Der skurrile Zahlenkrieg um den Lobautunnel
Die Wiener Kommunalpolitik wäre diesen Sommer eher ereignislos, hätte sie nicht wieder einmal ein Thema entdeckt, das im schlimmsten Fall noch für jahrelange leidenschaftliche Debatten sorgen wird: die Nordostumfahrung samt Lobautunnel.
Nach der Ankündigung von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne), das Projekt und andere Asfinag-Bauvorhaben zu evaluieren, wird einmal mehr erbittert über Sinn und Unsinn des Milliarden-Baus gestritten.
Wobei die Debatte immer kuriosere Züge annimmt: Gegner des Tunnels (etwa die Grünen) berufen sich auf einen noch unter Planungsstadträtin Maria Vassilakou erstellten Expertenbericht, um zu belegen, dass es durch die Umfahrung gar nicht zu einer Entlastung der berüchtigten Südosttangente kommen würde. Vielmehr würden dort im Vergleich zum Jahr 2015 zusätzlich 73.000 Autos pro Tag fahren. Stimmt nicht, heißt es vom ÖAMTC: Laut eben diesem Expertenbericht würde die Tangente um täglich 77.000 Fahrzeuge entlastet.
Ratlosigkeit
Der interessierte Laie bleibt ratlos zurück. Der KURIER hat mit dem Ziviltechniker Werner Rosinak gesprochen, der seinerzeit Mitglied der von Vassilakou beauftragten Expertenkommission war.
„Ich bin weder für noch gegen die sechste Donauquerung“, hält er gleich eingangs fest. Er plädiert dafür, die Debatte nicht rein auf das Thema Verkehrsbelastung zu verengen. „Fakt ist: Die Stadt hat sich zu einer Stadtentwicklung im 22. Bezirk entschieden“, sagt der Experte. Weder Wohnbau noch Betriebsansiedlungen seien möglich, wenn das nötige Straßennetz nicht gebaut werde. „Wird es nicht realisiert, lassen sich dort höchstens noch Einfamilien- und Reihenhaus-Siedlungen bauen“, sagt Rosinak. Mehr würde das bestehende Straßennetz nicht zulassen. Auch Firmen würden die Gegend meiden, weil unter anderem der Flughafen nicht erreichbar wäre. Mit der Konsequenz, dass die Bewohner beruflich auf die andere Seite der Donau pendeln müssten – was erst recht zu mehr Verkehr und -Ausstoß führen würde. Kurzum: Das geplante Konzept der Stadt der kurzen Wege wäre gescheitert.
Öffis vs. Straße
Gegner der Nordostumfahrung plädieren für eine Erschließung des Gebiets rein mit öffentlichem Verkehr. Laut Rosinak wären aber Stadtteile wie Aspern ohne Umfahrung derart vom Verkehr überlastet, dass sich Öffi-Projekte schwer realisieren ließen. Als begleitende Maßnahme sei ein Öffi-Ausbau – gemeinsam mit dem Ausbau der Radwege und der Einführung der Parkraumbewirtschaftung – aber unumgänglich. Insofern begrüßt Rosinak die flächendeckende Einführung des Parkpickerls im März 2022. „Es wird aber bei der Umsetzung wohl noch Verfeinerungen brauchen, um zu verhindern, dass der Binnenverkehr im 22. Bezirk zunimmt.“
Bleibt die Frage nach der Verkehrsentlastung. Rosinak plädiert dafür, als Kennzahl die Verkehrsleistung, also die gefahrenen Kilometer in einem definierten Zeitraum heranzuziehen. „Laut Modellen würde sie sich stadtweit bis 2030 rein mit Öffi-Ausbau und Parkpickerl um drei Prozent im Vergleich zur jetzigen Situation verringern.“ Die Umfahrung samt Begleitmaßnahmen würde nur ein Minus von einem Prozent bringen.
Was den -Ausstoß betrifft, gibt Rosinak zu bedenken: „Man muss berücksichtigen, dass bis 2030 mehr E-Autos unterwegs sein werden“. Und er rät zur Vorsicht: „Es ist nur eine Modellrechnung.“
S1
Die S1 Außenring Schnellstraße zwischen Schwechat und Süßenbrunn ist der Lückenschluss des Autobahn- und Schnellstraßenrings um Wien. Ziel ist eine Erschließung der Stadtentwicklungsgebiete in der Donaustadt und eine Entlastung der Südosttangente und der Ostautobahn
Eckdaten
Die geplante Strecke ist 19 Kilometer lang, davon entfallen 8,2 Kilometer auf den Lobautunnel. Ergänzt wird das Projekt durch die sogenannte Stadtstraße und die S1 Spange Aspern
1,9 Milliarden Euro
sind laut Asfinag die Baukosten. Aufgrund noch laufender Verfahren und Gewesslers Evaluierung ist unklar, wann
der Baubeginn erfolgen kann
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