Kebap-Verkäufer spenden, damit Junkies loszukommen
„Sie haben den Ali * jetzt eh g’sehn“, beginnt der Kebap-Laden-Betreiber in der Favoritner Quellenstraße dem Reporter gegenüber seine Schilderung. Jung, drahtig, ein bissl zurückhaltend zwar, aber auf Zack. „Vor ned amal einem Jahr hat der gezittert, hat nicht amal eine Flasche gscheit halten können. So kaputt und fertig war der.“
Der junge Mann, den Savaş Duran beschreibt, war damals drogenabhängig. Nach Entzug und Drogen-Rehab treffen wir ihn hier kurz, vor allem aber im nicht weit entfernten Lokal des Vereins „Neubeginn – Yeni Başlangiç Derneği“.
Dieser Verein, der nicht zuletzt aus dem besagten Kebap-Laden (mit-)finanziert wird, will Drogenabhängige vor allem aus der türkischen Community erreichen, Brücken zu Einrichtungen bauen, die ihnen helfen unabhängig zu werden, zu denen sie kaum selbst gehen würden. Vielfach sind es die Eltern und da wieder vor allem Mütter, die sich an den Verein wenden. Aber dazu später.
Haben mich motiviert
Zunächst zu Ali. So heißt er nicht wirklich, aber natürlich kommen KURIER und schauTV seinem Wunsch nach Anonymität nach, weshalb er auch nur von hinten gefilmt wurde. Der 23-Jährige kam vor einigen Jahren „durch falsche Gesellschaft mit Freunden um Umgebung zu Drogen. Das war ziemlich lange. Immer war was da…“
Dann kam er vor mehr als einem Jahr in Kontakt mit „Neubeginn“, weil „ich war schwer abhängig und in sehr schlechtem Zustand. Irgendwie wollte ich selber rauskommen – weg von Drogen und Kriminalität. Aber ich hab zuerst versucht, Hilfe zu vermeiden.“
Die falschen Freunde einerseits, die Scham darüber zu reden oder gar zu einer Einrichtung zu gehen waren schier unüberwindliche Hürden. „Irgendwie bin ich dann zu dem Verein gekommen. Die haben mit mir darüber geredet, auch in meiner Muttersprache.“
Er ließ sich auf einen Entzug im Otto-Wagner-Spital ein. „Das war nicht leicht. Da haben mir die vom Verein in Gesprächen geholfen, mich immer wieder motiviert, nicht aufzugeben, dass ich mich durchbeißen soll.“
Nach dem körperlichen Entzug unterstützten sie den jungen Mann auch dabei, eine stationäre Rehabilitation beim Grünen Kreis zu machen. „Zwischendurch bei Ausgängen haben sie mich immer wieder weiter motiviert, weil sie mich voll mit Respekt behandelt haben, so auf Augenhöhe.“
Wieder voll ins Leben einsteigenJe länger er ohne Drogen auskam, umso leichter wurde der weitere Weg. Jetzt nach mehr als sieben Monaten Rehab „fühl ich mich sehr gut, voll motiviert, wieder ins Leben einzusteigen. Ich weiß, dass das ein Fehler war. Nur jetzt weiß ich, wie ich das richtig machen werde. Daran glaub ich, ich glaube an mich, ich glaube an die Leute, die mir ihr Vertrauen geschenkt haben.
Ich werd erstens nicht mich und zweitens nicht die Leute enttäuschen und eben nie wieder diese Sachen anfassen in meinem Leben. Das war eine Lehre für mich.“
FH-Ausbildung
Zum Abschluss kündigt Ali an, im kommenden Jahr eine Ausbildung zur Suchtberatung machen zu wollen. So wie es Dilek Aksoy, Erstberaterin im Verein, berufsbegleitend macht.
