Phänomen Anzengruber: Das Erfolgsrezept des ehemaligen Almwirts
Johannes Anzengruber hat sich durchgebissen. Und seine Wähler sich mit ihm. An sie haben der ehemalige Almwirt und seine Unterstützer in den vergangenen Wochen tausende Kaspressknödel nach Familienrezept, Kuchen und andere kulinarische Wahlkampfgeschenke aus Eigenproduktion verteilt. Der 45-Jährige tourte mit einer Art mobilen Volksküche durch alle Stadtteile.
Das Motto dahinter: "Beim Essen und Reden kommen die Leute zusammen." Zählen konnte Anzengruber dabei unter anderem auf helfende Hände seiner ganzen Familie, von befreundeten Wirten einiger der bekanntesten Innsbrucker Gasthäuser oder Mitgliedern von Sport- und Traditionsvereinen sowie Einsatzorganisationen - allesamt Multiplikatoren beim Stimmenfang.
Breite Bewegung
Dem von der ÖVP geschassten Politiker ist es damit gelungen, eine breite Bewegung auf die Beine zu stellen. Und schließlich mit seiner im vergangenen Herbst aus der Taufe gehobenen Liste "JA - Jetzt Innsbruck" nicht nur aus dem Stand Platz zwei bei der Gemeinderatswahl zu erringen, sondern am Sonntag auch noch das Bürgermeisteramt zu erobern.
Die Geschichte des Erfolgs von Anzengruber ist auch die einer kolossalen Fehleinschätzung der Landes-ÖVP. Die hatte vor allem die Wiedervereinigung mit der vor 30 Jahren entstandenen Abspaltung "Für Innsbruck" im Fokus. Deren Hauptprotagonistin Christine Oppitz-Plörer, die 2018 das Bürgermeisteramt an Georg Willi (Grüne) - nunmehr selbst entthront - verlor, stand jedoch mit Anzengruber auf Kriegsfuß.
Gemeinsam mit dem inzwischen von Ex-Staatssekretär Florian Tursky als ÖVP-Stadtparteiobmann ersetzten Christoph Appler hatte sie an der Verschmelzung beider Listen - inklusive dem Seniorenbund - gearbeitet. Appler wiederum hat seine eigene Geschichte mit Anzengruber. Der bremste ihn nämlich auf dem Weg ins Vize-Bürgermeisteramt aus.
Signal nicht erkannt
Und genau diese Geschichte hätte der ÖVP ein Warnsignal sein können, dass Anzengruber keiner ist, der klein beigibt. Nicht das einzige Indiz. Bereits 2018 schaffte es der nunmehrige Bürgermeister nur in den Gemeinderat, weil er mit einem ambitionierten Wahlkampf zum Vorzugsstimmen-Kaiser seiner Partei wurde.
Einfacher Mandatar zu sein, war dem ehrgeizigen Politiker zu wenig. Als Anfang 2020 der langjährige ÖVP-Vize-Bürgermeister Franz Gruber seinen Rückzug aus der Politik ankündigte, wäre von der Partei eigentlich Appler als Nachfolger gedacht gewesen. Aber Anzengruber zettelte eine erfolgreiche Klubrevolte an und nahm selbst auf dem Stellvertretersessel neben Willi Platz.
Hier zeigte sich auch bereits, welches persönliche Risiko der Mann bereit ist, für den Aufstieg auf der Karriereleiter zu nehmen. Mit seiner Ressortverantwortung war es nicht mehr vereinbar, dass er die seit vielen Jahren durch seine Familie von der Stadt gepachtete Arzler Alm weiter betreibt. Also wurde sie aufgegeben.
Angebote abgelehnt
Und nachdem im Vorjahr klar wurde, dass das ÖVP-Bündnis von Tursky in die Wahl geführt werden sollte, ging Anzengruber erneut Risiko. Zunächst versuchte er noch, seinen vermeintlchen Anspruch auf die Nummer eins geltend zu machen. Dabei soll er Angebote der Landes-ÖVP - etwa ein Ticket für den Nationalrat - abgelehnt haben, so er doch verzichtet.
Mit Ankündigung eines Antritts bei der Gemeinderatswahl mit einer eigenen Liste, flog der ehemalige Ringer per Parteistatut automatisch aus der ÖVP. Die ließ ihn das auch mit einem erfolgreichen Abwahlantrag büßen, der ihn das Vize-Bürgermeisteramt kostete - Anzengruber aber auch Märtyrer-Status verlieh.
Fortan gerierte er sich als nunmehr parteifrei und unabhängig, nur den Bürgern verpflichtet. In weiterer Folge steckte er nicht nur 20.000 Euro aus eigener Tasche in seinen Wahlkampf, sondern nahm zusätzlich noch einen Kredit in Höhe von 250.000 Euro auf, wie er erzählt. Seine Frau Valentina musste dafür mitbürgen.
Stottern im Wahlkampfmotor
Der kulinarische Straßenwahlkampf des Tirolers war wohl auch dem schmalen Budget geschuldet. Aus diesem erklärt sich auch, dass nach dem Einzug in die Stichwahl vor zwei Wochen der Motor zunächst zu stottern schien. Während Willi bereits am Montag nach dem Wahlsonntag mit neuen Sujets plakatiert wurde, musste Anzengruber erst reagieren.
Und zwar, weil man nicht wie andere Parteien einfach Plakate für den Fall der Fälle finanzieren und dann vielleicht einstampfen wollte, wie es hieß. Also wurden aus Spargründen nur fünf großflächige neue Plakate in der Stadt affichiert und 60.000 Flyer produziert.
Und damit überhaupt noch Wahlkampfgeschenke verteilt werden konnten, zogen Anzengruber und seine Mannschaft im große Stil noch schnell Kresse hoch, die unter die Leute gebracht wurde. Ein zupackender Wahlkampf, der nun mit dem Bürgermeisteramt gekrönt wurde.
Johannes Anzengruber, *1979, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
Er absolvierte die HTL Anichstraße und arbeitete vor der Übernahme der Arzler Alm in der IT-Abteilung der tirol kliniken. Zudem studierte er Gesundheitswissenschaften.
Bildung einer Koalition
Nun liegt es an dem Überraschungssieger, eine stabile Koalition zu bilden. Am wahrscheinlichsten bleibt vorerst weiterhin eine Mitte-Links-Variante aus Anzengrubers "Ja - Jetzt Innsbruck", den Grünen mit Georg Willi und der SPÖ von Elli Mayr. Dieses Bündnis hätte 22 von 40 Mandaten und auch eine Mehrheit im nach Proporz besetzten Stadtsenat, in den Stadträte nach Parteistärke entsandt werden.
Eine Mitte-Rechtsvariante zwischen ihm FPÖ, ÖVP-Allinaz "Das neue Innsbruck" und der bürgerlichen Liste Fritz scheitert an Letztgenannten. Die haben einer derartigen Koalition bereits eine Absage erteilt. Aber wer weiß, vielleicht ist Anzengruber für weitere Überraschungen gut.
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