Papst Benedikt XVI.: Am Ende seiner Kräfte
Wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel“ sei die Nachricht vom Rücktritt des Papstes gestern gekommen, sagte Kardinaldekan Angelo Sodano. Benedikt XVI. wird aufgrund seines „fortgeschrittenen Alters“ und „mangelnder Kraft“ am 28. Februar sein Amt niederlegen.
Joseph Ratzinger hat seinen Rücktritt laut engsten Vertrauten schon seit Monaten vorbereitet. Dabei machte er sich seine Entscheidung nicht leicht. Nach außen hin ließ sich der Papst „seine Emotionen nicht anmerken und wirkte sehr entschlossen und würdevoll“, als er seinen Rücktritt bekannt gab, berichtete Vatikansprecher Pater Federico Lombardi.
Benedikt XVI. ist erst das zweite katholische Kirchenoberhaupt in der Geschichte, das freiwillig zurücktritt. Vor ihm ist bisher nur Papst Cölestin V., der 1294 gewählt wurde, aus dem Amt geschieden (siehe unten).
Konklave in Kürze
Im März werden die Kardinäle zum Konklave im Vatikan zusammentreffen. „Bis Ostern werden wir einen neuen Papst haben“, zeigte sich Lombardi optimistisch, dass die Papstwahl in wenigen Wochen über die Bühne geht. Benedikt werde keine Rolle im Konklave spielen. Auch in der Zeit, in dem der Stuhl Petri vakant sein werde, soll laut Kirchenrecht der Papst keine Funktion ausüben.
Die Nachricht vom Rückzug des Papstes traf nicht nur die Öffentlichkeit völlig unvorbereitet. Auch im Vatikan dürften nur die wenigsten informiert gewesen sein. Vatikansprecher Lombardi äußerte seine „größte Bewunderung für die Geste des Papstes, für den Mut, die Geistesfreiheit und das große Bewusstsein für die Verantwortung seines Amts“. Obwohl in den letzten Monaten Benedikts Gesundheitszustand schwächer wurde, rechnete niemand mit einem Rückzug. „Müdigkeit bei ihm haben wir auch bemerkt, obwohl er sein Amt perfekt ausübte“, räumte Lombardi ein.
Auch der Bruder des Papstes, Georg Ratzinger, bestätigte die gesundheitlichen Faktoren. Sein Arzt habe dem Papst geraten, keine Fernreisen mehr zu unternehmen. Das Gehen bereite seinem Bruder zunehmend Schwierigkeiten. Bei einer Audienz im November musste der Papst den Vortrag seines Manuskripts kurz unterbrechen, weil er wegen „müder Augen“ nicht gut sah.
Bereits in seinem Interview-Buch mit dem Publizisten Peter Seewald hatte Benedikt XVI. über das Thema Rücktritt gesprochen. Die Antwort des Pontifex gab damals Anlass zu Spekulationen: „Wenn ein Papst zur klaren Erkenntnis kommt, dass er physisch, psychisch und geistig den Auftrag seines Amtes nicht mehr bewältigen kann, hat er ein Recht und unter Umständen auch eine Pflicht, zurückzutreten.“
Ungläubiges Staunen
Der Autor des Bestsellers „Seine Heiligkeit“, Gianluca Nuzzi, der den Vatileaks-Skandal ins Rollen brachte, meldete sich zu Wort: „Der Papst verdient enormen Respekt auch für seinen Schmerz, den er in diesen Jahren voll Schatten im Vatikan aushalten musste.“
Papst Benedikt unternahm während seines achtjährigen Pontifikats viele Reisen – die erste führte ihn in seine Heimat Deutschland. Viel beachtet wurden seine Reisen nach Israel und in die USA. Er besuchte auch Angola, Australien, Kamerun, Jordanien, Tschechien und 2012 Kuba und den Libanon.
Er erntete viel Zuspruch – unter anderem für seine erste Enzyklika „Deus caritas est“ (Gott ist Liebe), in der er die Bedeutung der christlichen Nächstenliebe hervor hob. Aber auch viel Kritik. Vor allem für seine sehr nach innen gekehrte Kirchenpolitik und die dezidiert konservativ nach außen getragene Sexualmoral. Auf seiner Türkei-Reise wiederum setzte der Papst mit dem Besuch in der Blauen Moschee in Istanbul eine Geste der Versöhnung.
Schönborn: Möglicher Nachfolger?