Sie ist im dritten Semester an der Fachhochschule St. Pölten (Dauer vier Semester). Sie ist auch stellvertretende Leiterin des Vereins. „Ich wollte mir aber dazu auch die fachliche Kompetenz aneignen, um unsere Klientinnen und Klienten besser betreuen zu können.“
Ausgangspunkt für den Verein, so die Beraterin: „Unsere türkische Community hat in diesem Bereich große Sorgen. Ich bin viel unterwegs, vor allem in Gesprächen mit Frauen ist mir aufgefallen, Mütter haben große Probleme mit Kindern, die abhängig sind. Sie fühlen sich isoliert, haben zu wenig sprachliche Kenntnisse, um sich an Anlaufstellen und Einrichtungen der Stadt zu wenden. Da sehen sie viele Hindernisse und Barrieren.
Wir bieten die Beratung in beiden Sprachen an. In der eigenen Community fühlen sich diese Mütter viel wohler. Das ist für sie viel niederschwelliger. Da fühlen sie sich sicherer.“
Meist sind es Eltern, vor allem Mütter, die sich an den Verein wenden, so Frau Aksoy. „Da ist es unsere Aufgabe, sie zu stärken, zu motivieren, mit ihren Kindern zu reden, immer wieder zu reden, sie zu motivieren, auch einmal hierher zu kommen. Meistens genügen schon zwei, drei Termine. Aber manchmal ist es schon auch fast hoffnungslos.“
Brücke
„Neubeginn“, ein Team aus Fachleuten aus den Bereichen Psychologie, Sozialarbeiter und Allgemeinmedizin sowie der Suchtberaterin in Ausbildung, versteht sich aber „nur“ als Brücke zu den professionellen Einrichtungen, die es in Wien gibt, zu denen die Klientinnen und Klienten aber kaum oder niemals selber gehen würden.
Spenden
Bilal Duran, pensionierter Unternehmer, gelernter Schneider und lange in der Textilbranche tätig, gründete vor mehr als einem Jahr den Verein aus eigener Betroffenheit in der Verwandtschaft. Und sorgte aus Einkünften seiner Imbiss-Läden gleich für die Startfinanzierung.
Bald gelang es, auch andere Unternehmen aus der türkischen Community Wiens zur Mitfinanzierung zu gewinnen. Rund ein Dutzend sind’s von Baufirmen über eine Bank bis zu diversen Gewerbetreibenden. Die Tatsache, dass auch das türkische Konsulat den Verein – ideel und mit Informationen an die Community, nicht jedoch materiell –, unterstützt, sorgt auch für manche Berührungsängste – in Teilen der türkischen Community sowie der Stadt Wien.
Savaş Duran, der mit seinem Bruder Tolga das Geschäft in der Quellenstraße und ein weiteres in Simmering betreibt, und den wir schon am Anfang zitiert haben, begründet die Notwendigkeit des Vereins so: „Unsere Leut, also die Türken, die sind in der Hinsicht ein bissl schüchtern. Die wollen nicht, dass die Nachbarn davon erfahren, dass mein Sohn oder meine Tochter Probleme hat und Drogen nimmt. Es soll niemand erfahren. Die gehen dann nicht zu einem Doktor oder einer normalen Beratung. Die wollen sich immer Zeit lassen, dann wird’s eh wieder besser. Aber es ist nicht so.
Drum bedanke ich mich und mein Bruder bei meinem Vater, dass er, obwohl er alt genug ist und im Ruhestand wäre, diesen Verein gegründet hat. Es wäre schade um die jungen Leute, nicht nur für die Türken. Die können nicht einmal mehr richtig gehen oder sprechen. Das hat meinem Vater und uns weh getan. Wir haben gesagt, wir werden dich unterstützen – aus unseren Geschäften oder aus unseren eigenen Taschen.“
*Name von der Redaktion auf Wunsch des Betroffenen geändert.
www.neubeginn.or.at
Derzeit nur auf Türkisch) (vorläufig nur Türkisch)
Hier der schauTV-Beitrag
gedreht von Carlo Toffolo
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