Welche Gefahren am Schulweg auf unsere Kinder lauern
Der Artikel ist Teil einer KURIER-Serie zum Schulstart. Hier finden Sie etwa, warum sich manche Kinder schwerer mit dem Schulstart um 8 Uhr tun als andere und hier, was eine Verkehrspsychologin über die Tücken des Schulwegs für unsere Kinder sagt.
Für rund 1,13 Millionen Kinder und Jugendliche startet im September das neue Schuljahr. Auch für Anna und Lukas. Das sind zwei der rund 93.000 Kinder, die heuer in die 1. Klasse Volksschule kommen. Anna und Lukas stehen sozusagen für alle Volksschulkinder, die heuer in diesen neuen Lebensabschnitt starten – denn das waren im Jahr 2016, also bei dem Jahrgang, der heuer in die Volksschule kommt, die beliebtesten Vornamen in Österreich. Neu ist in diesem Lebensabschnitt aber nicht nur die Schule, sondern in den meisten Fällen auch der Schulweg. Der oft auch allein bestritten werden muss.
Dieser Schulweg ist auch für Anna und Lukas eine große Herausforderung. Und eine große Gefahrenquelle. Denn nicht immer kommen die Schülerinnen und Schüler unverletzt in die Schule – oder wieder nach Hause. Am 31. Jänner 2019 ist etwa in Wien auf der Landstraßer Hauptstraße ein neujähriger Bub von einem Lkw erfasst und getötet worden.
Im November 2019 ist ein 13-Jähriger in Wien am Schulweg von einem Lastwagen erfasst und mehrere 100 Meter mitgeschleift worden. Im Mai desselben Jahres ist eine Neunjährige von einem Auto erfasst und verletzt worden. Und unweit jener Stelle, an der 2010 ein Achtjähriger am Schutzweg vor den Augen eines Schülerlotsen von einem Auto getötet wurde, wurde im März 2019 ein Siebenjähriger am Schulweg in Döbling verletzt. Aber auch ein Schülerlotse wurde bei einem Unfall verletzt, als er ein Kind davor bewahrte, auf dem Schutzweg von einem Auto niedergefahren zu werden.
Die Unfallzahlen sind generell alarmierend. Seit 2012 kamen laut Statistik Austria 10 Schulkinder am Schulweg ums Leben. Vier davon alleine im Jahr 2019. Bemerkenswert auch die Entwicklung bei den Zahlen der schwer verletzten Kinder am Schulweg.
Immer mehr schwer verletzte Kinder
Dieser Wert ist nämlich in den letzten Jahren laut Statistik Austria kontinuierlich gestiegen – 2021 zogen sich 14 Prozent der verletzten Kinder bei Schulwegunfällen eine schwere Verletzung zu. 2018 lag dieser Wert noch bei 11 Prozent. Laut Statistik Austria wurden im Jahr 2021 insgesamt 365 Schülerinnen und Schüler im Alter von 6-15 Jahren am Schulweg bei Unfällen verletzt, 52 davon schwer – die Zahlen für die einzelnen Bundesländer mit einer genauen Analyse, in welchen Monaten die meisten Unfälle passiert sind, finden Sie in der Grafik - Ihr Bundesland einfach in der Grafik auswählen. Spoiler: Juni, September und Oktober sind am unfallträchtigsten.
Laut Statistik Austria kam im Jahr 2021 ein Kind im Alter von 15 Jahren bei einem Unfall mit dem Moped auf dem Weg zur Schule ums Leben.
Bemerkenswert sind auch die Zahlen, die die Verletzten nach Verkehrsmittel und Alter zeigen: Hier ist ein Ausreißer nach oben zu erkennen: Spitzenreiter ist mit großem Abstand das Moped bei den 15-Jährigen, und genau in dieser Kategorie gab es 2021 eben auch das einzige Todesopfer am Schulweg zu beklagen.
Diese Statistik spiegelt auch die Einschätzung von Verkehrspsychologen wieder: Wenn Kinder älter werden, sind sie eher bereit, Regeln zu missachten, was in der Folge auch zu mehr Unfällen führt. Die meisten Unfälle passieren den 15-Jährigen – und zwar doppelt so häufig, wie in der am zweitstärksten betroffenen Altersgruppe der Elfjährigen.
