch unkenntlich machen. Und: Ähnliche Systeme seien bei der Section Control sowie in Städten in Italien oder Kroatien im Einsatz.
Bis es so weit ist, dürfte intensiv über den Zwischenbericht diskutiert werden. Er enthält eine Reihe an spannenden Erkenntnissen. Offen ist etwa die Frage, wie die sogenannte „Whitelist“ administriert werden kann. In ihr sind alle Kfz verzeichnet, die in die City einfahren dürfen. Wer etwa ein Parkpickerl für den Bezirk hat, wird automatisch aufgenommen. Andere Gruppen müssen eine „zeitlich befristete“ Genehmigung beantragen (etwa Handwerker) oder dürfen sich mit einer „Eigenautorisierung“ registrieren (Paketdienste).
All das muss vorab passieren, nachträgliche Autorisierungen sind nicht möglich. Und: Jeder Antrag „ist immer gebührenpflichtig“, heißt es in dem Konzept.
Problematisch dürfte der Umgang mit Bussen und Lkw werden: Hier sei unklar, ob die Kameras technisch in der Lage sind, die beiden voneinander zu unterscheiden. Für Busse gelten Einfahrtsbeschränkungen, die – falls die Kameras sie nicht identifizieren können – künftig von der Polizei vor Ort kontrolliert werden müssten.
Bedenken der Datenschützer
Die Frage, wer bei Verstößen die Daten verarbeitet verhängt, ruft zudem Datenschützer auf den Plan: Es ist unklar, inwiefern die Stadt, der Kamera-Systembetreiber und die Polizei zusammenarbeiten – und wer welche Daten einsehen kann. Heikles Terrain.
Unklar ist auch, was abseits der Kamera-Lösung geplant ist: Grünen-Chef Peter Kraus kritisierte erst unlängst im KURIER-Interview, dass Stadt und Bezirk keine Konzepte hätten, wie der öffentliche Raum in der City besser genutzt werden könne – etwa, indem man Fußgängerzonen einrichte oder frei werdende Parkplätze umgestalte.
Dem Vernehmen nach ist dazu (noch) nichts geplant. Figl habe bei der Stadt kein zusätzliches Budget für Gestaltungsmaßnahmen herausverhandelt, hört man.
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