Wärmere Temperaturen bringen Schnee, bei dem Kreuzbänder reißen
Fußballer-Knie mit einem Transferwert von mehr als 600 Millionen Euro lagen seit 2018 auf dem OP-Tisch von Chirurg Christian Fink.
KURIER: Welchen Tipp geben Sie Skifahrern in den Semesterferien mit auf die Piste?
Fink: Möge die Euphorie nicht mit ihnen durchgehen. Selbst wenn gute Verhältnisse herrschen, eine Woche ununterbrochen auf Skiern zu stehen, sind die wenigsten gewohnt. Dafür reichen Kraft und Training meist nicht aus. Das zeigt auch ein Blick auf die Unfallstatistik: Ab Mittwoch oder Donnerstag nehmen die Unfälle zu. Dasselbe gilt während eines Ski-Tages: der Nachmittag bringt mehr Unfälle. Die Kraft schwindet, die Müdigkeit nimmt zu, das Knie ist kaputt.
Wie viele Knie haben Sie in diesem Winter schon auf ihrem OP-Tisch gehabt?
Seit Dezember ziemlich genau 100. Wobei die klassische Verletzung nach wie vor das Kreuzband ist.
Eine Diagnose auch bei vielen Star-Fußballern. Seit 2018 vertrauten Ihnen Kicker mit einem Transferwert von mehr als 600 Millionen Euro ihre Knie an. Machen solche Summen nervös?
Der Druck, gerade im Fußball, ist kein kleiner. Und ganz ehrlich: die vergangenen zwei Jahre sind an die Substanz gegangen. Denn alles außer perfekt, ist in diesem Sport und bei diesen Summen nicht vorgesehen. Aber eine Operation ist immer mit gewissen Risiken verbunden. Während der OP spürt man diesen Druck nicht, aber davor und danach geht das Kopfkino schon einmal mit einem durch: Man schläft schlecht, überlegt, was passiert, wenn der Betroffene nie mehr Fußballspielen kann, es gibt den Teamarzt, der nicht müde wird zu betonen, wie wichtig dieses eine Knie ist…So etwas lässt einen nicht kalt.
Das Knie einer Mitzi Huber ist also die Entspannung im Vergleich zu einem Knie wie von Star-Fußballer Leroy Sané?
Wir haben vielleicht zehn Prozent sogenannte Promi-Knie. Ein Sportler-Kreuzband wird aber nicht anders operiert als jenes einer Mitzi Huber. Nur davor schläft man besser.
Gefragter Spezialist
Der gebürtige Oberösterreicher gilt als einer der besten Kniespezialisten. Athleten des ÖSV und viele internationale Skigrößen vertrauen seinen Fähigkeiten. Norwegens Skistar Aleksander Kilde wurde etwa im Jänner 2021 von Fink operiert, nun holte er zwei Olympia-Medaillen
600 Millionen Euro
Seit dem Jahr 2018 lagen verletzte Fußballer-Knie mit einem Transferwert von mehr als 600 Millionen Euro auf dem OP-Tisch von Universitätsprofessor Christian Fink. Darunter: Die Stars des deutschen Rekordmeisters FC Bayern: Manuel Neuer und Leroy Sané. Ebenso wie Giorgio Chiellini, der Abwehrchef von Juventus Turin
Ist ein Kreuzband mittlerweile nicht schon so etwas wie ein Durchlaufposten? Beim ÖSV stand heuer Daniel Hemetsberger nach vier Kreuzbandrissen wieder auf dem Stockerl. Bei den Damen, Cornelia Hütter, nach drei Kreuzbandrissen in vier Jahren.
Ich kenne diese beiden Knie sehr gut. Und nein, eine Kreuzbandverletzung ist nicht zu bagatellisieren, das ist eine schwere Verletzung. Aber was zeigen uns diese Erfolge? Einerseits: Die Leute kommen wieder in den Spitzensport zurück, was früher nicht in diesem Ausmaß möglich gewesen wäre. Andererseits: Genau diese erfolgreiche Rückkehr ist das größte Risiko einer Wiederverletzung. Man macht als Chirurg kein Kreuzband rein und raus. Ist ein Kreuzband verletzt, sind meistens auch Meniskus und Knorpel betroffen. Alles Dinge, die für ein Knie nicht folgenlos bleiben.
