Wahlkampfthema Favoriten: "Sachliche Debatte nicht möglich"
Nach den Krawallen von Favoriten ist guter Rat teuer. Wie sind Ausschreitungen wie in der vergangenen Woche zu verhindern? Darauf hat niemand eine Patentantwort. Wohl nicht zuletzt, weil sich die Parteien nicht darauf einigen können, mit welchem Problem man es überhaupt zu tun hat.
Die Wiener ÖVP führt die Randale durch türkischstämmige Jugendliche, die kurdische Demos störten und den Wolfsgruß – das Symbol der rechtsextremen Grauen Wölfe – zeigten, etwa auf "das Scheitern der rot-grünen Integrationspolitik in Wien" zurück. Viel zu lange hätten SPÖ und Grüne das Entstehen von Parallelgesellschaften geleugnet und sogar gefördert, erklärt Stadtrat Markus Wölbitsch am Tag vor dem Sondergemeinderat zum Thema Favoriten.
Zudem sei das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH), vor dem es immer wieder zu Vandalismus und gewalttätigen Auseinandersetzungen käme, der Inbegriff für verfehlte Stadtplanung. Die ÖVP plädiert daher für die Schließung des EKH, das von der Wien House GmbH, einem Tochterunternehmen des Fonds Soziales Wien (FSW) verwaltet wird.
"Wir sind keine Parallelgesellschaft"
Bei der SPÖ sieht man dagegen kein Integrations-, sondern ein Sicherheitsthema. Die Verantwortung liege beim Innenministerium – auch als dieses noch von Herbert Kickl (FPÖ) geführt wurde. Dort habe man zu wenig gegen faschistische Netzwerke getan, meint SPÖ-Klubchef Josef Taucher.
Doch kann man im konkreten Fall überhaupt von einem Netzwerk sprechen?
Insider bezweifeln das. "In Wien leben rund 150.000 türkischstämmige Menschen, die sich nicht als Parallelgesellschaft betrachten – ein Promille-Anteil davon war bei den Krawallen auf der Straße. Der Rest hat zur Vernunft aufgerufen", meint etwa der türkischstämmige Politiker Hakan Gördü, der mit seiner Liste SÖZ zur Wien-Wahl antritt. In Moscheevereinen organisiert seien die Randalierer nicht.
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Dass die ÖVP erneut den politischen Islam thematisiere, sei daher eine glatte Themenverfehlung. "Das Problem sind 300 bis 400 perspektivenlose Pubertierende mit sozialen Problemen", schätzt Gördü. Neben der Ausforschung der Rädelsführer sei nun "kultursensible Sozialarbeit" gefragt. Er meint damit Sozialarbeiter aus den eigenen Reihen - die Jugendliche, die den Wolfsgruß zeigen oder Sympathie für Erdogan erkennen lassen, nicht als kleine Faschisten abstempeln. Und die von Jugendlichen als Autorität anerkannt würden.
SPÖ-Stadtrat gibt ÖVP-Innenminister recht
Um die Jugend vor extremistischen Einflüssen zu schützen, will auch Integrationsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) die mobile Jugendarbeit in Favoriten verstärken. Und er gibt ÖVP-Innenminister Karl Nehammer (der wie Integrationsministerin Susanne Raab nach Drohungen infolge der Favoriten-Randale unter Polizeischutz steht) recht: Nun gelte es, die Hintermänner der Ausschreitungen auszuforschen.
Zugleich streicht Czernohorszky hervor, dass Wien mehr Geld in Integrations- und Jugendarbeit investiere als jedes andere Bundesland. "Wir haben das dichteste Netz an außerschulischer Jugendarbeit in Europa, ein von der Europäischen Kommission als Best-Practice ausgezeichnetes Integrationsprogramm für Neuzugewanderte mit Orientierungs-, Werte- und Deutschkursen." Zusätzlich bedürfe es der Einberufung des Bundesnetzwerks für Deradikalisierung und Extremismusprävention im BVT.
Völlig unangebracht sei es im Moment, mit dem Finger aufeinander zu zeigen, saft Czernohorszky in Richtung Wiener ÖVP. Und mit der Meinung steht er nicht alleine da.
"Sachliche Debatte ist nicht möglich"
Der Politologe Thomas Schmidinger betrachtet es mit Sorge, dass ausgehend von den Ereignissen in Favoriten das Thema Integration in den Wahlkampf gezogen wird. "Eine sachliche Debatte ist so nicht möglich."
Er warnt davor, die Verantwortung für die jüngsten Zwischenfälle rein bei der Stadt Wien oder dem Bund zu suchen. Dafür sei das Thema Integration als klassische Querschnittsmaterie auf zu viele Institutionen auf beiden Ebenen verteilt. "So ist dafür auf Bundesebene seit mittlerweile 20 Jahren die ÖVP zuständig. Sie kann also nicht so tun, als ob Integration allein die Sache der Stadt Wien ist."
Von einer "Themenverfehlung", die nichts zur Problemlösung beiträgt, spricht der Soziologe Kenan Güngör angesichts der gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen SPÖ und ÖVP. "Wer glaubt, die Politik alleine kann die bestehenden Probleme lösen, hat nichts von der gesellschaftlichen Komplexität verstanden."
Positiv streicht der Experte das relativ sachliche Auftreten von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hervor, der bei der Causa Favoriten anders als bei der Corona-Krise auf Attacken auf die Wiener Stadtregierung verzichtete.
"Fahrlässig" und "disqualifizierend" seien hingegen die jüngsten Wortmeldungen aus der Wiener ÖVP, wonach die Wiener Integrationspolitik gescheitert sei. "Wer so etwas sagt, hat keinerlei Gefühl dafür, wie es in Ländern aussieht, in denen die Integrationspolitik tatsächlich gescheitert ist", sagt Güngör.
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