Wie der Wolf in Kärnten den Tourismus bedroht
Der Ort der Diskussion hätte kaum besser gewählt werden können: Kärnten, jenes Bundesland, das in Österreich als erstes den streng geschützten Wolf zum Abschuss frei gegeben hat, lud am Mittwochabend zur Diskussion. Es galt eine Antwort auf die heikle Frage zu finden, ob die Rückkehr des Wolfes auch zu einer Bedrohung des heimischen Tourismus werden könnte?
Unter dem Titel "Der Wolf und sein Revier - Auswirkungen auf den Tourismus?" diskutierten im Festsaal der Kärntner Wirtschaftskammer Experten vor Gästen, die vorwiegend in schicken Kärntner-Jankern gekleidet kamen.
Das Thema polarisiert:
- Denn Kärnten-Touristen lieben Wanderungen
- Allfällige Schutzmaßnahmen werfen neue Probleme auf
- Und: Wolfsrisse auf den Almen sind mittlerweile ein großer Faktor. Das belegen die Zahlen.
Welche klaren Worte der stellvertretende Landeshauptmann Gruber (ÖVP) und wie sich die Kärntner darauf vorbereiten ein "Wolfsland" zu werden, lesen Sie im weiteren Verlauf des Artikels.
➤ Mehr lesen: Video von nächtlicher Wolfsichtung in Kärnten.
Die Forderung der Branche ist klar: Kärnten muss zur wolfsfreien Zone werden; bedroht werden Touristiker und Touristen in erster Linie nicht vom Wolf, sondern von Maßnahmen, die gegen das Raubtier ergriffen werden. Wie etwa scharfe Herdenschutzhunden, die aggressiv auf Wanderer reagieren und Schutzzäune, die Wege auf die Almen versperren.
Klare Worte fand gleich zu Beginn Landeshauptmann-Vize, Martin Gruber (ÖVP), der kurz zuvor noch die Aufteilung der Regierungsressorts in der Landesregierung präsentiert hatte: "Der Wolf hat in unserer Kultur nichts verloren." Von den Zusehern gab es dafür Bravo-Rufe. Gruber betonte abermals, dass er sich schützend vor jeden Jäger stellen würde, der legal und laut Verordnung in Kärnten einen Wolf erlegt. Bisher war dies drei Mal der Fall.
Kärnten als wolfsfreie Zone
Gruber nahm auch auf den Tourismus-Bezug. Weder Herdenschutzzäune, noch Herdenschutzhunde seien aus der Sicht des stellvertretenden Landeshauptmanns für den Tourismus möglich. "Ein Herdenschutzhund beschützt die Herde und zwar nicht nur vor dem Wolf, sondern auch vor dem Wanderer." Auch der Präsident der Landwirtschaftskammer Kärnten, Siegfried Huber, wurde deutlich: "Wir werden so lange arbeiten, bis Kärnten eine wolfsfreie Zone ist."
2022 war ein blutiges Jahr für die Kärntner Almwirtschaft. 398 Tiere wurden vom Wolf gerissen, elf verletzt, 447 galten als vermisst.
28 verschiedene Wölfe wurden 2022 in Kärnten nachgewiesen. Trotz Wolfsverordnung, die einen legalen Abschuss des an sich streng geschützten Tieres ermöglicht, habe sich die Zahl der Risse von 2021 auf 2022 mehr als verdoppelt, gab die Almwirtschaft bei einer Tagung bekannt.
In Kärnten gibt es zudem mittlerweile zwei Rudel. Das Kreuzeck- und das Hochstadel-Rudel. Bisher wurden in Kärnten legal drei Wölfe erlegt.
Ist die Situation wirklich so dramatisch im Süden des Landes? Roman Kirnbauer, Wolfsbeauftragter des Landes Kärnten fand darauf eine klare Antwort. Die Zahl der Wölfe sei exponentiell gestiegen. Bisher gibt es zwei nachgewiesene Wolfsrudel in Kärnten. Nun liegen eindeutige Hinweise auf ein drittes und ein viertes Rudel vor. Eines davon, soll sich inmitten der beliebten Tourismusregion des Dobratsch, in Villach befinden. Daraum auch der Name: Dobratsch-Rudel. Der endgültige DNA-Beweis dafür fehlt aber noch.
➤Mehr dazu lesen Sie hier: Hinweise auf drittes Wolfsrudel mitten in Kärntner Tourismusregion
38 Wolfsrudel künftig in Österreich
Wie sich die Situation in Österreich entwickeln könnte, überließ man zunächst dem per Video aus der Schweiz zugeschalteten Biologen Marcel Züger, vom Ökobüro "Pro Valladas". Der Experte aus Graubünden rechnet aufgrund der Erfahrungen mit der Wolfspopulation in der Schweiz damit, dass sich in Österreich 38 Rudeln ansiedeln könnten. "Wir können uns auf eine sehr hohe Wolfsdichte freuen", sagte Züger. Sarkasmus inklusive. Wolfsbeauftragter Kirnbauer hält diese Zahl für realistisch.
