Sterbendem die Schläuche gezogen: Mordurteil mit einem großen "Aber“
In den Augen von Renate E. war es Sterbehilfe. In den Augen der Geschworenen war es Mord. Dienstagnachmittag wurde die 55-jährige Wienerin Renate E. wegen Mordes an ihrem Lebensgefährten Willi verurteilt – zum zweiten Mal. Der Prozess musste nämlich wiederholt werden. Die Frau hatte dem Sterbenden im AKH die lebenserhaltenden Schläuche gezogen. Doch ein Mordurteil hat normalerweise andere Dimensionen – nämlich bis zu einer lebenslangen Strafe: Renate E. wurde zu drei Jahren Haft, eines davon unbedingt, verurteilt; nicht rechtskräftig.
"Das ist kein Prozess zum Thema Sterbehilfe", betont Staatsanwalt Martin Ortner gleich zu Beginn der Verhandlung im Landesgericht für Strafsachen in Wien. "In Österreich gibt es bereits Sterbebegleitung, die Menschen ein Sterben in Würde erlaubt."
Schicksal
Ortner spricht von einem "Schicksalsverlauf". Dass sich Renate E. immer um ihren Lebensgefährten gekümmert hat, daran hat er keinen Zweifel. Aber: "Das Opfer war zu dem Zeitpunkt schmerzfrei, schlief. Hätte es sich dazu entschieden, dass man ihm den Beatmungstubus rausreißt?"
Unbestritten ist, dass der 70-Jährige nur mehr wenige Stunden zu leben gehabt hätte. Der Mann hatte bereits zwei Lungentransplantationen hinter sich, ebenso mehrere Herzinfarkte. Wie der Sachverständige für Intensivmedizin, Rudolf Likar, ausführt, war der Patient zum Zeitpunkt, als die Schläuche gezogen wurden, längst nicht mehr bei Bewusstsein: "Der Sterbeprozess war im Gange." Der Mann wäre laut Likar auch ohne Zutun der 55-Jährigen gestorben. Man habe ihn im Krankenhaus nur mehr mit Schlaf- und Schmerzmitteln versorgt, um Angehörigen die Möglichkeit zu geben, sich von ihm zu Lebzeiten zu verabschieden. Das Rausreißen der lebenserhaltenden Geräte hätte dem Patienten vielmehr eine Schmerzreizung zugefügt.
Das Sterben, das war schon immer Thema in der Beziehung zwischen ihm und Renate E. "Also haben wir uns gegenseitig das Versprechen gegeben, den Schalter abzudrehen, wenn es einmal so weit ist", sagt Renate E. Zuletzt sprach das Paar am 28. März über das Thema. Da hatte sich der Mann eine schwerwiegende Lungenentzündung zugezogen. "Er hat gesagt: Ich glaub, ich schaff’s dieses Mal nicht. Wenn es wirklich so weit ist, musst du einlösen, was du mir geschworen hast", erinnert sich Renate E.
Zeit zum Verabschieden
Der Zustand des Mannes verschlechterte sich rasant. Am 6. April bekam die Angeklagte den Anruf aus dem Krankenhaus: Es sei nun Zeit, Abschied zu nehmen.
Der Mann war zu dem Zeitpunkt nicht mehr ansprechbar. Seine Organe gaben auf. Die medizinische Behandlung wurde Schritt für Schritt zurückgefahren.
Renate E. eilte mit einem Bekannten ins Spital. Zuvor hielt man noch bei einer Tankstelle. Die 55-Jährige kaufte Wodka, um sich "Mut anzutrinken". Am Sterbebett schrie sie noch verzweifelt: "Willi! Du musst kämpfen! Ich brauche dich! Deine Katzen brauchen dich!" Wenig später drückte sie ihm einen Kuss auf die Stirn und zog die Schläuche. Innerhalb weniger Minuten war der Mann tot.
Dass die Frau keine kaltblütige Mörderin ist, ist allen Beteiligten klar. Doch es war auch keine Tötung auf Verlangen – da hätte das Opfer ganz genau sagen müssen, wie es wann sterben will. Dazu war Willi nicht mehr in der Lage.
Weil die Staatsanwaltschaft im ersten Verfahren im vergangenen Jahr keine Berufung eingelegt hatte, konnte die Strafhöhe nun nicht mehr höher angesetzt werden, als die damals verhängten teilbedingten drei Jahre. "Die Frau wird keinen Tag im Gefängnis verbringen", sagt der Ankläger. Die bisher unbescholtene Frau wäre grundsätzlich eine klassische Fußfessel-Kandidatin: Wenn die zu verbüßende Strafzeit zwölf Monate nicht übersteigt, kann ein Antrag auf Genehmigung des elektronisch überwachten Hausarrests gestellt werden.
Renate E. ist selbst schwer krank. Sie leidet an Krebs. Für sie steht fest: Sollte es einmal so weit sein, wird sie nicht dahinsiechen. "Ich werde einen Weg finden", sagte sie in einem KURIER-Interview.
Kommentare