Vorarlberg: Vor der ersten Landtagswahl nach der blauen Welle
Donnerstag in Lustenau. Noch zehn Tage bis zur Landtagswahl. Über Vorarlberg hängen dunkle Wolken. Als FPÖ-Landesobmann Christof Bitschi zum Wahlwerben am – wegen seiner Bodenfarbe sogenannten – „blauen Platz“ bei einem Wochenmarkt aufschlägt, erwischt er ein Sonnenfenster.
Bei ihm und seinem Team könnte die Stimmung nicht besser sein. „Gratuliere“, ruft dem 33-Jährigen ein vorbeieilender Passant zu. Vier Tage zuvor ist bei den Nationalratswahlen eine blaue Welle über Österreich gerollt, die auch vor dem äußersten Westen des Landes nicht halt gemacht hat. „Das gibt natürlich Rückenwind“, sagt Bitschi.
In Schlagdistanz
Mit 28 Prozent kam man der ÖVP in Vorarlberg, die nur um zwei Prozent vorne blieb, denkbar nahe. Der Süden des schwarzen Kernlandes wurde blau eingefärbt. Aber auch in Städten und zwei Bezirken konnte die FPÖ Platz eins erobern.
„Macht weiter so“, sagt ein mit den Freiheitlichen sympathisierender Wirt zu Bitschi in einer Wahlkampfpause. Und kredenzt ihm einen Cappuccino – der Milchschaum ist mit einem FPÖ-Schriftzug aus Kakao verziert.
Dass die Vorarlberger Freiheitlichen am kommenden Sonntag bei der Landtagswahl kräftig zulegen werden, ist praktisch fix. „Wir kommen von einem niedrigen Niveau. Der Ausblick, dass wir bei der 2024er-Wahl wahrscheinlich zu den Wahlsiegern gehören werden, war das einzige Positive an 2019“, sagt Bitschi.
Der tiefe Fall
2019. Das war das Jahr, in dem die FPÖ nach dem Ibiza-Skandal zunächst bei den vorgezogenen Nationalratswahlen und dann zwei Wochen später auch in Vorarlberg bei den Landtagswahlen – erstmals mit Bitschi an der Spitze – massiv abstürzte.
Wie hoch die Balken am Sonntag kommender Woche für seine Partei in die Höhe schießen, ist laut dem jungen Frontmann nicht das Entscheidende. „In Wahrheit ist der Abstand zur ÖVP das interessante. Das ist für mich der entscheidende Faktor. Wenn der Abstand kleiner als fünf Prozent ist, dann sind Verhandlungen deutlich besser möglich.“
Das erklärte Ziel ist eine Koalition mit der ÖVP, die seit 2014 mit den Grünen regiert. Vor fünf Jahren hatte Landeshauptmann Markus Wallner eine Koalition mit den Blauen ausgeschlossen. Dieses Mal hält er sich alle Optionen offen.
„Der Landeshauptmann hat zu mir mal gesagt, ich muss mich entscheiden, ob ich weiter Herbert Kickl die Schuhe putze oder eigenständige Politik mache“, sagt Bitschi, auf die einstige Abgrenzung Wallners gegenüber ihm persönlich angesprochen. „Er wird teilweise überrascht sein, wie eigenständig mittlerweile die Politik in der FPÖ funktioniert.“
Kickl-Kurs im Ländle?
Doch wo unterscheidet sich denn nun sein Kurs inhaltlich überhaupt vom sogenannten „Kickl-Kurs“? „Die Bundespartei macht inhaltlich einen absolut hervorragenden Job und positioniert sich genau richtig“, so der junge Frontmann. In der Vorarlberger Politik sei es aber traditionell so, dass sie „ein bisschen ruhiger, ein bisschen zurückhaltender formuliert“.
Freitag am Bregenzer Kornmarkt. Noch neun Tage bis zur Wahl. Es schüttet. Die Grünen haben, wie andere Parteien auch, einen Wahlkampfstand inmitten des Markttreibens aufgebaut. An jenem der Regierungspartei wird gegrillt.
Unter dem Motto „Es geht um die Wurst“ halten das langjährige Zugpferd der Landes-Grünen, Gesundheitsminister Johannes Rauch, Landesrat und Spitzenkandidat Daniel Zadra sowie Klubchefin Eva Hammerer eine Pressekonferenz ab.
