Übergriffe auf Einsatzkräfte: Die attackierten Retter

Schauplatz Steyregg, Oberösterreich. Zwischen Weihnachten und Neujahr kommt es zu mehreren Feuerwehreinsätzen bei einer Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die Feuerwehr selbst bezeichnet vor allem den Einsatz am 27. Dezember als „sehr befremdlich“.
Von „massiven Belästigungen“ schreibt die Feuerwehr auf ihrer Website, sogar von „Attacken“ ist die Rede. Und tags zuvor seien weibliche Einsatzkräfte sogar bedroht worden.
Schauplatz Wels, Oberösterreich, Silvesterabend. Feuerwehr-Dienstellenkommandant Markus Marehard berichtet von „sieben bis acht Einsätzen, bei denen die Feuerwehr nicht ungehindert zur Brandstelle zufahren konnte“.
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Barrikaden aus Baumaterialien und Einkaufswägen seien aufgebaut worden, alle Einsätze hätte in unmittelbarer Nähe zueinander stattgefunden: „So etwas hat es in Wels noch nie gegeben.“
Sonst sei die Feuerwehr nicht mit Anfeindungen oder Belästigungen konfrontiert, versichert Marehard. Außer vor genau einem Jahr. Denn da wurde die Feuerwehr mit Feuerwerkskörpern beschossen. Dass Einsatzkräfte mit Feuerwerkskörpern und Böllern beschossen werden, ist zuvor auch in Linz passiert – Stichwort Halloween.
Häufige Übergriffe
In Deutschland hat eine repräsentative Umfrage ergeben, dass jeder zehnte Feuerwehrmann schon einmal mit einem Feuerwerkskörper attackiert worden sei.
Die Hälfte der Feuerwehrkräfte hat in den vergangenen zwei Jahren Beleidigungen und Drohungen im Einsatz erlebt, 90 Prozent seien beschimpft oder beleidigt, zwei Drittel bei der Arbeit behindert worden. Die Täter sind laut dieser Studie „in der Regel Einzelpersonen aus allen Schichten, nicht etwa alkoholisierte oder marodierende Jugendbanden“.
Schauplatz Linz, Oberösterreich, Ende Dezember. Ein 41-jähriger Mann stört die Einsatzkräfte des Samariterbundes massiv, sie wollen die verletzte 22-jährige Freundin des Mannes versorgen.
Noch Einzelfälle
Während sowohl in Steyregg als auch in Wels als Folge der Szenen bei den Feuerwehreinsätzen Sicherheitsgipfel einberufen werden, hat man beim Landesfeuerwehrverband Oberösterreich ein genaues Auge auf die Vorfälle.
Denn es gäbe zwar keine Statistik, aber die Zwischenfälle häufen sich – vor allem im Zentralraum, weiß Sprecher Markus Voglhuber: „Die Feuerwehrleute müssen zusätzlich deeskalierend wirken und aufklären, weil den Menschen oft nicht bewusst ist, was die Feuerwehr macht und dass die Mitglieder großteils freiwillig arbeiten.“
Kärntens Feuerwehren beobachten zwar keine „massiven Übergriffe“ gegen Mitglieder, aber einen anderen Trend. „Wir werden immer kritischer von der Bevölkerung gesehen. Wenn es etwa Fahrten mit Blaulicht in der Nacht gibt, dann reagieren die Menschen darauf mit Beschwerden“, erklärt Sprecher Martin Egger.
Was ebenfalls zunehme, sei ein Ignorieren von Absperrungen. Dies hatte bei den schweren Unwettern im August in Kärnten für Probleme gesorgt. Ein Mann war gestorben, weil er eine gesperrte und hochwasserführende Promenade ignoriert hatte.
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Damals wurden Einsatzkräfte auch beschimpft. Der zuständige Katastrophenschutz-Landesrat Daniel Fellner (SPÖ) sprach im KURIER-Interview von einer neuen Dimension. „Die Emotion, die manche an den Tag legen, ist mir neu.“
Rettungsauto mit Böller beschossen
Von bedrohlichen Situationen oder gefährlichen Barrieren waren Organisationen in Niederösterreich zuletzt nicht betroffen. Noch immer in Erinnerung ist aber die Böller-Attacke auf ein Sanitäterteam des Roten Kreuzes in der Neujahrsnacht 2018 in der Stadt Horn.