Bei solch einer Dichte an Wölfen, wollte Züger auch keine Attacken auf Menschen ausschließen. "Wir wissen von Fällen in der Türkei, oder Russland." Nachsatz: "Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass die frei zugängliche Landschaft zunehmend passé wird. Das macht auch etwas mit dem Tourismus." Herdenschutz und Tourismus vertrage sich auch mit dem Blick aus der Schweiz nicht.
Wandern wie beim "Gefängnisfreigang"
Konkret sind damit Herdenschutzhunde und hohe Zäune gemeint, die Weidevieh vor Wölfen schützen sollen. "Ein Zaun, der gegen den Wolf wirklich hilft, würde auf zehn Kilometern rund 750.000 Euro kosten. Er wäre massiv, doch wer neben so einem Zaun wandert, kommt sich vor, wie bei einem Gefängnisfreigang", beschrieb es Züger. Auch Josef Obweger, Obmann der Kärntner Almwirtschaft betonte: "Herdenschutz ist eine massive Einschränkung für die Erreichbarkeit von Almen. Ich bin überzeugt, dass dies Auswirkungen auf den Tourismus haben wird."
Herdenschutzhunde als Lärmbelästigung
Bleiben die Herdenschutzhunde, die laut dem Schweizer Experten zwar "flauschig ausschauen, aber wie Türsteher für die Herde seien." Für Touristen seien die Hunde nicht nur eine Gefahr auf der Alm, weil diese die Wanderer als Bedrohung für die zu beschützende Herde ausmachen, sondern auch ein Störfaktor. "Diese Hunde kann man im Winter ja nicht einfach in den Gefrierschrank legen. Im Frühjahr, Herbst und Winter sind sie nicht auf der Weide, sondern im Tal und funktionieren wie Alarmanlagen. Sie bellen rund um die Uhr. Wenn ein Tourist in der Nacht keine Erholung findet, freut ihn das wenig", erklärte Züger.
Sozialisiert mit Rotkäppchen
Sollte tatsächlich ein Angriff passieren, dann warnt Züger vor verheerenden Auswirkungen für die betroffene Region.
Der Tourismus, in Form von Sigismund Moerisch, Fachgruppenobmann Hotellerie vertreten, stimmte all dem zu. "Die Urlaubsmotive jener, die nach Kärnten kommen, sind Wandern und ein Erlebnis in der Natur. Doch dieses ist durch den Wolf bedroht. Urbane Menschen, die in ihrer Sozialisierung das Rotkäppchen, oder eine gewisse Romantik im Hinterkopf haben, müssen erkenne, dass es alternativlos ist, hier einzugreifen." Worum es aus Sicht des Tourismus geht, liest sich in Zahlen so: In Kärnten bringt dieser eine Wertschöpfung von 2,3 Milliarden Euro.
Politisches Raubtier
Was Moerisch anspricht, ist nicht neu. Denn der Wolf spaltet die Bevölkerung und ist ein höchst politisches Thema. Dies verdeutlicht auch eine OGM-Umfrage für Servus TV.
Auf die Frage, ob man dafür oder dagegen ist, dass mit neuen Verordnungen das Abschießen von Wölfen erleichtert werden soll, sagen über 60 Prozent der ÖVP-Wähler (69 Prozent) und der FPÖ-Wähler (62 Prozent), dass sie dafür sind. Die Anhänger von SPÖ, Grünen und Neos wiederum sind mit jeweils rund 60 Prozent und mehr dagegen.
In der Gesamtschau auf die österreichische Bevölkerung halten sich Befürworter und Gegner von Wolf-Abschüssen mit 45:46 Prozent die Waage. Das in den vergangenen Jahren wieder nach Österreich zurückgekehrte Raubtier spaltet also massiv.
Stadt-Land-Gefälle
Diese Spaltung verläuft auch an der Grenze zwischen Stadt und Land. Im urbanen Raum sind die Gegner von Abschüssen mit 57:32 Prozent klar in der Überzahl, am Land sind es mit 60:33 Prozent die Befürworter.
Und selbst auf familiärer Ebene taugt der Wolf zum Streitthema. 55 Prozent der Männer sind fürs Schießen, 52 Prozent der Frauen dagegen.
Gegenstimmen?
Kritische Stimmen gegen das Gesagte suchte man am Mittwochabend in Klagenfurt übrigens fast vergebens. Nur ein Demonstrant hatte sich vor der Wirtschaftskammer eingefunden. Um die Ehre des Wolfes zu retten.
Kommentare