Vorletzter Tag im Terrorprozess: Zwischen "Beweismangel" und Höchststrafe
In rund einer Stunde fasste die Staatsanwältin am Dienstagvormittag 14 intensive Verhandlungstage im Wiener Terrorprozess zusammen. Ohne auch nur einmal den Blick von den Geschworenen abzuwenden, sagte sie durchaus emotional: „Ich glaube den Angeklagten kein Wort.“
Diese saßen während der gesamten Verhandlung schweigend auf der Anklagebank – sechs sorgfältig gekämmte junge Männer in Hemden. Nur die schwerstbewaffneten Polizisten daneben deuteten darauf hin, dass es sich um potenziell höchstgefährliche Extremisten handeln könnte. Nur hin und wieder blickten sie suchend in den Saal zu ihren Angehörigen oder flüsterten ihren Verteidigern Fragen zu.
Ich glaube den Angeklagten kein Wort. Für einen derart hinterhältigen Anschlag gibt es nur eine Strafe
Gebaut, um zu töten
Zur Last gelegt wird den sechs Angeklagten die Beteiligung an terroristischen Straftaten in Verbindung mit Mord, terroristische Vereinigung und kriminelle Organisation. Ihnen droht die Höchststrafe von 10 bis 20 Jahren bzw. lebenslang. Alle waren laut Staatsanwaltschaft zum Tatzeitpunkt radikalisiert und teilten die menschenverachtenden Motive des Täters.
So etwa der Fünft- und der Sechstangeklagte, die beide zugegeben haben, Kujtim F. bei der Beschaffung der Waffen geholfen zu haben – allerdings ohne zu wissen, was er damit vorhatte.
„Was macht ein verurteilter IS-Verbrecher mit einer Kalaschnikow?“, kommentiert das die Staatsanwältin. „Eine AK47 wird nur zum Töten gebaut.“ Auch Chats des Sechstangeklagten zitiert sie, in denen es etwa heißt, man müsse gegen jedes Land kämpfen, in dem nicht die Scharia herrsche.
Auch gegen die anderen Angeklagten präsentierte die Staatsanwaltschaft erneut belastendes Material. Der Erstangeklagte etwa, der den späteren Todesschützen nach Bratislava fuhr, habe seine Aussagen immer wieder geändert. Außerdem wird er beschuldigt, den Drittangeklagten nach dem Anschlag vor einer Razzia gewarnt zu haben.
Die Anklagebehörde wirft den sechs jungen Männern im Alter von 22 bis 32 Jahren vor, den Wien-Attentäter Kujtim F. „physisch oder psychisch unterstützt“ und damit am 2. November 2020 zu „vier Toten und 23 Verletzten beigetragen zu haben“.
Für einen derart hinterhältigen terroristischen Anschlag sei in einem friedlichen Land wie Österreich kein Platz, hält die Staatsanwältin fest. „Es kann dafür nur eine Strafe geben“, appellierte sie abschließend.
Bei diesem sowie dem Zweitangeklagten soll es sich um langjährige Freunde von Kujtim F. handeln. Ihnen wird vorgeworfen, das Anschlagsziel mitausgesucht zu haben. Stunden vor dem Anschlag trafen sie den Attentäter noch ein letztes Mal. Einer der jungen Männer dürfte kurz davor sein Handy zurückgesetzt haben.
Ab dem Terrorangriff ganz ausgeschaltet war das Mobiltelefon des Viertangeklagten. Er wohnte bei Kujtim F. Seine Frau ließ der Beschuldigte Propagandamaterial übersetzen, in Chats schrieb er, er hasse diese Welt, Ungläubige müsse man töten. Seine DNA wurde offenbar auf der Waffe und der Munition gefunden.
Die Beweislage reicht nicht aus. Recht muss Recht bleiben. Auch wenn ein derart arger Anschlag passiert
Naturgemäß anders sahen all das die Verteidiger der jungen Männer. So wurde der „Mitbewohner“ des Attentäters als „Unglücksrabe“ bezeichnet, weil er vorübergehend in der Wohnung lebte. Das DNA-Gutachten der Sachverständigen wurde „als glatte Fehlleistung“ kritisiert.
Trotz einiger Mikrofonausfälle waren sich die sechs Strafverteidiger in ihren Plädoyers einig: Recht müsse Recht bleiben, selbst bei einer fürchterlichen Tat wie dem Terroranschlag. Die Beweislage reiche in vielen Anklagepunkten nicht für eine Verurteilung der Mandanten aus.
Urteil am Mittwoch
Entscheiden müssen das am Mittwoch aber die Geschworenen. Den aus Sicherheitsgründen anonym gebliebenen Laienrichtern wurde am Dienstag von allen Seiten für ihr „außerordentliches Engagement“ gedankt. Am Mittwochvormittag nehmen sie ihre Beratungen über die Schuldfrage auf. Mit der Urteilsverkündung ist am Nachmittag zu rechnen.
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