Causa Sterbehilfe: "Ich weiß, dass ich jetzt sterbe"
Eine Tochter schildert, wie sie ihre Mutter in den selbstgewählten Suizid begleitete. Seniorenbund befürchtet durch die Aufhebung der Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid Druck auf Ältere.
Beate Wrycz von Rekowski war eine starke Frau. Bis zuletzt, als sie entschied, dass sie ihrem Leben ein Ende setzen will. Die 64-Jährige war todkrank. Der Krebs war wieder zurück gekehrt, Metastasen befanden sich im ganzen Körper. Dazu kam noch Multiple Sklerose, die sie in ihrer Bewegung einschränkte. Im Bett dahinsiechen, das wollte die Frau auf keinen Fall. Im vergangenen Juni fuhr sie in die Schweiz, um dort zu sterben.
Marcela Selinger hat ihre Mutter in den letzten Tagen begleitet. "Natürlich war das eine emotional sehr schwierige Geschichte zu wissen, dass die Mutter sterben will", erklärt die Musikerin. Und dennoch: "Ich war extrem dankbar, dass ich sie begleiten konnte. Es war das kleinere Übel und gleichzeitig ein Geschenk, sie so bewusst erleben zu dürfen in ihren letzten Tagen."
Ihre Mutter war eine lebensfrohe Frau. Ein Naturmensch. Eine Frau, die Hunde liebte, gerne reiste und lachte. "Sie hat alles an Leben aufgesaugt, was da war", erzählt ihre Tochter.
Und sie beschäftigte sich auch damit, wie ihr Leben einmal enden soll. "Vor 12 Jahren hatte meine Mutter zum ersten Mal Krebs. Die Therapie hat zwei Jahre gedauert. Damals hatte sie die ersten Gedanken darüber, was sie tut, wenn der Krebs wiederkommt." Wenig später kam die Multiple Sklerose.
Die Mutter habe immer wieder betont: "Wenn ich keine Lebensqualität mehr habe, dann will ich gehen können."
Doch auch als der Krebs wiederkam, habe sie nicht aufgegeben. "Sie wollte sicher gehen, dass es wirklich keine Möglichkeit für eine qualitative Genesung mehr gibt", erzählt Selinger.
In den letzten Wochen verschlechterte sich der Zustand der Mutter rapide. "Ihr Körper war eine Ruine, sie hatte sehr schnell Gewicht verloren. Sie konnte kaum atmen, kaum noch gehen. Sie war dem Tod geweiht." Die größte Angst der Mutter sei gewesen, dass sie im Krankenhaus langsam stirbt. "Sie wollte in Würde gehen."
Die letzten Tage seien intensiv gewesen, sagt die Tochter. "Wir haben sehr viel über Schmerz geredet, hatten sehr philosophische, innige Gespräche." Man habe eine gewisse Ruhe spüren können. "Sie konnte selbst noch alles organisieren, hatte keine Ungewissheit. Das hat so viel Druck weggenommen."
"Ich weiß, dass ich jetzt sterbe", sagte Beate Wrycz von Rekowski. Dann öffnete sie den Zugang zu der tödlichen Infusion.
Marcela Selinger engagiert sich seither in der österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende. Die nunmehrige Entscheidung des Verfassungsgerichtshof, Beihilfe zum Suizid straffrei zu stellen, findet sie richtig. "Es ist nur wichtig, dass es ganz klare Regeln wie in der Schweiz gibt."
Mit Sorge hingegen betrachtet Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec das Urteil des VfGH. Sie respektiere es, befürchtet aber, dass durch die Lockerung der "Schutz der Schwächsten unserer Gesellschaft ins Wanken gerät" und der Druck auf ältere oder schwerkranke Menschen steigen könnte. "Künftig wären diese Menschen auf einmal in der Defensive und müssten sich rechtfertigen, wieso sie weiterleben wollen." Zahlreiche Organisationen wie etwa der Österreichische Behindertenrat hatten sich gegen eine Liberalisierung ausgesprochen.
Schweigsam zeigte sich die Regierungsspitze zur Aufhebung der Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid. Der VfGH hat eine Reparaturfrist – bis 31. Dezember 2021 – vorgesehen, damit gesetzliche Regelungen für den assistierten Suizid geschaffen werden können. ÖVP-Verfassungsministerin Karoline Edtstadler betonte, es muss festgelegt werden, in welchem Ausmaß Beihilfe erlaubt sein werde. Und es gelte, Missbrauch zu verhindern.
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