Würden längere Regenerationspausen das Risiko einer neuerlichen Ruptur verhindern?
Nein. Wer in einen Risikosport zurückkehrt, hat eine 20 bis 25 prozentig Chance, dass er sich erneut verletzt. Das Problem ist nicht, dass man zu früh zurückkommt, sondern, dass diese Rückkehr auf einem extrem hohen Leistungsniveau erfolgt. Dazu bleibt ein Kreuzband, das nach wie vor reißen kann. Wir als Ärzte können es im Idealfall so gut wie Mutter Natur nachbauen. Besser als die Natur schaffen wir es aber nicht.
Sprechen wir über Nicole Schmidhofer: Nach einem Verrenkungsbruch, bei dem alle Bänder gerissen sind, hat Sie ihre Comeback-Skisaison vorzeitig beendet. Weil Sie sich körperlich nicht fit genug gefühlt hat. Ein bewundernswerter Schritt?
Dies Entscheidung kann man gar nicht hoch genug schätzen. Es war ein absolut sinnvoller Schritt. Gerade für eine Athletin, in einem Olympiajahr, ist dies nicht leicht. Daraus kann man sehr viel lernen.
Verändert sich das Muster bei Knieverletzungen durch das veränderte Material, Stichwort Carvingski?
Wenn man bedenkt, wie viele Menschen auf den Pisten unterwegs sind, war Skifahren – relativ gesehen – noch nie so sicher. Aber natürlich haben sich die Verletzungsmuster verändert. Beim Lederskischuh gab es Knöchelbrüche. Jetzt ist die Bindung perfekt, aber das Knie bleibt der Schwachpunkt. Hinzu kommt die Schneekonsistenz: Ist es eisig und glatt, sehen wir vor allem Schienbeinkopf- und Schulterverletzungen. Das ändert sich bald.
Inwiefern?
Mit den wärmeren Temperaturen wird der Schnee schwerer. Das ist klassischer Knieschnee. Bei so einem Schnee reißen Kreuzbänder.
Für den Hobbysportler mag Skifahren sicher wie nie sein, gilt dies auch im Rennsport?
Man hat im Rennsport mit vielen Mitteln gegengesteuert. Aber das ist wie in der Formel 1. Man macht Regeln und dann gibt es Firmen bzw. Hersteller, deren Auftrag es ist, innerhalb dieser Regeln das Maximum auszuschöpfen. Ganz nüchtern gesprochen: In einem Bereich, wo Hundertstelsekunden über Sieg oder Niederlage entscheiden, wird das aggressivste Material den Siegerski bestimmen. Jeder mag sich bemühen, aber am Ende will keiner den sichersten, sondern den schnellsten Ski.
Fahren Sie selbst noch Ski?
Sicher, das ist mein schönster Sport. Allerdings muss man seine Grenze kennen.
Die „Bild“-Zeitung hat Sie zum „Knie-Papst“ gekürt…
… und danach gefragt, ob mir das gefällt. Mein Kommentar war: „Vom Papst zum Ösi-Idioten der Nation ist es nicht weit“. Wenn ein Leroy Sané doch nicht spielen hätte können, wäre vielleicht genau das passiert.
Was erdet Sie?
Meine Familie. Die „Gazetta dello Sport“ hat mich einmal als „Magier“ der Knie bezeichnet. Das habe ich meiner Frau erzählt und wissen Sie, wie sie reagiert hat? Sie hat nur gelacht. Genau so muss das auch sein. Im Bereich des Spitzensports entscheiden Manager, Trainer etc. über deine Qualitäten. Wenn einmal etwas nicht so läuft wie geplant, dann kann dieser Teil meiner Arbeit ganz schnell vorbei sein. Dessen muss man sich immer bewusst sein.
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