Noch ein beachtenswertes Detail bringt die Unfallstatistik deutlich zum Ausdruck: Auch am Schulweg ist der der Unfall eher männlich: Bei 61 Prozent der Unfälle waren im Jahr 2021 Buben betroffen. Auch hier gilt: je älter, desto mehr Unfälle.
Anerkannte Schulwegunfälle
Im Jahr 2021 hat die AUVA (Allgemeine Unfallversicherungsanstalt) 1.146 Schulwegunfälle anerkannt. Die meisten davon (280) sind dabei am Weg in die Volksschule passiert.
Dass die Zahlen so niedrig sind, liegt vor allem daran, dass durch das Corona-bedingte Distance-Learning viele Schulwege einfach ausgefallen sind. Und somit auch Unfälle. 2019 wurden noch 1.781 Schulwegunfälle mit vier Toten anerkannt (399 in den Volksschulen, darunter ein totes Schulkind), 2018 waren es noch 1.953 Unfälle, allerdings ohne Todesopfer (501 Unfälle davon in den Volksschulen).
Mehr Unfälle in der Freizeit als am Schulweg
Im 3-Jahreszeitraum 2019 bis 2021 wurden insgesamt 5.848 Kinder im Alter von sechs bis vierzehn Jahren bei Verkehrsunfällen in Österreich verletzt, davon 951 am Schulweg, wie eine aktuelle Analyse des VCÖ – Verein Mobilität mit Zukunft – auf Basis von Daten der Statistik Austria zeigt. Damit verunglückten in der Freizeit sechsmal so viele Kinder wie am Schulweg. In den vergangenen beiden Corona-Jahren mit einer hohen Anzahl an Homeschooling-Tagen war der Anteil der Schulwegunfälle natürlich nochmals niedriger. In diesen beiden Jahren wurden siebenmal so viele 6- bis 14-Jährige in der Freizeit Opfer eines Verkehrsunfalls wie am Schulweg. Im Jahr 2019 waren es fünfmal so viele, informiert die Mobilitätsorganisation VCÖ.
„Die Verkehrssicherheit am Schulweg ist höher. Schülerlotsen und Exekutive sichern Übergänge, Autofahrer sind aufmerksamer und vor vielen Schulen wurden in den vergangenen Jahren Verkehrssicherheitsmaßnahmen umgesetzt. Der Schulweg ist für Kinder die Chance, in einem gesicherten Umfeld Kompetenz im richtigen Verhalten im Straßenverkehr zu erlangen", erklärt VCÖ-Expertin Lina Mosshammer, „werden Kinder mit dem Auto zur Schule chauffiert, wird ihnen diese Chance genommen.“
Schulweg üben
Verkehrspsychologen, Polizei und Autofahrer- und Mobilitätsclubs sind sich in einem Punkt einig: Es ist ganz wichtig, mit den Kindern den Schulweg zu üben. Und zwar nicht nur mit den Taferlklasslern, sondern mit allen Schulkindern, bestenfalls bis zum 12. Lebensjahr.
Warum, erklärt der Verein Mobilität mit Zukunft (VCÖ): „Kinder können erst ab etwa dem 9. Lebensjahr Entfernungen richtig abschätzen, das Abschätzen von Geschwindigkeit ist erst danach möglich. Das Sichtfeld ist erst ab dem 12. Lebensjahr voll entwickelt, deshalb kann das seitliche Herannahen von Autos bis dahin nur begrenzt wahrgenommen werden.“ Auch die Blickfelder von Kindern unterscheiden sich eklatant von jenen Erwachsener.
