Mit dem Haustier in der Jackentasche auf der Flucht
Die junge Frau klammert sich fest an ihren Hund. Ihr Gesichtsausdruck ist voller Schmerz, der Blick geht ins Leere. Im Hintergrund die zerstörte ukrainische Stadt Mykolajiw.
Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, hatten die Menschen kaum Zeit ihre Habseligkeiten zusammen zu packen, alles musste schnell gehen. Nur das Nötigste konnte mitgenommen werden. Dann brach man auf, mit Kind, Koffer - und der Katze in die Jackentasche gestopft. Bis zum Bahnhof oder der nächsten Haltestation, wo man in einen überfüllten Bus oder Zug steigen musste, um über die Grenze zu gelangen.
Ein geretteter Hund, nachdem der Staudamm Nova Kakhovka bei Cherson zerstört wurde
Eine Frau und ihr Hund vor einem zerstörten Gebäude in Kiew
Ein Hund neben ukrainischen Soldaten in der Nähe von Bachmut
Im Schützengraben: Ein ukrainischer Soldat und ein Hund, nahe der Stadt Horliwka
Ein Mann spaziert mit seinem Hund an einem zerstörten Haus in Donezk vorbei
In Myrnohrad: Eine Frau spaziert mit ihrem Hund
Eine ehemalige Kriegsgefangene und Mitglied des ukrainischen Grenzschutzes mit ihrem Hund in Nowowolynsk
Kiew: Eine Einheimische sitzt mit ihrem Hund in der Nähe ihres zerstörten Wohnhauses
Eine Frau und ihr Hund vor ihrem Apartment in Lwiw
Ein Mädchen in Rafah mit ihrer Katze
Ein Junge im Gazastreifen mit einer Katze auf dem Arm
Ein Mädchen und ihre Katze in Khuzaa
Ein Kind spielt mit einer Katze
Eine Katze findet Zuflucht in einem Auto
Ein Mädchen schleppt eine Katze durch die Trümmer im Gazastreifen
Mit der Katze auf der Flucht
Mit dem Vogel auf der Flucht
Ein verletzter Mann klammert sich an seine Katze nach einem Angriff in Kharkiv
Fakt ist, dass sich im Krieg auch das Leben der Haus-, Nutz- und Waldtiere verändert. Freiwillige Helfer sind aktiv, um Tierleid zu verhindern. Sie fahren in Krisengebiete, organisieren Spendenaktionen, sammeln Futter- und medizinische Materialien. Sie gründen Kooperationen, adoptieren und vermitteln besitzlose Vierbeiner an Familien. Tierschutzorganisationen leisten einen großen solidarischen Beitrag - und werden meistens nicht dafür bezahlt.
Wir sprachen mit Organisationen und Vereinen über ihre Arbeit und die besondere Beziehung zwischen Mensch und Tier.
Manuela Rowling arbeitet für die Tierschutzorganisation Vier Pfoten, die seit 2012 Projekte in der Ukraine organisiert. Als der Krieg ausbrach, war die Organisation schon mit zwei Projekten vor Ort. Man kann fast von Glück sprechen, denn sie waren die einzige internationale Tierschutzorganisation zu der Zeit, berichtet Rowling dem KURIER.
Ein Stückchen Normalität
Mit einer mobilen Klinik fahren die Helfer durch das Land und kümmern sich um verletzte Katzen und Hunde, die ihr zu Hause verloren haben, auf der Straße leben oder sich mit ihren Besitzern auf der Flucht befinden.
Da seien viele der Fotos entstanden, auf denen die Menschen ihre Haustiere mitnehmen. Sie versuchen, ein Stückchen Normalität zu erhalten. "Ähnliche Fotos erreichen uns gerade aus Palästina. Das spricht für die Beziehung mit unseren Tieren. Sie sind ein Teil unserer Familie und in Kriegszeiten noch wichtiger, als in normalen Zeiten", erzählt Rowling.
