Spenden: So hilfsbereit war Österreich noch nie
Schon lange bevor der Bus der Caritas eintrifft, warten zwei Männer bei der Friedensbrücke am Wiener Donaukanal im Dunkeln. Um 19.45 Uhr ist es dann soweit.
Sabrina Bellido Gonzalez und ihr Team treffen mit dem Canisibus der Caritas ein. Jeden Abend um die gleiche Zeit bringt der Bus eine warme Suppe. 365 Tage im Jahr.
Drei Mitarbeiter bereiten das Essen vor. Vor dem Bus steht ein Tisch mit einem großen Topf. Heute gibt es Gerstlsuppe mit Brot. Es dauert nicht lange und die ersten Personen stellen sich an. Gegenüber steht Salz und Pfeffer und eine Box für das dreckige Geschirr.
Etwas mehr als zehn Personen sind da. Bellido Gonzalez gibt jedem ein Stück Brot. Das ist meistens ihre Aufgabe, wenn sie beim Canisibus mithilft. Am 24. Dezember 2015 war die 37-jährige Kosmetikerin das erste Mal dabei.
„Es war sehr berührend. Ich habe gewusst, das ist das Richtige. Ich möchte es nicht mehr anders zu Weihnachten“, erzählt sie. Tatsächlich ist sie seitdem jeden Dienstag und immer zu Weihnachten im Einsatz.
Bevor der Bus weiterfährt, nehmen sich noch einige eine Suppe im Einwegglas für später mit. Bellido Gonzalez hat noch drei weitere Stationen vor sich.
Sie ist eine von 3,2 Millionen Österreichern, die sich ehrenamtlich engagieren. Doch nicht jeder hat die Zeit oder die Ressourcen, freiwillig tätig zu sein; andere Menschen geben lieber Geld. Und das sind gar nicht wenige.
64 Prozent aller Österreicher spenden für wohltätige Zwecke. „Wir haben eine sehr hohe Spendenbereitschaft“, sagt Günther Lutschinger, Geschäftsführer des Fundraising Verbands, des Dachverbands der Spendenorganisationen. Und die Spenden steigen: Erstmals wird die 700-Millionen-Euro-Marke erreicht. Damit spenden die Österreicher doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Ihr Geld geben sie am liebsten an Kinder, Tiere und für Soforthilfe bei Katastrophen im Inland.
Warum Menschen wohltätig sind, was ihnen dabei wichtig ist und wem es zugutekommt, erklärt der KURIER.
1. Spenden ist nicht völlig uneigennützig
Beim Spenden geht es um Glück, um das „wohlige Gefühl, etwas Gutes zu tun“, erklärt Neurowissenschaftler Philippe Tobler von der Universität Zürich. Im Gehirn gibt es eine Glücksregion, die immer dann aktiv sei, wenn man eine unerwartete Belohnung bekomme. Eine weitere Region werde aktiv, wenn man sich großzügig entscheide. Und die beiden kommunizieren miteinander. „Es gibt also einen Zusammenhang zwischen Großzügigkeitsregion und Glücksregion“, sagt Tobler. Ob man Geld oder Zeit spendet, sei dabei egal.
Tatsächlich geht es auch Bellido Gonzalez um das „gute Gefühl“, mit dem sie nach der Fahrt mit dem Canisibus nach Hause geht. „In erster Linie macht man es für sich selber. Und es ist schön, wenn etwas Positives dabei rauskommt. Du bist einfach dankbarer, wenn du etwas Gutes tust, weil du siehst, wie es anderen geht“, sagt sie.
Ums „Zurückgeben“ geht es auch Alexandra Spiller, die vor Weihnachten im Caritas-Pop-up-Store in der SCS ehrenamtlich tätig ist. Andere, wie Pensionistin Christine Zawieschitzky, die im Mödlinger Sozialmarkt aushilft, wollen sich gebraucht fühlen.
Manche wollen durch das Spenden auch ihren Ruf verbessern oder erwarten eine Gegenleistung, sagt Forscher Tobler. Aber auch den puren Altruismus gibt es: „Wenn Leute eine Aversion gegen Ungleichheit haben.“
2. Helfen hat Saison – vor allem zu Weihnachten
25 bis 30 Prozent des gesamten Aufkommens machen in der Regel Spenden zu Weihnachten aus. „Es ist die Zeit des Teilens und Gebens, die Zeit, in der man sich besinnt, dass es nicht allen so gut geht wie einem selber. Das Mitgefühl und das Bedürfnis zu Teilen rückt in den Vordergrund“, sagt Lutschinger.
