Das Attentat: Sein Tod macht Giovanni Falcone zur Legende
Samstag, 23. Mai 1992. Drei gepanzerte Autos bewegen sich an diesem späten Nachmittag in Richtung der sizilianischen Hauptstadt Palermo. Hinter dem Lenkrad des mittleren Wagens, eskortiert von mit jeweils drei Leibwächtern besetzten Fahrzeugen, sitzt der 53-jährige Untersuchungsrichter Giovanni Falcone.
Der Chef selbst hat das Steuer übernommen. Weil seiner Frau im fahrenden Auto oft übel wird, hat Francesca auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Und im Fonds des Wagens bleibt dem Chauffeur, Giuseppe Costanza, nur die Rolle des Beobachters. Falcone will das Wochenende auf seinem Anwesen nahe seiner Heimatstadt verbringen. Ständiger Begleiter des Mafia-Jägers ist die Lebensgefahr, realistisch seine Vorahnung: „Ich weiß, dass meine Schuld gegenüber der Cosa Nostra nur mit meinem Tod abgegolten werden kann.“
Anfang der 1980er-Jahre hat Falcone eine Sonderkommission zur Bekämpfung der Mafia errichtet. Drogen- und Waffenhandel, Prostitution, die Bauwirtschaft, das Gesundheitswesen, die Müllabfuhr – das organisierte Verbrechen zieht seine Fäden. Bestochen (oder erpresst) werden Politiker und Justizbeamte, Unternehmen zahlen „Schutzgeld“, wenn sie ihre Geschäfte unbehelligt betreiben wollen.
Offene Schlacht
In Sizilien regieren die Clans der Cosa Nostra (Unsere Sache). 1981 bricht innerhalb der Organisation ein Krieg aus. Zwischen den alteingesessenen mächtigen Clans aus Palermo und den Banden aus dem 33 Kilometer entfernten Corleone. Es ist ein öffentlich ausgetragenes Schlachten: Hunderte Tote auf den Straßen, Leichen, die man grausam verstümmelt in Erdlöchern, Höhlen und in Säurefässern findet. Opfer sind die Killer und Anführer der verfeindeten Banden, deren Familienangehörige. Aber auch viele Unbeteiligte.
„Gewinner“ ist der Corleonesi Salvatore „Totò“ Riina. Er wird Oberhaupt der Cosa Nostra, Boss der Bosse der sizilianischen Mafia. Deren Einflussgebiet reicht vom Nahen Osten über Westeuropa bis in die USA. Riina (1930 – 2017) hat eine typische Mafiakarriere durchlaufen: Als Jugendlicher begeht er den ersten Mord, mit 19 wird er offiziell in die Cosa Nostra aufgenommen, landet im Gefängnis, kommt wieder frei, verübt weitere Auftragsmorde. 1974 gipfelt sein Aufstieg in der Machtübernahme in Corleone, geebnet durch die Verhaftung des Vorgängers.
Ab 1983 regiert er ein milliardenschweres Wirtschaftsimperium. Am gewinnträchtigsten ist der Drogenhandel. Morphine aus der Türkei werden in sizilianischen Labors zu Heroin verarbeitet und nach Westeuropa sowie in die USA geschmuggelt.
2.655 Jahre Gefängnis
Dabei kommt ihm ein Mann in die Quere: Giovanni Falcone. Der von ihm geführten Sonderkommission und seinem engsten Kollegen und Vertrauten, Paolo Borsellino, gelingt es, mittels eines Kronzeugen den aus 100 Clans bestehenden Aufbau der Cosa Nostra zu enttarnen. 1986 kommt es zum „Maxi-Prozess“ gegen 475 Mitglieder der „Ehrenwerten Gesellschaft“. 344 Angeklagte wandern für insgesamt 2.665 Jahre hinter Gitter.
Riina bricht nun mit einem eisernen Gesetz der Mafia. Er begnügt sich nicht damit, den Staat zu unterwandern, sondern geht zum frontalen Angriff über. Er lässt Polizeioffiziere, Journalisten, Richter, Staatsanwälte, Politiker ermorden. Eindeutig ist die Botschaft: Auf Sizilien herrschen die Corleonesi – und nur sie. Giovanni Falcone bleibt unbeeindruckt, plant im Jahr 1992 weitere Maßnahmen.An jenem 23. Mai erreicht die Autokolonne die Ausfahrt auf Höhe des Städtchens Capaci. Falcone ist guter Stimmung, stoppt plötzlich das Fahrzeug, tauscht den Autoschlüssel des Chauffeurs gegen seinen eigenen. Er will den weißen Fiat Croma über das Wochenende privat nützen. Eine Aktion, die vermutlich dem hinten sitzenden Constanza das Leben rettet ...
Ohrenbetäubend ist der Knall. In etwa 100 Metern Entfernung hat jemand den Knopf gedrückt. Es detonieren 500 Kilogramm Sprengstoff. „Als wäre der Ätna explodiert“, wird sich der Chauffeur später erinnern. Die Leibwächter im ersten Wagen sind sofort tot. Falcone und seine Frau sterben im Krankenhaus. Nur Costanza überlebt schwer verletzt.
Die Mafia hat ihren größten Feind ermordet. Zwei Monate danach tötet sie auch Paolo Borsellino und fünf seiner Begleiter.
Heldenverehrung
Die Attentate stürzen Italien in eine schwere Krise. Der Druck der Öffentlichkeit zwingt zur Konsequenz: 1993 wird Riina verhaftet. 1996 auch jener Mann, der die Bombe zündete und jetzt zur Kooperation mit den Behörden bereit ist. Riina wird als Auftraggeber für die Morde an Falcone und Borsellino sowie wegen zahlreicher weiterer Verbrechen dreizehn Mal zu lebenslanger Haft verurteilt. 2017 stirbt er im Gefängnis von Parma.
Falcone und Borsellino genießen in Italien heute Heiligen-Status. Nach ihnen sind ein Flughafen, eine Stiftung und nach Falcone sogar ein Asteroid benannt. Jahrzehnte lang von staatlicher Dankbarkeit ausgeschlossen, bleibt allerdings Giuseppe Costanza, der Chauffeur.
Die Mafia?
Sie existiert weiter.
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