Auch der österreichische Kardinal Christoph Schönborn erklärte in der ZIB: "Ich bin sehr bewegt und überrascht. Ich habe ihn erst vergangenen Donnerstag gesehen. Da war er geistig völlig wach. Es gab keine Andeutung von einer solchen Entscheidung. Aber seine Begründung ist recht eindrucksvoll". Ob er selbst ein potenzieller Nachfolger sein könnte, ließ Schönborn offen: "Mein Herz ist in Wien, in Österreich, aber auch bei der gesamten Kirche. Wer weiß, was der heilige Geist mit mir vorhat".
Auf Twitter aktiv
Der als erzkonservativ geltende Joseph Ratzinger wurde am 19. April 2005 als erster Deutscher seit fast 500 Jahren zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt. Zuletzt verkündete er noch über Twitter:
Papst eigentlich auf Lebenszeit gewählt
Ein Papst wird auf Lebenszeit gewählt. Dennoch ist der Rücktritt im Kanon 332, Absatz zwei des Kirchenrechts, geregelt. Dort steht geschrieben, dass der Papst zurücktreten darf, wann immer er will. Er muss dafür niemanden um Erlaubnis fragen. Auch muss niemand den Rücktritt eigens annehmen.
Entscheidend ist allerdings, dass die Entscheidung zum Rückzug völlig freiwillig ist. In dem 1983 von Johannes Paul II. reformierten Kanonischen Recht. (Can. 332 § 2) heißt es: „Falls der Papst auf sein Amt verzichten sollte, ist zur Gültigkeit verlangt, dass der Verzicht frei geschieht und hinreichend kundgemacht“. Generell gilt als Voraussetzung für einen katholischen Priester, dass er körperlich in der Lage sein muss, die Messe zu feiern.
Der Papst tritt zurück? Die Eilt-Meldung am Rosenmontag hielten viele erst für einen Faschingsscherz. Für ganze Generationen galt es als ein ehernes Gesetz: Ein Papst tritt nicht zurück. Jetzt ist es mit Brief und Siegel gewiss: Der „Heilige Vater“ ist auch in diesem Punkt von dieser Welt. Joseph Ratzinger ist nicht der erste Papst, der abdankt. Aber er ist der Erste, bei dem die ganze Welt miterleben konnte, dass er gute Gründe dafür hat. Der 85-Jährige ist zu allererst müde, ausgebrannt, bekennt er selber offen wie nie ein (siehe Papst-Erklärung). Ermüdet ist der Schöngeist zuvorderst an den Intrigen seiner engsten Umgebung im Vatikan und den ungelösten inneren Widersprüchen seiner katholischen Kirche. An der mangelnden Kraft, dem allen Herr zu werden, ist sein Pontifikat gescheitert.
Benedikt XVI hatte sich für mehr als eine Milliarde Katholiken weltweit verantwortlich zu fühlen. Als Papst ist er Chef eines Weltkonzerns, der mit einem kleinen Apparat von Rom aus gesteuert wird. Allein 400.000 Priester unterstehen der Jurisdiktion von ein paar Dutzend Klerikern in der römischen Zentralbehörde.
Wer, wie der Autor, bei einer Vatikan-Visite miterlebt hat, mit welch hilfloser Angst eine kleine Gruppe von 400 „ungehorsamen“ heimischen Priestern rund um Helmut Schüller beäugt wird, bekommt eine Ahnung vom inneren Zustand des Apparats. Radikal durchgreifen will der eine aus Angst vorm Flächenbrand des Protests nicht. Ignorieren will sie der andere aus Furcht vor weiterem Autoritätsverlust nicht. Die „Lösung“ a la romana: Schüller wurde der Titel „Monsignore“aberkannt – in Rom eine Ohrfeige, zu Hause ein Ritterschlag.
Jammerbild Vatileaks
Missbrauchs-Skandale beschäftigten den Vatikan seit der Affäre Groër 1995. Als Ratzinger 2005 Papst wurde, hatte auch er mit dem erbitterten Ringen zwischen Vertuschern und Aufräumern zu kämpfen.
Als der einst engste Papst-Mitarbeiter und Obervertuscher, Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano, zuletzt auch öffentlich mit der Forderung provozierte, in Sachen Missbrauch solle endlich „Schluss mit dem Geschwätz“ sein, bescherte ihm das sogar eine mediale Rüge des Papst-Vertrauten Kardinal Schönborn.
Im Vorjahr musste der Papst dann noch miterleben, dass ihm sein Kammerdiener geheime Dokumente vom Schreibtisch stahl und an einen Enthüllungsjournalisten weitergab – und das vorgeblich im Glauben, damit das Intrigenspiel zugunsten des Papstes zu wenden.
