"Unverantwortlich? Ehrlich, da fühlt man sich verarscht"
"Die Politiker haben keine Ahnung, was abgeht": Unter 30-Jährige sind besonders von Corona betroffen. Nicht von den gesundheitlichen, aber von den wirtschaftlichen Folgen. Sieben Junge erzählen, wie es ihnen jetzt geht.
"Von heute auf morgen war alles weg"
Sam Braumüller, 25, studiert Kulturtechnik und Wasserwirtschaft an der BOKU: „Die psychische Komponente an der Corona-Sache ist ein wirkliches Problem. Ich glaube, auch in dieser Hinsicht schlittern wir wirklich in eine Krise. Nicht zuletzt durch diese ganze Panikmache. Und es ist das erste Mal, dass wir mit einer derartigen Orientierungslosigkeit konfrontiert sind. Viele von uns haben daheim gehört: Schule, Studium, Beruf – alles wird seinen Weg nehmen. Von heute auf morgen war alles weg. Im März bin ich 25 geworden. Ein Vierteljahrhundert. Das feiert man normalerweise mit vielen Freunden. Wir sind zu zweit Zuhause gesessen und haben nicht gewusst, was wir machen sollen. Wir wissen alle nicht, wie es weiter geht. Es ist diese Unsicherheit, die einen wahnsinnig macht. Und die ganzen Verbote. Wir geben unsere Freiheiten und Grundrechte ab und politisieren im Hinterzimmer, wie im Biedermeier. Man konnte eine Zeit lang nicht einmal mehr Leute treffen. Wir wurden zu viert am Donaukanal von der Polizei angesprochen, ob wir eh zusammenwohnen. Das ist ein Scheißgefühl. Diese Schockstarre in der zwischenmenschlichen Kommunikation.
Kein körperlicher Kontakt, keine Gesichter sehen können. Alles sehr schwierig. Und dieser Satz vom Gesundheitsminister, dass wir Jungen verantwortungslos wären? Eine Frechheit. Wir Jungen versuchen, die Älteren zu schützen. Wobei uns die Älteren überhaupt nicht vor der Klimakrise beschützt haben, im Übrigen. Wir sind Anfang, Mitte zwanzig. Genau jetzt sollten wir leben lernen und dürfen es nicht. Und dann kommt ein Politiker und sagt, ich soll mich zusammenreißen? Nachdem ich ein halbes Jahr Zuhause gesessen bin? Ehrlich, da fühlt man sich verarscht. Unser Leben wird von der Politik komplett links liegen gelassen. Unsere Zukunft wird aufs Spiel gesetzt. Ich bin überzeugt: Corona und die Maßnahmen, all das wird gewaltige Narben in unserer Generation hinterlassen. Psychologisch und wirtschaftlich.“
"Man kann das Feiern nicht einfach abdrehen"
Sandro Nicolussi, 26, studiert Medienwissenschaft und arbeitet als DJ: „In der ganzen Debatte um Clubkultur kommt gerade von älteren Leuten und solchen, die selber nicht mehr feiern, der Vorwurf der Entbehrlichkeit. Nach dem Motto: Wer braucht das jetzt? Es gibt schließlich kein Recht auf Feiern. Stimmt schon, aber was dabei vergessen wird: Clubs sind für viele Menschen, ganz besonders solche, die nicht ins Bild der Mehrheitsgesellschaft passen, der einzige Ort, wo sie hin und wieder sie selbst sein können. Abgesehen davon wurde eine ganze Branche ohne irgendeinen Ausblick komplett abgedreht. Es gibt genug Leute aus der Szene, die Konzepte erarbeitet haben. Etwa in der Grellen Forelle, dort wurden Technokonzerte mit weniger Leuten und Masken organisiert. Das hat gut funktioniert. Jetzt ist das nicht mehr möglich, weil die Maßnahmen noch weiter verschärft wurden. Obwohl keine Cluster von Partys mit Konzept bekannt sind.
Aber man kann das Feiern nicht einfach abdrehen. So, wie es jetzt ist, wird alles in die Illegalität getrieben. Auf der Donauinsel gibt es fast täglich illegale Partys ohne Contact Tracing. Damit gibt man Kontrolle aus der Hand. Nicht, dass ich ein Befürworter politischer Kontrolle wäre. Aber das, was hier passiert, ist dumm. Die Politiker wissen einfach nicht, was abgeht. Das wird sich im Winter alles in Wohnungen verlagern und noch gefährlicher werden. Was es mit Jungen macht, wenn sie nicht mehr feiern können, merkt man ja an den Medienberichten. Sie können sich die Hörner nicht mehr abstoßen. Sie sind aufgeladen, unausgeglichener. Es gibt Konflikte. Die Jungen sind ohnehin schon ängstlicher, was ihre Zukunft betrifft. Ältere sehen die Clubkultur nicht als überlebenswichtig. Für die Mehrheitsgesellschaft ist das kein Thema, und deshalb interessiert’s die Politik auch nicht.“
"Es würde mir das Herz brechen"
Isabel Corbaci, 24, Gastronomin: „Ich hab voriges Jahr gemeinsam mit meinem Bruder ein Lokal übernommen („Halle“ im Museumsquartier, Anm.). Damals schon ein großer Schritt für uns, aber mit Corona wurde das zu einer anderen Herausforderung. Derzeit wird alles abgesagt, es könnte sein, dass es hart auf hart kommt. Ich versuche, optimistisch zu bleiben. Corona ist schon länger da, aber ich habe den Eindruck, die Politik hat sich über den Sommer nicht viel überlegt. Es fühlt sich an, als käme das jetzt auf einmal daher. Wir sind bereit, einiges mitzumachen, aber es fehlen Leitfäden und Unterstützung. Ein funktionierendes System sollte längst da sein.
