Das Innenministerium machte auf dieses Phänomen bereits vor einigen Wochen bei der Präsentation des aktuellen Cybercrime-Berichts aufmerksam.
„Gruppenzwang“
Der Bericht zeigt, dass die Anzeigen wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz im Internet stark steigen. 615 waren es 2021, bereits 909 im Vorjahr. Ein wesentlicher Teil dürfte auf jugendliche Täter zurückgehen. Das holocaustverharmlosende Sujet von Anne Frank befand sich auf dem Handy eines Zwölfjährigen.
Dass selbst die Jüngsten zu rechtsradikalen Gedanken neigen können, legen auch jüngste Fälle aus Deutschland nahe. Lehrer beklagten dort unlängst in einem offenen Brief, sie seien täglich mit Rechtsextremismus konfrontiert. So schlimm ist die Lage zumindest in Wien nicht, betont Pädagoge Patrick Wolf, der sich in der Bildungsdirektion mit dem Bereich Radikalisierung und Extremismus befasst: „Unsere Pädagogen können damit gut umgehen.“ In den meisten Fällen handle es sich um kein verfestigtes Gedankengut, sondern um die Absicht, zu provozieren.
Ähnlich sieht man das bei der Polizei, wo auf eine Mischung aus nicht nicht vorhandenem geschichtlichen Wissen, fehlendem Unrechtsbewusstsein sowie dem Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit verwiesen wird.
Hintertür ins Ausland
Strafbar ist dieses Verhalten nach dem Verbotsgesetz trotzdem – und die Regierung will jetzt sogar noch nachschärfen. Im Gesetzesentwurf, den Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Mittwoch in Begutachtung geschickt haben, ist vorgesehen, dass das Wörtchen „gröblich“ aus dem Verbotsgesetz gestrichen wird. Damit wäre jede öffentliche Verharmlosung der NS-Verbrechen strafbar. Judensterne mit der Aufschrift „ungeimpft“, die bei Corona-Demos getragen wurden, dürften darunter fallen.
Zudem sollen NS-Devotionalien von den Behörden künftig auch dann eingezogen werden, wenn nicht wegen Wiederbetätigung ermittelt wird. Derzeit ist der bloße Besitz nicht strafbar.
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Täter weichen mitunter in Länder aus, in denen es kein Verbotsgesetz gibt. So gibt es beispielsweise eine einschlägige Seite mit spanischer Web-Adresse, aber mit deutschen Texten. Diese Hintertür soll mit der Novelle geschlossen werden: Wenn klar ist, dass es einen Österreich-Bezug gibt, sollen die Täter – etwa über die Amtshilfe – auch von den österreichischen Behörden verfolgt werden können.
Es gibt aber auch eine „Lockerung“, wenn man so will: Eine Diversion soll künftig nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei Erwachsenen möglich sein. Man wolle versuchen, mit Tätern, die ihren Fehler einsehen, in einen Dialog zu kommen, sagte Verfassungsministerin Edtstadler.
Wie es nach der Begutachtungsfrist in sechs Wochen weitergeht, ist unklar. Das Gesetz ist Zweidrittel-Materie, ÖVP und Grüne brauchen also entweder SPÖ- oder FPÖ-Stimmen im Nationalrat. Fraglich ist, ob die SPÖ mit ihrem neuen Parteichef Andreas Babler ihre Blockade beendet. Zadić bat die Roten jedenfalls, „sich einen Ruck zu geben“. Dieses Gesetz müsse über jeglichem parteipolitischen Taktieren stehen, sagte sie.
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