Eine "Richtungsentscheidung"
Von der angeblichen Vorarlberger Zurückhaltung keine Spur. „Dieses schöne Land will ich mir von der FPÖ nicht kaputtmachen lassen“, donnert Rauch und will „mit allem, was wir haben“ für eine Fortsetzung von Schwarz-Grün kämpfen. Wer die wolle, „muss Grün wählen“. Es gehe um eine Richtungsentscheidung, „ob Vorarlberg blau eingefärbt wird“, wie Zadra meint.
Die Grünen hoffen, Wähler zurückzuholen, die am vergangenen Sonntag aus taktischen Gründen die SPÖ gewählt haben. Zudem will man „christlich-soziale“ Schwarze ansprechen. Und man zeigt sich überzeugt, dass der nächste Landeshauptmann wieder von der ÖVP kommen wird.
Der aktuelle heißt - inzwischen schon seit 13 Jahren - Markus Wallner und hat nach der Nationalratswahl ein Landeshauptmann-Duell mit Bitschi ausgerufen. Da der Landeschef letztlich vom Landtag gewählt wird, ist bei der Konkurrenz von „Wählertäuschung“ die Rede.
„Wer Erster wird, wird den Führungsanspruch erheben“, meint Wallner dazu. Die Botschaft sei „ganz stark an die eigene Wählerschaft und die eigenen Funktionäre gerichtet“. Denen wolle er klar machen, „dass ich die Frage, wer als Erster über die Ziellinie geht, wirklich nicht für ganz entschieden halte.“
Wallner, der zuletzt hörbar zu seinem grünen Koalitionspartner auf Distanz gegangen ist, sitzt an diesem nass-kalten Herbsttag in seinem Büro und sinniert nicht nur über den Wahlkampf. Ihn treiben auch die verfinsterten Prognosen für Österreichs Wirtschaft um, die wenige Stunde zuvor publik wurden.
Man müsse nun „möglichst verhindern, dass man in die nächste, vielleicht noch größere Rezession kommt“. Lichtblick aus Sicht des 57-Jährigen: „Die Wirtschaft bei uns selber ist gar nicht so negativ eingestellt.“
Plakat- und Inseratenflut verhindert
Der Wahlkampf der Vorarlberger Parteien läuft indes bereits auf Sparflamme. Die Landespolitik hat sich mit einem neuen Parteiengesetz ein finanzielles Korsett geschnürt, das eine Materialschlacht mit Plakat- und Inseratenflut verhindert. Umso wichtiger ist der direkte Kontakt mit den Wählern.
Die Neos sind in Altach auf einer Haus-zu-Haus-Tour. Spitzenkandidatin Claudia Gamon wird als „Reformkraft“ plakatiert. Das starke Abschneiden der FPÖ macht die 35-Jährige nachdenklich. „Schwarz-Blau passt nicht zu diesem Land. Wir sind weltoffen.“
Nach zehn Jahren im Landtag wollen die Neos in Regierungsverantwortung. Und dort vor allem „Bildung vollkommen anders gestalten“, so Gamon. Vorausgesetzt, „die ÖVP hat den Willen, die Dinge wirklich anzugehen“.
Pinke und rote Ziele
Voraussetzung ist freilich auch ein entsprechendes Wahlergebnis. Gamon will ihre Partei erstmals bei einer Vorarlberg-Wahl über die 10-Prozent-Marke führen und peilt ein besseres Ergebnis an, als es die Pinken im Ländle gerade bei der Nationalratswahl erzielt haben (12,6 Prozent).
Dieses Ziel hat sich Mario Leiter für seine SPÖ, die auf 13,1 Prozent kam, ebenfalls gesteckt. Damit würden die Roten wieder der Einstelligkeit der vergangenen beiden Landtagswahlen entkommen.
Leiter will aber mehr, drängt ebenfalls in eine künftige Regierung – auch wenn Schwarz-Rot in Vorarlberg keine Tradition hat. „Rechnerisch und ideologisch geht es nur mit der ÖVP“, sagt er. In Asylfragen gibt sich der 59-jährige Polizist restriktiv. Der rote Landeschef bezeichnet sich zudem selbst als „sehr wirtschaftsaffin“.
Die von seinem Bundeschef Andreas Babler noch vor einigen Wochen forcierte 32-Stunden-Woche „ist für Vorarlberg unrealistisch“, sagt er.
Wie weit Wunsch und Wirklichkeit bei den gesteckten Wahlzielen auseinanderklaffen, werden alle Parteien spätestens kommenden Sonntag wissen.
Kommentare