Sozialmärkte und Ausgabestellen: Höhere Nachfrage, weniger Angebot

Sozialmärkte und Ausgabestellen: Höhere Nachfrage, weniger Angebot
Das Leben wird teurer, für viele ist der Lebensmitteleinkauf kaum noch leistbar. Lebensmittelausgabestellen und Sozialmärkte kämpfen mit Warenrückgängen.

Die Schlangen vor den Lebensmittelausgaben des Roten Kreuzes und der Caritas werden länger, die Kundinnen und Kunden in den Sozialmärkten mehr. Die Lebensmittelspenden vom Handel, auf die die Organisationen und Vereine angewiesen sind, allerdings nicht – diese gehen sogar zurück. Ein Bild, das sich in der Stadt wie auch am Land zeigt.

Steigende Kosten

Im August 2021 kostete eine Tonne Weizen am europäischen Terminmarkt um die 200 Euro. Der  Preis im März 2022 lag  bereits bei 380 Euro. Dazu kommen rasant steigende Energiekosten.  Das ist der Grund, warum immer mehr Menschen, das Angebot von Sozialmärkten oder Lebensmittelausgabestellen annehmen

Anlaufstellen in  Wien

Auf der Homepage der Stadt Wien (www.wien.gv.at/sozialinfo) gibt es 34 eingetragene Sozialmärkte. Einer der größten Betreiber ist der Verein „Start Up“ mit neun „Foodpoint“- Sozialmärkten. Aber auch der Samariterbund hat Filialen. Lebensmittelausgabestellen werden von der Caritas betrieben

Anlaufstellen in NÖ

35 Sozialmärkte und andere Anlaufstellen für günstige Lebensmittel finden sich auf der Website vom Land Niederösterreich (www.sozialinfo.noe.gv.at). Darunter auch neun „soogut“-Sozialmärkte. Informationen über Team Niederösterreich Tafel gibt es beim Roten Kreuz Niederösterreich 

„Wir werden fast überrannt“, erklärt Karl Lackner, der für die Soma-Märkte der Caritas St. Pölten zuständig ist, „und kommen mit der Warenbeschaffung nicht nach“. Bis vor wenigen Monaten sei sich alles gut ausgegangen, nun müssen weitere Quellen gefunden werden. Neben dem Handel als Spender sollen nun auch Bauern oder Produzenten angesprochen werden. „Das gestaltet sich schwierig“, sagt Lackner und spricht von „Konkurrenz zu anderen Sozialmärkten beim Abholen“.

 

Denn alle Organisationen und Vereine, die günstige oder kostenlose Lebensmittel anbieten und auf „Geschenke“ aus dem Handel angewiesen sind, stehen vor derselben Herausforderung: Sie haben mehr Kundinnen und Kunden.

Mittelschicht

„Natürlich kommen auch mehr Flüchtlinge, aber wir merken auch einen Zustrom an Menschen, die vor Kurzem noch mit Einkäufen bei Diskontern über die Runden kamen, bei denen es jetzt nicht mehr reicht“, erzählt etwa eine Sprecherin der „soogut“-Sozialmärkte in NÖ. Seit dem Vorjahr sei ein Anstieg bei den wöchentlichen Einkäufen von nahezu 30 Prozent verzeichnet worden. Das bestätigt auch Marius Aigner vom Verein „Start Up“. Neun „Foodpoint“-Sozialmärkte betreibt der Verein in Wien. Statt der 14.000 Kunden, die die Sozialmärkte vor Corona aufsuchten, kämen mittlerweile 35.000 Menschen. „Das betrifft mittlerweile auch die Mittelschicht“, so Aigner.

Hinzu kommt ein Warenrückgang, der die Situation für die Menschen verschärft. „Straffe Kalkulationen in den Handelsfilialen und Reduktion in der Produktion selbst, als Folge lang anhaltender Krisen, könnten mögliche Gründe sein“, mutmaßt „soogut“-Geschäftsführer Wolfgang Brillmann. In den KURIER-Gesprächen mit diversen Organisationen werden aber auch immer wieder andere Vermarktungsstrategien von übrig gebliebenen Lebensmitteln durch Supermärkte (wo zu späterer Stunde Warenpakete günstiger zu haben sind) als Grund für den Rückgang der Spenden genannt.

Fehlende Warensackerl

Seit vergangenem Herbst haben einige Supermarktketten etwa damit begonnen, reduzierte Warensackerl über die Plattform „too good to go“ zu verkaufen. „Wir wollen nicht in Konkurrenz mit sozialen Organisationen treten, wir stehen in Konkurrenz mit der Mülltonne“, betont eine Sprecherin. Ein Drittel aller Supermärkte Österreichs verkauft via „too good to go“: „Wir retten im Schnitt etwa zwei Sackerl pro Supermarkt am Tag.“

Doch: „Jedes Sackerl, das von den Supermärkten vertrieben wird, kommt nicht in die Sozialmärkte“, sagt Georg Yelenko, Projektleiter der Sozialmärkte beim Wiener Samariterbund.

Im Sinne der Lebensmittelrettung und des wertschätzenden Umgangs mit Ressourcen seien die Initiativen des Handels aber zu begrüßen, betonen alle Organisationen. Trotz der Rettungsaktionen landen aber noch immer tonnenweise Lebensmittel im Müll. Diese Ressourcen gelte es besser zu kanalisieren und in die Sozialmärkten zu bringen, sagt Yelenko.

Das würde auch den Team Österreich Tafeln des Roten Kreuzes zugute kommen. Auch dort ist der Andrang stärker: In Niederösterreich etwa hat sich seit Dezember die Zahl der Bedürftigen, die sich gratis Waren abholen, um 36 Prozent erhöht. Um das zu kompensieren, wird hier ein Pilotprojekt gestartet, wo die regionalen Rot-Kreuz-Stellen die Bevölkerung zu privaten Spenden von verpackten und haltbaren Lebensmitteln wie Nudeln oder Öl aufruft.

Die Sozialmärkte betonen, dass sie keine Bedürftigen abweisen – sie bedauern aber, dass die Regale nicht mehr so gut gefüllt werden können, wie es notwendig wäre.

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