Hoch über Mörtschach in Kärnten steht eine kleine Kapelle. Sie wurde errichtet, als der letzte Wolf im Tal geschossen wurde. Nun sind die Wölfe zurück. Die Einheimischen pilgern dagegen an.
„Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesu.“
Mit sicherem Schritt schreitet Sepp Suntinger voran. Der Hut mit Almrausch sitzt, die linke Hand hält den kleinen Sohn, die rechte einen Rosenkranz. Das Gebet kommt ihm trotz Steigung ohne Atemprobleme über die Lippen. Ebenso wie jenen rund 30 Personen, die Suntinger, Vorbeter an diesem Pfingstsonntag hoch über Mörtschach im Bezirk Spittal an der Drau in Kärnten, auf seinem Pilgerweg folgen.
Wofür sie pilgern? Den Wolf. Oder vielmehr zum Dank an eine Zeit, als der letzte Wolf der Gegend starb. „Die Leute haben damals sogar den Wald gerodet, damit die Wölfe verschwinden. Als es dann so weit war, wurde eine Kapelle erbaut und dorthin pilgern wir jedes Jahr am Pfingstsonntag“, erzählt Friedl Suntinger, Obmann der Agrargemeinschaft Astner Hochalm, Bergbauer und Hirte, mit leiser Stimme. Sechs Kinder habe er, eines davon ist Sepp, der Vorbeter, den er nur ungern stört.
Vorbeter und Kreuzträger führen die Prozession an. Die Kapelle wurde um 1800 bis 1850 erbaut
Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.
„Aber jetzt geht das alles wieder los, das kann es doch nicht sein“, sagt der 69-Jährige noch im Flüsterton.
Pfefferspray zum Schutz
Mit „das“ sind unzählige Wolfssichtungen und Risse von Tieren noch vor Beginn der Almsaison im Mölltal gemeint. Abschussgenehmigungen für den Wolf in Kärnten gab es. Offiziell wurde jedoch nie ein Tier erlegt.
„Wir pilgern aus Dank, dass der letzte Wolf verschwunden ist. Aber jetzt geht alles wieder von vorne los.“
Bergbauer Friedl Suntinger
Seit 60 Jahren ist Friedl beim Pilgergang zur sogenannten „Moaskapelle“, die von den Einheimischen Wolfskapelle genannt wird, mit dabei. Doch so brisant wie heuer war das Wolfsthema selten. „Ich habe mir jetzt sogar einen Pfefferspray gekauft, man kann ja nie wissen, wie sich das Raubtier verhält“, sagt Daniela Suntinger, Schwiegertochter von Friedl. Ihren Sohn Jonas lasse sie nur mehr ungern am Bergbauernhof spielen.
WWF gegen Almbauern
Zwischen den „Gegrüßet seist du Marias“, sorgt neben dem Wolfsthema nur ein Interview des Wolfsbeauftragten der Naturschutzorganisation WWF für mehr Verstimmung unter den Pilgern. WWF-Experte Christian Pichler soll darin den Kärntner Hirten sinngemäß vorgeworfen haben, ihren Job zu locker anzugehen und eher in Urlaubsstimmung zu sein. „Das ist eine Frechheit. Die Herren sollen einmal auf unsere Alm kommen“, sagt Friedl, spannt seinen Regenschirm auf platziert sich vor der Wolfskapelle, die nach zwei Rosenkränzen erreicht ist.
Biologie
Ein Wolf kann bis zu 60 Kilo schwer werden. Die in Europa streng geschützten Tiere leben in Rudeln von fünf bis zwölf Tieren. Ihr Streifgebiet liegt zwischen 75 und 2.500. Täglich frisst ein Wolf bis zu sieben Kilo Fleisch.
45 Wölfe
sollen laut Naturschutzorganisation WWF derzeit in Österreich leben. Zum Vergleich: In der Schweiz sind es 150.
Die Mutter Gottes in der Steinnische wird von Grabkerzen beleuchtet. Die Pilger haben einen Halbkreis gebildet, an dem selbst dann festhalten wird, als es zu hageln beginnt. So ein bisschen Unwetter schreckt einen Mörtschacher nicht ab.
Kampfbereit hat man auch auf die Attacke auf die Hirten reagiert. Ein offener Brief vom Chef des Kärntner Almwirtschaftsvereins, Josef Obweger, war die Folge. Inhalt: So geht man nicht mit Kärntner Hirten um.
Obweger ist es nun auch, der an der Kapelle das Wort ergreift: „Es heißt immer, wir haben nur verlernt, mit dem Wolf zu leben. Aber diese Kapelle aus dem Jahr 1800 bis 1850 beweist das Gegenteil. Wir haben nie mit dem Wolf gelebt. Und dies versinnbildlicht diese Tradition. Trotz aller Sorgen wünsche ich euch einen guten Almsommer“, sagt Obweger.
Im Laufschritt und mit Hagelsturm geht es dann talwärts. „Beim Wetter hat das Beten jedenfalls nix g‘nutzt“, sagt eine Pilgerin. Amen.
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