Warum die Wut gegen Klimaaktivisten immer mehr in Gewalt umschlägt
Seit Wochen berichten Mitglieder der "Letzten Generation" von Anfeindungen und Beschimpfungen, die ihnen auf der Straße von wütenden Autofahrern entgegen geschleudert werden. Videos, die vor allem auf Twitter kursieren, zeigen, wie die Aktivisten von Passanten oder Lenkern von der Straße gezerrt oder teilweise auch getreten werden.
Nun scheint die Aggression ein neues Level erreicht zu haben, wie ein Vorfall bei der Protest-Aktion am Verteilerkreis zeigt.
Ein bisher unbekannter Mann zückte vergangenen Mittwoch ein Stanleymesser, die Klinge sei laut Polizei aber nicht ausgefahren gewesen. Dabei handle es sich um die erste Drohung mit einer Waffe gegen die Aktivisten, die der Polizei bekannt sei, hieß es gegenüber der APA. "Es wurde eine Anzeige wegen gefährlicher Drohung gelegt", sagte Sprecher Markus Dittrich. Ermittelt werde aber gegen mehrere Personen.
"Die Gewalt gegen uns nimmt ganz klar zu. Aber es ist auch kein Wunder, wenn wir überall als Kriminelle dargestellt werden, dann fühlen sich die Leute im Recht, gegen uns vorzugehen", sagt Florian Wagner, Sprecher der "Letzten Generation" auf KURIER-Anfrage.
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Das würden vor allem ähnliche Fälle aus Deutschland zeigen. "Bei den Aktionen dort gingen Autofahrer oft auf die Aktivisten los, während Polizisten direkt daneben standen. Diese Leute denken nicht daran, dass sie sich damit strafbar machen", so Wagner.
"Hass schlägt in Wut um"
Ähnlich sieht das auch Medienethikerin Claudia Paganini, Professorin an der Münchner Hochschule für Philosophie. "Wenn man sich die Hass-Sprache ansieht, die gegen die Klimaaktivisten seit Monaten eingesetzt wird, ist es keine Überraschung, wenn diese Wut irgendwann in Gewalt umschlägt", sagt Paganini. Aus Sicht der Forscherin schüren Begriffe wie "Klima-Terroristen" oder "Klima-Chaoten" eine immer aufgeheiztere Stimmung in Bezug auf die Proteste.
Maßgeblich beteiligt daran seien die Medien sowie die Politik. "Viele Menschen konsumieren Medien eher nebenbei und übernehmen dann unbewusst die Wertungen aus den Berichten. Auch die Darstellung der Aktivisten spielt eine Rolle", so die Medienethikerin und greift damit das Argument von Wagner auf. "Werden Aktivisten kriminalisiert, fühlen sich Menschen im Recht, Selbstjustiz zu üben", kritisiert Paganini.
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Auch bei der Polizei erkenne man laut Informationen der APA eine "leichte Tendenz zu Gewalt". "Es gibt immer wieder Situationen, wo es zu Übergriffen kommt", bestätigt Polizeisprecher Markus Dittrich.
Am Mittwoch - bei der erwähnten Protestaktion am Verteilerkreis - schlug den Klimaaktivisten besonders viel Wut entgegen. Auslöser war ein Rettungseinsatz. Durch die Verkehrsblockade der "Letzten Generation" sei ein Einsatzfahrzeug auf dem Weg zu einer Reanimation behindert worden, so lautete zunächst der Vorwurf.
Patient lang reanimiert
Wie sich dann aber am Mittwochabend herausstellte, wurde der 69-jährige Patient, der in Niederösterreich wohnte, bereits von einem zweiten Rettungsteam versorgt. "Wir haben den Mann über eine Stunde lang reanimiert, wir konnten aber letzten Endes nichts mehr für ihn tun", sagt Andreas Zenker, Sprecher vom Roten Kreuz Niederösterreich.
"Weil sich der Einsatz im Grenzgebiet befindet, wurden alle Teams relativ zeitgleich verständigt", sagt die Sprecherin der Wiener Berufsrettung Corina Had. Wie spät genau die Wiener Berufsrettung über das Eintreffen des niederösterreichischen Teams informiert wurde, könne Had aber nicht mehr sagen, das Rettungsauto habe sich jedenfalls im Stau befunden.
Am Weg zur falschen Adresse
Dass die Verkehrsblockade der "Letzten Generation" in der Causa das grundsätzliche Problem gewesen sein soll, dementiert auch ein Insider gegenüber dem KURIER. "Aufgrund eines gravierenden Fehlers eines Mitarbeiters wurden mehrere Rettungskräfte zu einer falschen Adresse in Wien geleitet. Als der erst eingetroffene Rettungswagen Rücksprache mit der Rettungsleitstelle hielt, stellte sich ein grober Fehler heraus, die Adresse des zu reanimierenden war nicht in Wien, sondern in Niederösterreich", so der Vorwurf an die Berufsrettung Wien.
Sprecherin Had gab zwar zu, dass es eine "Spezifizierung der Einsatzadresse" gegeben habe, nähere Details wollte sie dazu nicht bekanntgeben. Laut einem Bericht des Standard sei das Einsatzfahrzeug der Wiener Rettung statt in die Mautner-Markhof-Straße in Schwechat in die gut sechs Kilometer entfernte Mautner-Markhof-Gasse in Wien-Simmering geschickt worden.
Wie lange es dauerte, bis der Fehler bekannt wurde, wollte Had auf KURIER-Anfrage nicht beantworten. "Die Änderung wurde während des Notrufs bekanntgegeben", so Had.
Im Verfassungsschutzbericht
Die Klimaproteste der "Letzten Generation" werden auch im heute präsentierten Verfassungsschutzbericht 2022 erwähnt. Minister Karner führte dazu aus: "Selbstverständlich stehen auch radikale Klimaaktivisten unter Beobachtung des Staatsschutzes."
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So konnte etwa verhindert werden, dass das Neujahrskonzert gestört wurde. Gruppierungen im linksextremen Bereich würden versuchen, die Bewegung für sich zu nutzen. Auch an der Gaskonferenz im Frühjahr in Wien hätten gewaltbereite Aktivisten teilgenommen, so Karner.
Personen, die sich für Umweltschutz einsetzen, seien aber natürlich nicht per se als verfassungsfeindlich einzustufen, beteuerte er. Auf die Frage, ob gegen Menschen, die sich zum Protest auf der Straße festkleben, schärfer vorgegangen werden solle, meinte er, dass sich die Exekutive stets nach der geltenden Gesetzlage richte.
"Kleben und kleben lassen"
Dort wo eine Gefährdung bestehe, greife man ein. Andernfalls gelte „kleben und kleben lassen“. Gruppierungen wie „Last Generation“ und „Extinction Rebellion“, also zwei Organisationen, die Klimaschutz-Aktivismus betreiben, werden „aktuell“ nicht als linksextrem eingestuft, wird im Bericht klargestellt.
Im Zusammenhang mit den Protesten gab es seit 2. Mai insgesamt 64 vorläufige Festnahmen und 168 Anzeigen. Im Einsatz standen laut Angaben der Polizei insgesamt 982 Beamte.
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