Wo die Impfskeptiker Österreichs daheim sind
Sie galt seit Wochen als unausweichlich, jetzt rollt sie tatsächlich an: Österreich steht am Beginn der vierten Welle. Am Freitag wurden erstmals seit 12. Mai wieder mehr als 1.000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden registriert, Samstag waren es 951. Auch die Zahl der Covid-Patienten in Spitälern steigt. Derzeit werden 221 Menschen mit einer Covid-19-Erkrankung stationär behandelt. Auf der Intensivstation sind es 51.
Wer einen genaueren Blick auf die Zahlen wirft, erkennt, dass es vor allem eine Welle der Ungeimpften sein wird, wie es auch Epidemiologe Gerald Gartlehner formuliert. In Tirol als einem der Hotspots ist etwa kein einziger der Intensivpatienten vollständig geimpft.
Die Impfkampagne in Österreich stockt bereits seit Längerem. Seit Juli gehen die täglichen Impfungen zurück. Und das, obwohl man es nach dem ersten Andrang mit niederschwelligen Angeboten versucht. Erst rund 55 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft.
Vollimmunisiert
Vorzeigebundesland beim Impfen ist derzeit das Burgenland. Hier ist die Zahl der Vollimmunisierten mit 62,2 Prozent am höchsten. Kein Wunder also, dass hier auch die Gemeinde mit der österreichweit höchsten Durchimpfungsrate liegt – und zwar Großmürbisch mit 75,3 Prozent. Auf Platz zwei beim Impfen liegt Niederösterreich.
Doch wie sieht es eigentlich auf der anderen Ende der Impf-Skala aus? Der KURIER hat Impfmuffel unter Österreichs Gemeinden besucht und die Bewohner nach ihren Beweggründen gefragt. Hier trifft man auf eine Bevölkerung, von der teilweise nur 30 Prozent oder noch weniger geimpft sind.
Und es zeigt sich: Gehen lokale Autoritäten wie Bürgermeister mit schlechtem Beispiel voran, folgen in vielen Fällen auch die anderen. Was auffällt, ist weiters, dass die Impfskepsis mancherorts nicht nur auf Corona bezogen ist. Etwa im niederösterreichischen Arbesbach, wo ÖVP-Bürgermeister Martin Frühwirth erzählt, dass manche Bewohner ihre Kinder generell nicht impfen lassen.
„Ich lasse mich sicher nicht impfen, testen ist sinnvoller“
Je enger das Tal, desto engstirniger die Bewohner. So zumindest wird es in Tirol gerne boshaft jenen ausgerichtet, die in eben solchen Tälern leben. Und kaum ein Dorf passt da so gut ins geografische Bild wie Spiss. Die höchstgelegene Gemeinde Österreichs klebt abgeschieden auf einem steilen Berghang an der Grenze zur Schweiz. Und steht nun im Blickfeld, weil sie eine der niedrigsten Impfquoten von ganz Österreich aufweist.
„Ich lasse mich sicher nicht impfen“, macht Bürgermeister Alois Jäger (ÖVP) klar, wo er steht. Für sich selbst begründet er das damit, dass er vor drei Jahren die Tetanusimpfung auffrischen ließ: „Da war ich drei Wochen geschwollen.“
Was andere im Ort machen, „das beeinflusse ich nicht“. Die niedrige Impfrate in seinem Dorf erklärte der Bürgermeister unlängst mit einer angeblich größeren Freiheit am Land und mit besseren Abwehrkräften durch das Spielen im Matsch. Die größte Gefahr der Viruseinschleppung sieht Jäger in Reiserückkehrern. Aber in Spiss „sagen viele, sie bleiben daheim – wegen Corona“, so Jäger zum KURIER.
Im Dorf vermieten freilich fast 20 Betriebe selbst Zimmer an Urlauber. „Das war ein bisschen eine komische Aussage vom Bürgermeister. Klar kommt das Virus auch zu uns“, sagt eine Tourismusmitarbeiterin über die Reiserückkehrer-Theorie des Bürgermeisters. Bei ihr im Betrieb seien jedenfalls alle geimpft. „Wenn du in der Gastronomie arbeitest, musst du geimpft sein. Ich will doch nicht alle zwei Tage ein Staberl in der Nase. Aber ich finde, es muss jedem selbst überlassen sein, ober er sich impfen lässt.“
Die Gäste sieht Jäger jedenfalls nicht als Problem. „Die sind ja alle getestet. Das ist sowieso sinnvoller als impfen“, meint er. Und betont mehrfach: „Ich bin kein Impfgegner.“ Auf Nachfrage versichert er: „Bei uns in Spiss gibt es auch keine Verschwörungstheorien.“ Insel der Seligen ist das Bergdorf übrigens keine: Seit Beginn der Pandemie gab es fünf Corona-Fälle, teilt das Land auf Anfrage mit.
„Was wissen wir denn genau über die Impfung?“
Fällt in Klagenfurter SPÖ-Kreisen der Name Peter Ebner, wird es meist still. Der Bürgermeister der kleinen Kärntner Gemeinde Stall im Mölltal gilt als streitbar. Vor allem seit Corona den Alltag bestimmt. Stall weist mit 28,65 Prozent Vollimmunisierten die niedrigste Quote in ganz Österreich auf. Deswegen gab es am Samstag auch Besuch von einem Impfbus. Ein klares Zeichen der Landesregierung, dass kein Versuch unversucht bleiben soll, auch die letzten Impfmuffel zu überzeugen.
In Stall ist der Bus am sonnigen Mittwochnachmittag kein Thema. Im Schwimmbad mit einem Becken und Plastikrutsche wird munter getobt. Zu Impfungen oder Corona will niemand etwas sagen.