Die Kehrseite: Im Sommer könnte Einrichtungen wie die Gruft durchaus noch mehr Sachspenden und auch Freiwillige brauchen.
Aktionen wie etwa „Schenken mit Sinn“ der Caritas dienen auch dazu, sich dem „Konsumrausch“ zu entziehen, sagt Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner. „Je näher Weihnachten rückt, desto mehr Kunden kommen“, sagt Caritas-Shop-Mitarbeiterin Spiller. Dennoch: Trotz großer Hilfsbereitschaft würden für die Finanzierung der Obdachloseneinrichtung Gruft und des Kältebusses noch rund 100.000 Euro benötigt.
3. Sachspenden werden immer mehr
Nicht nur Geld wird zur Weihnachtszeit mehr gespendet, auch Sachspenden nehmen zu. Im Sozialmarkt Mödling bedeutet das, dass Firmen Lebensmittel zur Verfügung stellen, die sonst nicht erhältlich wären – etwa Zucker. Generell geben Menschen nicht (mehr) benötigte Sachen vermehrt ab. „Das ist der Trend unserer Zeit, dass man Dinge nicht mehr wegschmeißt“, sagt Schwertner. Das gilt nicht nur für Lebensmittel: Die Sozialmarkt-Kunden bekommen so etwa auch günstig gebrauchten Weihnachtsschmuck.
Zudem engagieren sich zu Weihnachten mehr Menschen ehrenamtlich. Die Obdachloseneinrichtung Gruft in Wien etwa ist auf Menschen angewiesen, die ehrenamtlich kochen, im Canisibus mitfahren oder sogar an den Weihnachtsfeiertagen mithelfen. Um Weihnachten herrscht kein Personalmangel: Am 24. Dezember müssen Freiwillige sogar weggeschickt werden.
4. Man spendet für das „Sichtbare“ - aber es gibt regionale Unterschiede
Im Vergleich weist Wien mit 71 Prozent die höchste Spendenbeteiligung auf. Die Westösterreicher spenden zwar seltener, sind dafür aber großzügiger. Das lässt sich leicht erklären: Menschen spenden, wenn Not sichtbar und spürbar ist. In Wien etwa begegnet man täglich Obdachlosen. Im Osten sind es eher Naturkatastrophen, die Menschen zum Spenden bewegen.
„Da hat man einen Bezug dazu. Wenn es dort Aufrufe gibt, zu helfen, dann tut man das“, erklärt Lutschinger. Karitative Organisationen erleben dies tagtäglich. Sinken etwa die Außentemperaturen, wird für Obdachlose gespendet. Gerade die Obdachlosen hätten zuletzt mehr Hilfsbereitschaft erfahren, sagt Schwertner, weil das Thema leistbares Wohnen in der Gesellschaft präsenter ist.
Das zeigt: Es braucht Aufmerksamkeit für ein Thema, um Spendenbereitschaft auszulösen. „Die Leute haben kein jährliches Spendenbudget von 300 Euro und überlegen dann, wem sie damit helfen. Wenn man Not sieht, dann spendet man eher“, erklärt Fundraising-Verband-Chef Lutschinger.
Engagiert sind auch Menschen, die Not selbst erlebt haben. Im Sozialmarkt Mödling etwa arbeiten viele Leute ehrenamtlich, die dort zuvor im Rahmen eines Jobprogramms fit für den Arbeitsmarkt gemacht wurden.
Dennoch würde auch für Zwecke gespendet, die einem selbst fremd sind, sagt Forscher Tobler. Allerdings weit weniger als für nahe stehende Personen bzw. Themen. „Was eine Rolle spielt, ist, dass der Zweck der Organisation sinnvoll erscheint.“
5. Ich schenke eine Ziege: Die Spender wollen Gegenleistungen
Einfach eine monatliche oder jährliche Spende an eine Organisation überweisen, ohne den genauen Zweck mitzubestimmen? Das war einmal.
Heute geht der Trend dahin, dass die Spender konkret wissen wollen, wofür sie Geld geben. Es muss klar sein, welche Projekte unterstützt werden. Deswegen müssen karitative Organisationen immer genau kommunizieren, wofür sie Spenden brauchen.
