Fall von "Josef, dem Österreicher": Verdacht auf Freiheitsberaubung

Fall von "Josef, dem Österreicher": Verdacht auf Freiheitsberaubung
Social Media Accounts in Isolation? Der Fall der angeblichen "Kellerkinder" in den Niederlanden wird immer mysteriöser. Was wir wissen - und was nicht.

Update: 58-Jähriger wegen Freiheitsberaubung inhaftiert

Ein 25-jähriger Mann, verwahrlost, seltsam bekleidet, betrat am Montag ein Wirtshaus im niederländischen Dorf Ruinerwold und bestellte Bier. Als er dem verblüfften Wirten erzählte, dass er seit Jahren mit anderen Jugendlichen in einem isolierten Raum lebe und geflohen sei, verständigte der Wirt die Polizei. Seitdem überschlagen sich in niederländischen und österreichischen Medien die Ereignisse.

Mittlerweile ist bekannt, dass ein 58-jähriger Wiener in die Geschichte involviert ist und festgenommen wurde. Er wird der Freiheitsberaubung verdächtigt, wie die niederländische Staatsanwaltschaft am Mittwoch mitteilte. Der Mann solle Donnerstag dem Haftrichter vorgeführt werden, hieß es. Je mehr Details bekannt werden, desto größer werden aber auch die Fragezeichen hinter dem angeblichen "Kellerkinder"-Fall aus den Niederlanden, der Medien bereits über einen neuen Fall Fritzl spekulieren ließ. Journalisten aus ganz Europa sind mittlerweile in das kleine niederländische Dorf gereist. Deutsche Medien bieten den Anwohnern bis zu 2.000 Euro für ein Interview.

Was wir bisher gesichert wissen - und welche Fragen es noch zu klären gilt: 

Wer lebte wo und wie lange am Bauernhof?

Zumindest sechs Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren lebten mehr als neun Jahre lang in einem isolierten Raum eines abgelegenen Bauernhofs im niederländischen Dorf Ruinerwold. Auch der leibliche Vater der mutmaßlichen Geschwister dürfte dort gelebt haben. Offenbar ist der Mann seit einem Schlaganfall bettlägerig. Die Mutter ist 2009 verstorben, bevor die Familie in das Bauernhaus zog. Wie das österreichische Außenministerium dem KURIER mittlerweile bestätigt hat, handelt es sich bei den Familienmitgliedern um niederländische Staatsbürger.

Wichtiges Detail: Laut Angaben der Polizei soll die Familie - wie zuvor berichtet - nicht in einem Keller gelebt haben: Die Polizei fuhr am Montag zum Grundstück: "Da trafen wir sechs Menschen an in einem abschließbaren kleinen Raum in der Wohnung, es war kein Keller", präzisierte die Polizei. Zuvor wurde berichtet, dass es sich um einen "Keller" gehandelt habe, der über das Wohnzimmer zugänglich war. 

In einer Aussendung vom Mittwochnachmittag hieß es, das Haus sei nicht einmal unterkellert.

Welche Rolle spielt der 58-jährige Österreicher Josef B.?

Bestätigt ist, dass Josef B. 2010 von Oberösterreich aus dem Bezirk Perg in die Niederlande ausgewandert ist. Er soll laut niederländischen Ermittlern Wiener sein, was das Außenministerium vorerst nicht bestätigen kann. Der Mann habe sich am Dienstag zudem ausdrücklich gewünscht, dass er keinen Kontakt zu österreichischen Behörden haben möchte. 2010 hat er offenbar das Grundstück samt Bauernhof gemietet. Gewohnt hat er dort nicht, aber regelmäßig Reparaturen durchgeführt.

Laut Angaben der Vermieterin verhielt er sich unauffällig und zahlte regelmäßig Miete. Er hielt sich auf dem Grundstück auf und dürfte die Familie zumindest versorgt haben. Rund um das Gebäude gab es einen weitläufigen Gemüsegarten, eine Ziege und Gänse. Ob B. die Familie - wie anfangs vermutet - gefangen gehalten hat, kann derzeit nicht seriös beantwortet werden. Josef B. war Holzarbeiter und betrieb nach jetzigem Stand zumindest ein Unternehmen in der niederländischen Stadt Meppen, das dem KURIER namentlich bekannt ist. Josef B. ist mittlerweile festgenommen worden, weil er nicht mit den Polizeibehörden kooperieren wollte. Seine Rolle müsse untersucht werden. "Wir wissen noch nicht, in welcher Beziehung er zu den anderen Menschen auf dem Hof steht", sagten die Ermittler. Er befinde sich für weitere Einvernahmen weiter in Haft.

Laut einer Nachbarin hätte sie Josef B. täglich gesehen. Er sei jeden Tag gekommen und abends wieder weggefahren.

Laut KURIER-Informationen kaufte sich der gebürtige Wiener schon Anfang der 80er Jahre einen kleinen Bauernhof im unteren Mühlviertel.

Ida Metzger aus Ruinerwold

In welchem Verhältnis steht Josef B. zur Familie?

Darüber ist noch nichts bekannt. Wie er die Familie kennengelernt hat, ist unklar.

Der 25-Jährige postete auf Social-Media-Kanälen Fotos von der Außenwelt, wie kann das sein?