Bürgermeister Peter Ebner (SPÖ) erreicht man krankheitsbedingt nur telefonisch. „Ich habe einen Postwurf gemacht und die Leute aufgefordert, dass sie sich impfen lassen sollen“, sagt er. Auf der Anschlagtafel vor dem Gemeindeamt weist ein großer weißer Zettel zwar auf die Gipfelmesse um 11 Uhr am Samstag am Sängerkreuz hin. Die Ankunft des Impfbusses ist aber nirgends zu finden.
Warum die Impfmoral in seinem Ort so gering sei? „Ja, wen wundert’s? Wir hatten sehr viele alte Leute mit Komplikationen nach der Impfung, so was macht halt die Runde“, sagt Ebner. Offenbar auch bis in den Nachbarort Mörtschach: Impfquote 32,7 Prozent. Dass Ebner, seit 1997 im Amt, als Impfkritiker gilt, dazu steht er. „Es soll mir jemand sagen, was wir genau über die Impfung wissen. Dann kommen die Experten plötzlich drauf, dass wir in neun Monaten wieder nachimpfen müssen. Wem soll man denn noch glauben?“
Der 69-Jährige ortet auch einen Impfzwang durch die Hintertür. „Weil die Privilegien ja nur jene kriegen, die geimpft sind“, sagt er. Ob er selbst geimpft ist, will man wissen: „Ja, ich gehe doch nicht drei Mal in der Woche testen“, lautet die Antwort. Ob der Schritt auch eine Vorbildfunktion habe? „Wenn Sie das so sehen wollen, dann ja.“
„Liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen“
Arbesbach im Bezirk Zwettl in Niederösterreich ist eine ÖVP-geführte Gemeinde. Bei der Gemeinderatswahl 2020 erhielt die Partei 87 Prozent der Stimmen. Ein Prozentsatz, von dem so mancher Politiker und Infektiologe auch bei der Durchimpfungsrate träumen würde. In Arbesbach ist man davon weit entfernt. „Die Teilnahme ist schlecht“, sagt Bürgermeister Martin Frühwirth, mit 39,2 Prozent Vollimmunisierten ist der Ort weit unter dem Durchschnitt.
Warum? „Bei uns in der Region gibt es viele Impfskeptiker, nicht erst seit Corona, viele haben auch ihre Kinder gegen gar nichts impfen lassen“, erklärt der Ortschef. Die nächste Impfstraße (die jetzt auch abgebaut wird) ist elf Kilometer entfernt. Die Entfernung sei aber sicher kein Grund, sagt der Bürgermeister. „Wir unterstützen alle, die sich impfen lassen möchten, helfen bei der Anmeldung und informieren die ganze Gemeinde über die Impfangebote“, betont er.
Sorge ob der vergleichsweise niedrigen Impfquote hat er nicht, weil sich alle an die Maßnahmen halten. „Die, die nicht geimpft sind, lassen sich testen“, sagt er. Aktuell gebe es einen Infizierten in der Gemeinde.
Im kleinen Ortszentrum hört man noch weitere Vermutungen, warum die Impfbereitschaft geringer ist: der gefühlte Zwang durch die Regierung etwa oder die Notfallzulassungen. „Es ist eine sehr katholische Gemeinde und was man so liest, sind manche in der Kirche ja nicht so für die Impfung“, meint eine andere – geimpfte – Einheimische. Das „könnte sein, muss aber nicht“.
Im Pfarrhof hält man diese Erklärung für abstrus, aber „eine Impfstraße wie im Stephansdom werden wir sicher keine bei uns machen“, sagt Diakon Friedrich Fürst. „Unsere Aufgabe ist die Seelsorge, wir sind für die Menschen da.“ Eigenverantwortung sei das Zauberwort. Darauf setzt auch der Ortschef. „Das Thema gäbe es her, zu spalten, das wollen wir aber nicht. Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, das beste zu tun. Es gibt ja Tage danach und da sollen wir alle miteinander können.“
Die meisten in Neubau, die wenigsten in Favoriten
Die Stadt Wien liegt im Bundesländer-Ranking auf Platz 6, vor Kärnten und Salzburg. Oberösterreich bildet aktuell mit 51,91 Prozent Vollimmunisierten das Schlusslicht. Aber wie sieht es in der Bundeshauptstadt im Detail aus?
Die höchste Durchimpfungsrate (62 Prozent) gibt es im Bezirk Neubau, 67 Prozent sind dort zumindest einmal geimpft. Im Gegensatz dazu steht Favoriten, wo fast 50 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund haben. Hier liegt die Impfrate bei nur 44,7 Prozent. Knapp die Hälfte der Bewohner hat die erste Dosis bekommen.
Am Ende der Tabelle, knapp vor Favoriten, befinden sich auch Brigittenau, Simmering und Rudolfsheim-Fünfhaus – der Bezirk mit der höchsten Quote an Bewohnern ausländischer Herkunft (54 Prozent).
Grundsätzlich lässt sich sagen: Jene Bezirke, die einen höheren Anteil an Risikopatienten haben, haben auch höheren Impfquoten. Grund dafür sind wohl die früh gestartete Impfkampagne sowie das höhere Alter der Bewohner. In Bezirken, wo die Akademikerquote relativ niedrig ist, gibt es auch niedrige Impfraten.
Gutes Beispiel ist die Innere Stadt. Hier gibt es eine relativ hohe Durchimpfungsrate (60,5 Prozent) und einen durchschnittlichen Migrantenanteil (37,1 Prozent). Gleichzeitig ist es der älteste Bezirk Wiens (Durchschnittsalter: 47,5 Jahre). Der erste Bezirk hat beinahe die wenigsten jungen Menschen (3,4 Prozent) und die höchste Akademikerquote (50,5 Prozent).
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