Für Lutschinger ist das eine Generationenfrage: Die Menschen würden sich heute auch immer weniger auf eine politische Partei, eine Religion oder ein Produkt festlegen. Genauso sei es auch beim Spenden. Man will immer wieder überzeugt werden.
Der Trend geht sogar noch weiter: „Die Spender wollen auch wissen, was die Organisation mit ihrer Spende erzielt, was daraus gemacht wurde, was das Geld verändert hat.“ Das sei durchaus positiv, denn dadurch steige das Vertrauen in die Organisationen.
Ähnlich verhält es sich beim Ehrenamt: Nicht mehr das langfristige Engagement (etwa in Vereinen) steht im Vordergrund – sondern das spontane, flexible. Immer mehr Menschen setzen sich kurzfristig für bestimmte Projekte ein. Die gute Nachricht: Insgesamt nimmt die Zahl der Freiwilligen zu.
Dass viele Menschen eine konkrete „Gegenleistung“ für ihre Spende wollen, zeigt der Erfolg der Ziege aus dem „Schenken mit Sinn“-Shop. Dabei ist garantiert, dass ein bedürftiger Mensch in Burundi tatsächlich ein solches Tier erhält. Der Käufer bekommt eine Karte, die er dann – Stichwort Weihnachten – weiterschenken kann.
6. Frauen spenden mehr als Männer
Es gibt tatsächlich Geschlechterunterschiede im Spendenverhalten. Studien zeigen, dass Frauen großzügiger sind als Männer. Das hängt laut Neurowissenschaftler Tobler mit dem Testosteron zusammen.
Je mehr Testosteron, desto weniger sei die Großzügigkeitsregion aktiv und desto weniger hilfsbereit seien Männer, erklärt er. Relativ zu ihrem Einkommen würden Arme zudem mehr spenden als Wohlhabende. Generell spenden in Österreich viele Menschen kleine Geldbeträge – und das an mehrere Organisationen. In Deutschland hingegen gibt es mehr Großspender.
Auch beim Alter gibt es Unterschiede: So würden laut Tobler ältere Menschen in relativen Zahlen mehr Geld, jüngere hingegen mehr Zeit spenden.
7. Von Spenden profitiert die gesamte Gesellschaft
Auch wirtschaftlich sind das Spendenaufkommen und die freiwillige Arbeit kein zu vernachlässigender Faktor: „Hier werden produktive Werte geschaffen“, sagt der Wirtschaftsforscher und WIFO-Chef Christoph Badelt. Es werden Leistungen erbracht, die sonst – zumeist vom Staat – bezahlt werden müssten.
Mehr noch: „Mit Spenden und freiwilliger Arbeit werden teilweise Leistungen finanziert, die sonst gar nicht zustande kämen. Schlicht, weil sie unleistbar wären“, sagt Badelt.
Bestes Beispiel sind Rettung und Feuerwehr, die vor allem in ländlichen Regionen ohne ehrenamtliche Mitarbeiter nicht funktionieren würden.
Wie viel und wofür? Tipps für richtiges Spenden
Helfen
Die Zahl der Hilfsorganisationen in Österreich ist groß, die Möglichkeit, Gutes zu tun, ebenso. Der Fundraising Verband Austria hat Tipps zum richtigen Spenden parat.
Hören Sie auf Ihr Herz
Was möchten Sie mit der Spende erreichen? Unterstützen Sie Anliegen, die Ihnen wichtig sind.
Nachhaltig Spenden
Suchen Sie sich ein, zwei Organisationen und bleiben Sie treu. Das verringert den Verwaltungsaufwand. Spenden an Organisationen, die mit dem Spendengütesiegel ausgezeichnet wurden, sind steuerlich absetzbar. Nähere Infos: www.spenden.at
Aufs Gütesiegel achten
Das Österreichische Spendengütesiegel garantiert Qualitätsstandards, Transparenz und Kontrolle. 75 der 100 größten Organisationen haben das Gütesiegel.
Mindestspende
Einzelne größere Spenden sind effizienter und ermöglichen den Organisationen eine längerfristige Planung als viele kleine Beträge. Mit drei bis vier Spenden pro Jahr kann nachhaltiger geholfen werden.
Zweckgebunden?
Spender möchten gerne wissen, wofür ihre Spende konkret verwendet wird. Eine Zweckwidmung schränkt die Organisationen aber auch ein.
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