Damals behinderten Randalierer nicht nur einen Einsatz, sondern schossen auch Raketen und Böller in Richtung Rettungsauto ab. Zwei Sanitäter erlitten ein Knalltrauma. „Seitdem sind uns keine derartigen Fälle bekannt geworden“, sagt Rotkreuz-Sprecherin Sonja Kellner.
Eine ähnliche Auskunft kommt vom Sprecher der NÖ Landesfeuerwehrkommandos Klaus Stebal. Aber es komme öfters zu Diskussionen, etwa über den Einsatz eines lauten Folgetonhorns.
Ärgerliche und oft nicht ungefährliche Situationen, wie das Ignorieren von Rettungsgassen oder die Neugierde von Schaulustigen, kommen allerdings bei (zu) vielen Einsätzen vor.
Wesentlich ruhiger geht es hingegen in Tirol, Salzburg, der Steiermark und dem Burgenland zu, was Übergriffe betriff. „Bei uns ist kein Fall bekannt, der in diese Richtung gegangen wäre“, sagt Thomas Schmallegger von der Grazer Berufsfeuerwehr.
Von einer Insel der Seligen würde auch Michael Hauser, Leiter der Geschäftsstelle des Landesfeuerwehrverbandes Eisenstadt nicht reden wollen, „aber vielleicht liegt es an unseren dörflichen Strukturen, dass wir von solchen Auswüchsen bisher verschont geblieben sind“.
Einsatzkräfte an ihrer Arbeit zu hindern, kann nicht nur Leben kosten, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen haben. Personen, die zum Beispiel die rasche Zufahrt zum Einsatzort blockieren oder sich nicht an die Rettungsgasse halten, müssen mit der unmittelbaren Durchsetzung der „Befehls- und Zwangsgewalt“ der Polizei rechnen.
Mit Juli 2018 wurde im österreichischen Nationalrat eine Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes beschlossen. Dabei wurden Strafen von bis zu 500 Euro für Personen festgelegt, die Rettungseinsätze behindern oder Fotos von Unfallopfern machen.
Schaulustige, die mit dem Handy fotografieren, während sie an einer Unfallstelle vorbeifahren, können etwa mit einem Organstrafmandat von 50 Euro bestraft werden.
Wird die Rettungsgasse blockiert, kann auch eine Strafe von bis zu 726 Euro verhängt werden.
Bei besonders erschwerenden Umständen kann sogar eine Haftstrafe von ein bis zwei Wochen drohen. Dies tritt allerdings erst in Kraft, wenn sich Personen trotz Abmahnung der Polizei nicht an die Wegweisung halten.
Statistik fehlt noch
In Wien verzeichnet die Berufsfeuerwehr keinen signifikanten Anstieg an Gewalt gegenüber Einsatzkräften, gab Gerald Schimpf, Sprecher der Berufsfeuerwehr, bekannt. „Wir bewegen uns im jährlichen Mittel, was Übergriffe betrifft.
Gewalt erleben wir eher bei Personen, die sich in einem psychischen Ausnahmezustand befinden“, sagt Schimpf. Übergriffe werden in einem Vorfallsbericht festgehalten. „Es gibt aber keine Statistiken dazu. Es wird auch nicht kategorisiert, ob die Gewalt von der Person ausging, die den Einsatz ausgelöst hat, anderen Beteiligten oder Schaulustigen“, sagt der Sprecher.
Es sei aber ein langfristiges Ziel, dementsprechende Zahlen zu erheben: „Wir orientieren uns an Deutschland, die sind beim Erfassen solcher Zahlen schon weiter.“
Es gebe zudem keine einheitliche Definition, was als „Gewalterlebnis“ während eines Einsatzes gelte. „Das ist sehr subjektiv. Während sich ein Kollege bedroht fühlt und den Vorfall meldet, reagiert ein anderer gelassen“, so Schimpf. An einen Fall, bei dem Feuerwehrfrauen – so wie in Steyregg – belästigt worden seien, könne er sich in Wien nicht erinnern.
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