Abgesehen davon: Wir haben als junge Menschen schon das Gefühl, dass wir die Zeche dafür zahlen, dass die Älteren gesund bleiben. Andererseits halte ich nichts davon, wenn man Generationen künstlich spaltet. Denn wer sind die Älteren? Das sind meine Mama und mein Papa und meine Oma. Ich muss und will auf sie Rücksicht nehmen. Ich arbeite eng mit meinem Papa zusammen, ich sorge mich um ihn. Meine Mutter ist meine beste Freundin. Ich will sie umarmen können. Ich will, dass wir uns alle wieder umarmen und küssen dürfen. Es ist einfach alles sehr ,zach’, momentan. Und man gerät schnell in eine ethische Debatte. Letztlich ist es unmöglich, ein Übel gegen ein anderes aufzurechnen. Wer kann denn schon wirklich sagen, ob die Maßnahmen proportional zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden sind? Ich glaube jedenfalls weiter an meine Pläne. Es würde mir das Herz brechen, wenn es anderes käme.“
"Natürlich fühlen sich junge Menschen ungerecht behandelt.“
Derai Al Nuaimi, 27, studiert Wirtschaft und arbeitet nebenbei im Marketing: „Müsste ich der Politik für ihre Arbeit in der Krise eine Schulnote geben, wäre das eine Drei bis Vier. Vieles wurde richtig gemacht, und ich war froh, in Österreich zu leben während dieser Pandemie. Die Kommunikation war aber vor allem für Junge nicht klar. Dabei waren gerade sie stark von den Maßnahmen betroffen. Sie wollten in die Schule gehen, feiern, Sport betreiben, verreisen. Alles Dinge, die das Leben der Jungen bewegen, und darauf wurde überhaupt nicht eingegangen. Stattdessen hat man über Golfplätze und Baumärkte gesprochen. Auch im Bildungsbereich bin ich ganz und gar nicht zufrieden. Hier wurden Maßnahmen getroffen, die ich nicht verstanden habe. Die eine Uni macht es so, die andere anders, es gibt keinen Standard. Natürlich fühlen sich junge Menschen dann ungerecht behandelt.“
"Man ist zur Selbstständigkeit gezwungen "
Asil Alnusyat, 19, studiert Maschinenbau an der FH Technikum: „Ich bin 2015 aus Syrien nach Wien gekommen und studiere jetzt Maschinenbau. Ich könnte behaupten, dass ich immer schon eine Leidenschaft für Technik hatte. Die Wahrheit ist: Meine Mutter ist Bauingenieurin, viele in meiner Familie haben einschlägige Studien. Also habe ich mich auch dafür entschieden. Corona hat mich insofern verändert, als dass ich noch aktiver geworden bin. Man ist zur Selbstständigkeit gezwungen. Und auch zu einem gewissen Zweckoptimismus. Ich bin der Jüngste im Studium und habe immer das Gefühl, ich muss mich noch mehr anstrengen.
Ich habe immer Angst, dass ich nicht genüge. Corona hat das alles noch verstärkt. Angst um meine berufliche Zukunft habe ich keine. Aber ich habe Angst um meine Eltern.“
Kehinde Olaoye, 18, HAK-Schülerin: „Meine Pläne haben sich durch Corona nicht geändert. Im Gegenteil. Es hat mich darin bestärkt, dass ich einen Beruf ergreifen will, in dem ich helfen kann. Eigentlich wollte ich Ärztin in Nigeria werden, wo meine Mutter herkommt. Aber jetzt hab ich das Gefühl, man kann auch hier in Österreich Ärzte ganz gut gebrauchen. Die angebliche Sorglosigkeit der Jungen? Naja, ich sehe das durchwachsen. Klar gibt’s einige, denen alles egal ist. In meinem Freundeskreis ist es eher umgekehrt. Die werden gleich panisch, wenn jemand hustet. Man kann sich nicht einmal mehr normal unterhalten. Meine Freunde haben auch große Angst, dass sie ihre Eltern anstecken könnten. Und ich persönlich hatte auch vor Corona einen zurückgezogenen Lifestyle.“
Estelle Lath, 17, Schülerin HLTW Bergheidengasse: „Bei uns in der Schule liegt im Tourismuszweig der Fokus auf Praxis. Wir müssen über den Sommer ein dreimonatiges Praktikum machen. Das hat Corona extrem verkompliziert. Ich habe mich schon im Jänner bei vielen Betrieben beworben und dann auch schon eine Zusage gehabt. Dann kam Corona und die Nachricht, dass aus dem Praktikum nichts wird. Ich habe mir einen wahnsinnigen Stress gemacht, weil ich nicht wusste, was das heißt. Ohne Praktikum kann ich nicht zur Fachprüfung antreten, ohne Fachprüfung nicht zur Matura. Gott sei Dank wurde das dann geregelt. In unserer Klasse machen sich die Schüler aber keine großen Sorgen um die Zukunft. Ja, Corona ist da und wird auch so schnell nicht wieder weggehen, aber in der Gastro braucht man trotzdem fast immer Leute, vielleicht gerade nicht in Wien, aber in Kärnten zum Beispiel. Dort ist auch im Sommer der Tourismus durch die Decke gegangen, trotz Corona. Positives Denken ist in Zeiten wie diesen noch wichtiger als sonst.“
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