Das Bild, das der Vatikan danach abgab, war nur noch jämmerlich: Eine Intrigenhaufen, der sich sogar mit missliebigen Medien verbündet, um im internen Grabenkampf zu obsiegen.
Benedikt XVI hat seinen zu einer Haftstrafe verurteilten Kammerdiener rund um Weihnachten begnadigt. Nun gewährt er sich selber die Gnade, den Vatikan noch zu Lebzeiten verlassen zu dürfen. Josef Ratzinger zeigt damit im Abgang eine Größe, die er in den brennenden offenen Fragen seiner Kirche oft hat vermissen lassen.
Liebe Mitbrüder, ich danke euch von ganzem Herzen für alle Liebe und Arbeit, womit ihr mit mir die Last meines Amtes getragen habt, und ich bitte euch um Verzeihung für alle meine Fehler. Nun wollen wir die Heilige Kirche der Sorge des höchsten Hirten, unseres Herrn Jesus Christus, anempfehlen. Und bitten wir seine heilige Mutter Maria, damit sie den Kardinälen bei der Wahl des neuen Papstes mit ihrer mütterlichen Güte beistehe. Was mich selbst betrifft, so möchte ich auch in Zukunft der Heiligen Kirche Gottes mit ganzem Herzen durch ein Leben im Gebet dienen.“ (deutsche Übersetzung von Reuters)
Er war so ziemlich das Gegenteil des bisherigen Papstes. Cölestin V. war ein menschenscheuer Einsiedler, der nie Papst werden wollte. Als sein Vorgänger, Nikolaus IV., im Jahre 1292 verstorben war, blieb der Stuhl Petri aufgrund einer in Rom grassierenden Pestepidemie und weil man sich im Konklave auf keinen Nachfolger einigen konnte, zwei Jahre lang führungslos.
Am 5. Juli 1294 wählten die Kardinäle endlich den fast 80-jährigen Eremiten Pietro del Murrone, der Jahrzehnte in völliger Abgeschiedenheit in einer Höhle in den Abruzzen gelebt hatte, zum Papst.
Lasterhafter Vatikan
Cölestin V. war einer der honorigsten, aber auch einer der naivsten Päpste. Kaum gekrönt, begann er, das Vermögen der Kirche an Arme zu verschenken. Die korrupten Kardinäle erkannten, dass sie eine Wahl getroffen hatten, die ihren Interessen widersprach. Außerdem wäre der Vatikan, hätte Cölestin das Geld weiterhin so großzügig verteilt, bald pleitegegangen.
Nun kam der Augenblick, in dem Kardinal Benedetto Caetani die Chance seines Lebens sah. Er erschlich sich das Vertrauen des Papstes und ging dabei so weit, ihm in der Zimmerflucht seines Palastes eine bescheidene Holzhütte aufzustellen, damit der alte Eremit sich „wie zu Hause“ fühlen konnte.
Der Papst verzweifelte jedoch an seinem Amt, da ihm das korrupte Verhalten und die sexuelle Gier der Bischöfe fremd waren. Er rief, wenige Monate nach seiner Weihe, die Kardinäle zusammen und beschwor sie, ihre Mätressen zu entlassen. Dann legte er das Papstgewand ab und trat freiwillig zurück. Als erster und bis gestern einziger Papst der Kirchengeschichte.
Der intrigante Caetani, der den Coup mit großem Geschickt eingefädelt hatte, verstand es nun, sich als Bonifatius VIII. zum neuen Papst wählen zu lassen.
Der gute Cölestin V., der inzwischen auf einem Esel in seine Eremitage zurückgeritten war, wurde von seinem Nachfolger (weil er eine Spaltung der Kirche befürchtete) nach Rom geholt und in Haft genommen. Er starb zwei Jahre später, angeblich durch einen Mordanschlag im Auftrag des Papstes. Obwohl es keinen Beweis gibt, wurde Cölestin zum Märtyrer.
Beide haben Kirchengeschichte geschrieben: Bonifatius VIII. durch korruptes Verhalten und sexuelle Eskapaden. Und Cölestin V. wurde 1313 heiliggesprochen.
Es gab neben Cölestin V. wohl auch Päpste, die zurücktraten – aber nie freiwillig. Der bekannteste Fall war der Gregors XII., der 1415 während des Konzils von Konstanz im Streit mit seinen Gegenpäpsten zum Rücktritt gezwungen wurde.
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