Es kann mittlerweile so gut wie ausgeschlossen werden, dass - wie anfangs berichtet - alle Kinder Zeit ihres Lebens keinen Kontakt zu anderen Menschen hatten. Der 25-Jährige, der am Dienstag im Wirtshaus auftauchte, postete auf seinem Facebook-Profil Fotos aus dem nächtlichen Ruinerwold. Ob er alleine unterwegs war, ist nicht bekannt. Auf Facebook, Twitter, Instagram und LinkedIn dürfte er online aktiv gewesen sein - spätestens seit Mai 2019. Viele seiner Postings wirken kryptisch. Auf seiner Twitter-Beschreibung geht es darum, dass Menschen ihr "volles Potenzial" entfalten sollen. Andere beziehen sich konkret auf den Klimawandel. Der Mann postete auch ein Video von Greta Thunberg. Und: Er hat offensichtlich die Facebook-Auftritt des Unternehmens von Josef B. auf Social Media betreut.

Lebten die Menschen freiwillig auf dem Bauernhof?

"Es ist undeutlich, ob sie dort freiwillig waren", hieß es am Mittwoch von Seiten der niederländischen Polizei. Es sei möglich dass sich die sechs Menschen seit 2010 auf dem Anwesen aufgehalten haben. Die Familie war dem Einwohnermeldeamt nicht bekannt. Alle hätten angegeben, dass sie volljährig sind, dies werde überprüft. Ebenso hätten sie angegeben, dass sie eine Familie seien.

Die Polizei konnte auch noch nicht sagen, weshalb die Familie auf dem Hof lebte. Die Bewohner des Bauernhauses haben in provisorischen Zimmern gelebt und sich von Gemüse aus dem Garten und Tieren auf der Farm ernährt. Laut dpa wird nun eine Sondergruppe von 25 Beamten den Fall aufklären.

Fall von "Josef, dem Österreicher": Verdacht auf Freiheitsberaubung

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Der KURIER ist vor Ort

Fall von "Josef, dem Österreicher": Verdacht auf Freiheitsberaubung

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Fall von "Josef, dem Österreicher": Verdacht auf Freiheitsberaubung

In diesem Pub vertraute sich sich der 25-Jährige dem Wirten an.

Fall von "Josef, dem Österreicher": Verdacht auf Freiheitsberaubung

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Haben die Menschen auf den Weltuntergang gewartet?

Niederländische Medien berichten, dass sie auf das "Ende der Zeiten" gewartet hätten. Die niederländische Polizei lässt das aber offen. Der 25-Jährige (Name der Redaktion bekannt) soll unter anderem im Wirtshaus erzählt haben, dass "Tageslicht" schlecht sei. Seine Social-Media-Postings deuten jedenfalls nicht explizit darauf hin, dass er auf den Weltuntergang gewartet hat.

Handelt es sich um eine Sekte?

Auch das ist Teil der polizeilichen Ermittlungen und medialer Spekulationen. "Es gibt viele Spekulationen in den Medien, aber die Polizei will Fakten. Es gibt noch viele unbeantwortete Fragen", sagte Polizeisprecherin Grietje Hartstra.

Gibt es Parallelen zum Fall Fritzl?

Menschen haben jahrelang isoliert gelebt, eine involvierte Person heißt mit Vornamen Josef und ist Österreicher. So gesehen: ja. Ob sich die Jugendlichen in Gefangenschaft des Österreichers Josef B. befanden, darüber kann man derzeit nur mutmaßen. Dass der 25-Jährige Fotos von Ruinerwold auf Facebook stellte, muss jedenfalls kein Indiz sein, dass er einfach hätte davon laufen können. Prominentes Beispiel: Auch Natascha Kampusch hat nicht alle Tage ihrer Gefangenschaft in einem Verlies gelebt. Sie war mit ihrem Entführer Wolfgang P. sogar auf Skiurlaub.

Zum Fall Fritzl: Das Verschwinden seiner Tochter erklärte Fritzl gegenüber seiner Frau und Nachbarn ganz einfach: Sie sei wohl bei einer Sekte und durchgebrannt. Bei den Behörden meldete der Vater seine Tochter als vermisst. Das Verbrechen flog erst auf, als die 19-jährige Tochter aus dem Keller lebensgefährlich erkrankte und von Fritzl in eine Klinik gebracht wurde. Ein Arzt wurde misstrauisch und gab der Polizei den entscheidenden Tipp.

Wusste die Dorfgemeinschaft wirklich nichts?

Derzeit weist alles daraufhin, dass niemand im Dorf von den versteckten Menschen wusste. Aber: Einige waren misstrauisch, was "Josef, den Österreicher" betraf, wie der 58-Jährige von Anrainern genannt wurde. Ein Anrainer erzählte dem Lokalsender RTV Drehnte, dass man bei dem Hof immer nur einen Mann gesehen hätte. "Das Tor an seiner Brücke war immer verschlossen. Die Nachbarn haben den Hof nie betreten. Eines Abends habe ich einmal versucht, mich mit einem Nachbarn umzusehen. Dann sahen wir eine Kamera in einem Baum hängen. Das war ein Grund für uns wieder zurück zu gehen." Josef B. sei ein schroffer Geselle gewesen: "Du musstest nur in die Nähe des Hofes kommen und er hat dich schon weggeschickt. Er hat alles mit einem Fernglas beobachtet."

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