Bei Erdogans Besuch gehen die Wogen hoch

Mehrere Tausend Menschen werden am Donnerstag bei Erdogans Auftritt in der Wiener Albert-Schultz-Eishalle erwartet – hier Bilder von Erdogan-Fans im Mai in Köln.
Große Vorfreude und heftige Empörung in der türkischen Gemeinschaft in Österreich: Premier Erdogan kommt auf der Suche nach Wählerstimmen nach Wien.

Drinnen, in der wohl bis zum letzten Platz randvollen Wiener Albert-Schultz-Eishalle, und auch draußen – es werden Tausende sein, die am Donnerstag kommen, um den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan zu sehen. Die einen, um ihn anzufeuern, die anderen, um gegen ihn zu protestieren.

"Ich werde schon hingehen. Ich möchte hören, was Erdogan den türkischen Bürgern hier in Österreich mitteilen will. Sicher ist: Die Person Erdogan spaltet. Er hat viel bewirkt, die Türkei ist im Aufwind, aber er agiert mir eine Spur zu autoritär", sagt Ümit Basgün. In Wien geboren und aufgewachsen, ist der 39-jährige Mitarbeiter einer Werbeagentur einer von rund 115.000 türkischen Staatsbürgern in Österreich. Damit hat Basgün bei der ersten Volkswahl eines türkischen Präsidenten die Möglichkeit mitzustimmen – und zum ersten Mal wird er dafür nicht in die Türkei fliegen müssen, sondern kann auch in Österreich seine Stimme abgeben.

Kostbare Stimmen

Für den türkischen Premier, der unbedingt Präsident werden will (siehe unten), sind die Stimmen vieler Millionen Auslandstürken unverzichtbar. Und so wird es denn lupenreiner Wahlkampf sein, wenn Erdogan in der Wiener Eishalle seinen Anhängern einheizt. Auch wenn der Auftritt des Premiers offiziell als Jubiläumsfeier für den einladenden Verein "Union Europäisch Türkischer Demokraten" (UETD) gehandelt wird.

"Erdogan hat eine Marktlücke entdeckt, er nützt in den EU-Staaten sein Wählerpotenzial aus. Viele der in Deutschland oder Österreich lebenden Türken kommen aus der Heimatregion Erdogans, in Österreich hat er viele Anhänger", sagt der Wiener Unternehmer Edip Bayizitlioğlu. Er kam als 14-Jähriger mit seinen Eltern nach Wien und hat hier ein weltweit tätiges Unternehmen, das Präzisionswerkzeuge herstellt, aufgebaut. "Der Wien-Besuch von Erdogan hat den Charakter eines Fußballmatches. Ich vermisse an Erdogan aber die Diskretion, die ein Staatsmann haben müsste. Es fehlt ihm an Respekt und Sensibilität", sagt der Vorstand des Verbandes österreichischer und türkischer Unternehmen (ATIS).

Der umstrittene türkische Premier hin oder her – Journalist Birol Kilic lehnt wahlkämpfende Politiker aus der Türkei in Österreich prinzipiell ab, unabhängig von Person und politischer Gesinnung. Der Vorsitzende der türkischen Kulturgemeinde in Österreich, Herausgeber und Verleger findet solche Auftritte überflüssig und destruktiv. "Wozu sollen unsere Leute hier türkische Politiker wählen? Die können unsere Probleme in Österreich ja nicht lösen." Zudem herrsche rund um die Veranstaltung eine "aufhetzende Atmosphäre" – "die Türken untereinander werden aufgehetzt: Aleviten, Sunniten, Liberale, Konservative und Moderne. Und man liefert den Kritikern in Österreich neues Material."

"Großer Meister"

Schon seit Tagen gehen in der türkischen Community, in der Netz-Gemeinde, unter Freunden, selbst in türkischen Familien in Österreich die Wogen hoch. Die einen wollen für den "großen Meister" Flagge zeigen, die anderen den streitbaren Regierungschef mit Hang zum Autoritären nicht in Ankara an der Macht – und schon gar nicht in Österreich auf Wahlkampf – sehen. "Die Leute, die ihn unterstützen, hinterfragen nichts, sie unterstützen ihn blind", analysiert Teoman Tiftik. Der junge Journalist sieht aber auch, wo diese bedingungslose Anhängerschaft herrührt: "Er hat es geschafft, den Menschen Selbstvertrauen zu vermitteln. Sie haben das Gefühl: Der lässt sich nichts dreinreden vom Ausland, nicht einmal von einer Merkel. Und er lässt sie teilhaben an dem Gefühl: Wir werden eine Großmacht."

Der Österreicher Mehmet Ünlü, Präsident der Young Friends of Turkey, einer EU-weiten Initiative junger Europäer für Dialog und Austausch, hat Premier Erdogan im Vorjahr bei einer Konferenz in Istanbul persönlich getroffen. Ünlü rechnet damit, dass Erdogan in Wien "vergleichbar mit seinem Auftritt in Köln im Mai diesen Jahres, teils polarisierend, teils ermutigend" zu seinen Fans sprechen wird. "Seine Worte werden jedoch nicht nur in Österreich, sondern auch in der Türkei unter die Lupe genommen werden", glaubt Ünlü. "Denn die Wahlregularien verbieten jeglichen Wahlkampf außerhalb der Landesgrenzen."