Der Mensch hat eine besonders starke Bindung zu Tieren, die sozial fähig sind. Das sind in erster Linie Säugetiere und Vögel. Sie ticken sozial so wie wir. Das hat mit der evolutionären Geschichte zu tun. Mensch und Tier leben seit 40.000 Jahren zusammen. Und gerade mit dem Hund kooperiert der Mensch ähnlich, beim Jagen, bei der Verteidigung, beim Aufziehen von Kindern.
Eine Frau und ihr Hund, nachdem sie evakuiert wurden. Eine Aufnahme aus Hola Prystan, ein Ort im russisch-kontrollierten Gebiet
Eine Frau rettete sich und ihren Hund aus ihrem Apartment in Kiew
Mann und Hund in der ukrainischen Großstadt Browary
Vorbei an einem zerstörten Supermarkt in Saltivka, ein Vorort der ukrainischen Großstadt Charkiw
Eine Frau trägt ihren Hund in Kharkiv
Ein Hund im Hauseingang der ostukrainischen Stadt Isjum. Der Eigentümer gewährte rund 60 Menschen und Tieren Unterschlupf in seinem Keller
Ein Hund namens Chip findet Schutz hinter dem Bein eines ukrainischen Soldaten in der Stadt Bachmut
Ein Mann streichelt seinen Hund Elsa. Gemeinsam mit Elsa und seiner Frau wohnen sie in einem Hostel, nachdem ihr Haus in Mariupol zerstört wurde
Ein 6-Jähriger spielt mit einem Hund im ukrainischen Dorf Luch
Aus den Trümmern: Ein Mädchen rettet einen Hund, nachdem zwei Raketen in der Stadt Lwiw einschlugen
Alltagsszenen
Nicht ohne meinen Kater
Tiere dienen als psychologische Stütze, sie sind Lebenskameraden, man möchte sie unter allen Umständen retten. Sie erinnern an Heimat, an zu Hause, gerade dann, wenn der restliche Besitz zurückgelassen werden muss. Tiere strukturieren den Alltag, sie geben ein Grund in der Früh aufzustehen, rauszugehen, sich um jemanden zu kümmern. In Zeiten, wo externer Stress sehr hoch ist, lösen sie ein positives Gefühl aus, erläutert Rowling.
Wenn das Tier zurückgelassen werden muss oder verloren geht, kann das also zusätzlich schmerzhaft und traumatisierend sein. "Es gab Menschen, die zu Kriegsbeginn flüchteten und dachten, sie wären nach einigen Tagen wieder zurück. Sie gaben dem Nachbarn ihren Schlüssel, der sollte die Katze füttern. Manche dieser Menschen sind immer noch nicht zurückgekehrt", erzählt Rowling weiter.
Studien zeigen, dass Tiere auf körperlicher (z.B. Senkung des Blutdrucks), psychischer (Steigerung des Selbstwertes) und sozialer (Verringerung des Gefühls von Einsamkeit) Ebene positive Auswirkungen auf den Menschen haben. Dennoch kann die zusätzliche Verantwortung für ein Lebewesen in Krisensituationen zu Stress führen. Das Zurücklassen des Tieres stellt eine enorme emotionale Belastung für den Menschen dar - eine vergleichbare Situation wie der Verlust eines geliebten Menschen. Und natürlich bleiben die Tiere schutzlos den Gefahren des Krieges ausgesetzt.
Vier Pfoten hat damals schnell gehandelt. Sie organisierten Hilfspunkte an den Grenzen und an den größten Bahnhöfen in Rumänien und Bulgarien. "Die Tiere bekamen Futter und wurden tierärztlich gecheckt. Dann gaben wir den Menschen eine Box, sodass sie das Tier weitertransportieren konnten." Die Tiere wurden auch teilweise geimpft, da sie laut EU-Vorschrift nicht einreisen durften. Aber das wurde nach Kriegsbeginn direkt geändert.
Tiere, die aus einer Fluchtsituation kamen, wurden in den österreichischen Praxen erstversorgt. Viele Tierärzte haben kostenlos ausgeholfen. Das ist ganz niederschwellig und schnell gegangen. Die Menschen rückten zusammen.
Salzwasser aus der Leitung
Vier Pfoten organisierte Kooperationen mit Tierärzten, die in Mykolajiw, Odessa, Cherson und Mariupol arbeiteten. "Viele Ärzte sind geflüchtet, aber viele sind auch zurückgeblieben, in Städten, wo es über Monate keinen Strom oder Wasser gab."
In Mykolajiw kommt nur Salzwasser aus der Leitung. Dadurch rosten die OP-Werkzeuge und lassen sich nicht mehr benutzen. Die Tierärzte improvisieren und operieren mit Kopflampe im Dunkeln. Viele Praxen wurden in Keller und Luftschutzbunker verlegt. "Aber das Wichtigste ist, dass sie vor Ort bleiben", sagt Rowling. Durch den Krieg haben viele Menschen ihre Jobs und damit ihr Einkommen verloren. Die Haustiere brauchen trotzdem ärztliche Betreuung, Futter und Pflege.
Manche Menschen halten bis zu dreißig Tiere in der Wohnung
Idealerweise müssen in der Ukraine alle Tiere geimpft, kastriert, entwurmt und mit einem Mikrochip versehen werden, damit sie identifiziert werden können und gegebenenfalls wieder zum Besitzer gelangen. Verletzte Hunde und Katzen werden von Freiwilligen aus den Trümmern geholt und zu den Stützpunkten oder den mobilen Klinken gebracht. "Es ist traurig, aber auch ganz toll, wie die Leute sich auf den Krieg einstellen", erzählt Rowling.
Ziel der Arbeit ist, dass die Tiere vor Ort bleiben können - auch wenn die Lebensumstände hart sind. Vier Pfoten sieht Auslandsadoptionen kritisch. Es koste viel Geld, eine Vermittlung zu organisieren. Tiere von einem Land ins andere zu übersiedeln, sei eine kurzfristige Hilfe, aber ändere nichts am System im Land. Mit demselben Geld könne man 15-20 Tiere vor Ort kastrieren. Das ist wichtig, denn sonst vermehren sich die Tiere immer weiter.
Haustiere, die auf der Straße herumirren, würden dort niemals überleben. Sie sind oft verletzt, krank oder halb verhungert. Sie werden eingesammelt und in das Adoptionsprogramm der gleichen Stadt aufgenommen. "Das funktioniert gut. Es gibt nach wie vor viele Menschen, die Tiere adoptieren. Auch wenn sie selber nicht viel besitzen, halten sie teilweise zehn bis dreißig Tiere in der Wohnung oder im Garten. Da wird natürlich auch Unterstützung gebraucht", ergänzt Rowling.
Tollwutfälle beim Menschen
Trotz der Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung sei die Anzahl der Streunerhunde explodiert. Ausgesetzte Hunde streifen monatelang durch leere Dörfer, wo vielleicht noch zwei oder drei alte Menschen leben. Die Tiere verwildern, werden krank. Es werde schwieriger, mit ihnen umzugehen.
Einige Tollwutfälle übertrugen sich mittlerweile auf den Menschen, erzählt Rowling. "Das hatte die Ukraine bis Kriegsbeginn im Griff und das war in Europa eigentlich kein Thema mehr. Aber für Wildtiere wie Fuchs und Kojote gibt es jetzt keine Impfungen mehr. Die impft man normalerweise aus der Luft, indem Köder abgeworfen werden. Das geht jetzt natürlich nicht mehr."
Bilder über Tiere, die Opfer von Kriegen werden, lösen starke emotionale Reaktionen aus. Sie rufen Mitgefühl und Empathie hervor oder können beängstigend und überfordernd sein. Ein sensibler Umgang mit Bildern ist aus psychologischer Sicht unbedingt notwendig. Gleichzeitig kann die Berichterstattung das Bewusstsein für die Arbeit von Tierschutzorganisationen stärken und Unterstützung mobilisieren. In einigen Fällen werden Tiere als politisches Druckmittel instrumentalisiert. Dadurch kann das eigentliche Tierwohl vernachlässigt werden, während die Aufmerksamkeit auf ihre Rolle als Opfer des Krieges gelenkt wird.