Nationalratsabgeordnete Nurten Yilmaz wird nicht in Wien sein, wenn der türkische Premier in der Bundeshauptstadt auftritt. "Aber ich würde auch nicht zu den Veranstaltungen gehen – weder für, noch gegen ihn", sagt die SPÖ-Politikerin. "Es geht nicht darum, ob er nach Österreich kommt oder nicht, sondern um das Warum. Gegen einen Besuch beim Forum Alpbach oder Ähnliches hätte keiner etwas gesagt, aber hier geht es um Wahlkampf."

Efgani Dönmez wiederum lehnt Erdogans "Wahlkampfauftritt in Österreich und seine polarisierende Politik" kategorisch ab. Nach Ansicht des grünen Bundesrates aus Oberösterreich ist "Österreich das Hinterland des politischen Islam geworden. Viele der Anhänger Erdogans leben zwar physisch in Österreich und Europa, aber in den Köpfen leben die meisten von ihnen nicht hier."

Islamistisches Weltbild

Wenn Erdogan seine Anhänger wie zuletzt im Mai in Köln dazu auffordere, sich nicht zu assimilieren, verschweige er, "dass er genau das in der Türkei der eigenen Bevölkerung abverlangt", meint Dönmez. "Allen, die sein islamistisches Weltbild und die Lebensweise nicht teilen, hat er den Krieg erklärt."

Der Schauspieler und politische Aktivist Fatih Köse hingegen kann die Aufregung um den bevorstehenden Erdogan-Besuch nicht nachvollziehen. "Es ist doch absolut normal, dass ein Ministerpräsident auf Auslandsbesuch ist", meint der Erdogan-Anhänger. Von der Rede des Ministerpräsidenten erhofft sich der junge Wiener, "dass er auf die Integration der Türken in Österreich eingeht; dass er uns auffordert, uns in die Gesellschaft zu integrieren, ohne uns assimilieren zu lassen".

Am 10. August wird der neue Präsident der Türkei gewählt. Noch hat sich Premier Recep Tayyip Erdogan nicht offiziell zum Kandidaten erklärt. Doch sobald er das tue, werde er auch die Mehrheit der Stimmen gewinnen, ist der türkische Politologe Ilter Turan überzeugt. Dennoch, sagt der Uni-Professor zum KURIER, braucht der türkische Premier auch Stimmen aus dem Ausland.

Turan über ...

... das Wahlrecht für Auslandstürken. Es ist das erste Mal, dass türkische Staatsbürger, die im Ausland leben, wählen dürfen. In Deutschland, Österreich und in ein paar anderen Ländern, wie auch Frankreich, gibt es viele von ihnen. Erdogan kommt, um um ihre Stimmen zu werben.

... Wahlkampf im Ausland. Einen zweiten Wahlgang muss es geben, wenn bei der Präsidentschaftswahl der Sieger in der ersten Runde weniger als 50 Prozent der Stimmen bekommt. Es gibt keinen Zweifel, dass Erdogan – wenn er kandidiert –, die Wahl auch gewinnen wird. Wichtig dabei: Erdogan wirbt auch deshalb außerhalb der Türkei – um sich die notwendige Stimmenanzahl schon im ersten Wahlgang zu sichern.

... Erdogans Ende als Premier. Er kann nicht Premier bleiben, weil seine Partei, die AKP, Regeln aufgestellt hat, wonach ein Abgeordneter nicht länger als drei Mandate lang im Parlament bleiben darf. Erdogan war bereits drei Mal Abgeordneter. Laut türkischer Verfassung muss ein Premierminister auch Abgeordneter im Parlament sein. Wenn er also nicht mehr ins Parlament kann, ist Erdogan automatisch aus dem Premier-Rennen ausgeschlossen. Erdogan hat ein sehr persönliches Verständnis von Politik. Es scheint, dass ihm das parlamentarischen Systems nicht so sehr gefällt. Er möchte gern Präsident werden, und alles deutet darauf, dass er, sollte er gewählt werden, als Präsident in einem präsidialen System regieren will. Er würde das politische System in der Türkei nicht mittels Gesetzesänderungen, sondern mittels praktischer Politik in eine präsidiale Republik umwandeln.

... die Gezi-Park-Protestbewegung. Gezi repräsentiert die Protestbewegung der Mittelklasse in den türkischen Städten. Diese Bewegung existiert immer noch in verschiedenen Formen. Hin und wieder gibt es neue Proteste und Bemühungen, sich besser zu organisieren. Allerdings kann diese Bewegung besonders die Menschen auf dem Land nicht motivieren. Diese sind begeistert von der wirtschaftlichen Prosperität, die ihnen die jetzige Regierung gebracht hat. Die Gezi-Bewegung hat geholfen, die Opposition zu mobilisieren. Das war aber nicht genug, um politische Veränderungen im Land zu bringen.

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