Millionen Schweine und Hühner erstickt
Auch um Nutztiere sorge man sich sehr. Hier bereite die Massentierhaltung ein großes Problem. Schweine- und Hühnerfarmen sind auf Wasser und Elektrizität angewiesen, sonst können die Tiere nicht überleben. Durch die russischen Angriffe kam es zu Ausfällen und Millionen Schweine und Hühner erstickten in den Hallen, weil es keinen Sauerstoff mehr gab. "Das kann man nicht evakuieren. Das ist eine Katastrophe und extrem Tierschutz relevant", so Rowling.
In Cherson und Mykolajiw wurden zu Kriegsbeginn Nutztiere und allgemein die Landwirtschaft als Kriegsinstrument genutzt. Man drehte absichtlich den Strom für Gebiete ab, verminte großflächig Felder und wollte so eine Hungersnot erreichen. Mit der Zeit stellten die ukrainischen Landwirte sich darauf ein und kauften Generatoren, berichtet Rowling weiter.
Vier Pfoten im Einsatz
Eine Mitarbeiterin des Projekts "Kishka" betreut eine Streunerkatze in Mykolaiv, Ukraine
Ein Tierarzt vom mobilen Klinikteam operiert eine ukrainische Katze
In ukrainischen Uzhgorod betreute das mobile Klinikteam 112 Tiere in 10 Tagen
Eine mentale Stütze - Therapiehund Busia neben einem ukrainischen Soldaten
Hier besucht Therapiehund Busia ein Flüchtlingscamp in Vinnytsia, Ukraine
Streunende Hunde in Pyrohovo, Ukraine
Ankommende ukrainische Geflüchtete mit ihren Tieren am Gara de Nord, Bukarest
In einer rumänischen Schule spielen ukrainische Kinder mit einem Hund
Die Tiere in den Schützengräben
Was Tierschützern immer wieder auffällt, ist das Verhalten der Tiere. Da könne man zwei Richtungen beobachten, erklärt Rowling. Viele Hunde und Katzen schließen sich den Menschen an. Sie seien verängstigt, aber zutraulich. Einige mutige Vierbeiner wagen sich bis an die Front vor und begleiten Soldaten in den Schützengräben.
"Wir haben in der Ukraine mittlerweile zwei Therapiehunde, die mal Streunerhunde waren", erzählt Rowling. Das Projekt wurde schon vor dem Krieg ins Leben gerufen. Man ging mit den Tieren an ukrainische Schulen, um zu zeigen, dass man auch mit Streunerhunden arbeiten könne. Während des Krieges führte man die Hunde mit verwundeten Soldaten zusammen.
"Es war schön zu beobachten, wie Tier und Mensch Kontakt aufnahmen und die Soldaten zumindest für ein paar Momente ihre schlimme Situation vergessen konnten. Hunde und Katzen urteilen nicht. Denen ist das egal, ob ein Bein, ein Finger oder das halbe Gesicht fehlt. Die sind immer da und binden sich an den Menschen."
Bei unserer Arbeit ist es wichtig, dass man die herzzerreißenden Bilder nicht mit nach Hause nimmt. Das belastet die Seele und kann zum Burnout führen. Wir sprechen viel in der Gruppe und unterstützen uns gegenseitig. Lachen, weinen, reden oder schweigen hilft.
"Wir machen weiter"
Manuela Rowling, das restliche Team von Vier Pfoten sowie alle andere Tierschutzorganisationen arbeiten hart, sehen durchgehend Leid und Kummer, aber freuen sich jedes Mal, wenn Projekte funktionieren, Tiere ihren Besitzer oder eine neue Familie finden.
Was aktuell in Gaza passiert, könne man nur beobachten. "Es ist schrecklich und relevant. Wir fühlen uns machtlos. Aber man darf nicht einreisen und es wäre ethisch nicht korrekt, unsere Mitarbeitenden dorthin zu schicken, Sicherheit geht vor. Es kommen nicht mal genügend Lebensmittel für die Menschen durch, geschweige denn für die Tiere. Die Lage ist katastrophal. Aber sobald es geht, machen wir auch dort weiter."
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