Dabei sei es, so der ARBÖ, wichtig, den sichersten Schulweg gemeinsam mit den Kindern erarbeiten: „Als sicherster Weg gilt jener mit wenig Verkehr und den wenigsten Straßenüberquerungen. Das bedeutet auch, dass der sicherste Weg nicht automatisch der kürzeste Weg ist.“
Kinder im Straßenverkehr oft überfordert
Außerdem zeigen die Aufzeichnungen des ÖAMTC, dass gerade junge Menschen unabhängig vom genauen Alter überfordert sind, auf mehrere Dinge zu achten – sie widmen ihre Aufmerksamkeit verstärkt stets nur einem Objekt. "Wenn Kinder eine Fahrbahn überqueren müssen, sind sie gestresst. Sie blicken wenig umher, hasten drüber, wollen die Querung rasch hinter sich bringen und erhöhen somit die Stolpergefahr", sagt ÖAMTC-Psychologin Marion Seidenberger. Verstärkt werde die Überforderung durch eine laute Geräuschkulisse – die Konzentration auf gezielte Blickbewegungen falle dann noch schwerer.
Bettina Schützhofer von sicherunterwegs.at - Verkehrspsychologische erklärt dazu im KURIER-Interview, wie Kinder wirklich ticken, worauf man beim Schulweg achten muss und ab wann sich Kinder alleine sicher auf den Schulweg machen können.
Der VCÖ - Verein Mobilität mit Zukunft hat eine Checklist erarbeitet, anhand derer der Schulweg analysiert werden kann:
- Wie viele Straßen muss das Kind auf diesem Schulweg überqueren?
- Welche Straßenübergänge mit Schutzwegen sind zusätzlich durch Ampel oder Schülerlotsen gesichert?
- Welche Kreuzungen am Schulweg sind für das Kind unübersichtlich?
- Wo gibt es einen von der Fahrbahn getrennten Geh- beziehungsweise Radweg?
- Auf welchen Abschnitten des Schulweges ist viel Autoverkehr ein Problem? Wo hohes Tempo des Autoverkehrs?
Für Kinder, die mit dem Rad fahren, gilt zusätzlich, das Fahrrad regelmäßig einem Sicherheitscheck zu unterziehen (Licht, Bremsen, Sattelhöhe, Luft in den Rädern)
Wie kommen die Kinder in die Schule?
Laut einer Erhebung des ÖAMTC bewältigen 56,2 Prozent der Schülerinnen und Schüler zumindest einen Teil des Schulwegs zu Fuß. Knapp ein Drittel wird mit dem Auto gebracht – wobei es dabei ein ausgeprägtes Stadt-Land-Gefälle gibt.
So beträgt der Prozentanteil der im Auto zur Schule gebrachten Kinder auf dem Land und in Kleinstädten rund 35 Prozent, in Wien nur 24 Prozent. Und genau umgekehrt verhält es sich bei den Öffentlichen Verkehrsmittel Während auf dem Land nur knapp 12 Prozent mit den Öffis den Schulweg bestreiten, sind das in Wien gleich 33 Prozent. In den Städten insgesamt 20, in kleinen Städten nur 13 Prozent.
Für Wien gibt es eine Befragung der Mobilitätsagentur aus dem Jahr 2019: Diese zeigt, dass sich die gewählte Fortbewegungsart, um zur Schule zu kommen, mit dem Alter stark verändert.
Was Studien noch ergeben haben: Wer mit dem Rad zur Schule kommt, ist im Vorteil. Denn laut Radlobby zeigen Studien, dass Bewegung die Konzentrationsfähigkeit stark stärkt: „Kinder, die mit dem Fahrrad in die Schule fahren, sind aufnahmefähiger und schaffen es, sich länger zu konzentrieren,“ betont die Medizinerin Denise Pajank von Uniqa.
Und Bettina Schützhofer von „sicherunterwegs“ erläutert, dass sich das Ablegen der Radfahrprüfung noch lange positiv auswirkt: „Unsere Erhebungen zeigen, dass Kinder, die mit zehn Jahren die Radfahrprüfung abgelegt haben, sich mit 18 Jahren immer noch besser im Verkehr zurecht finden, als ihre Altersgenossen ohne Radfahrprüfung. Sie sind schneller im Wahrnehmen von Gefahren und haben dadurch einen Sicherheitspuffer.“
Mehr Sicherheit an den Kreuzungen
In Wien gibt es außerdem den Schwerpunkt „Kreuzungssicherheit“, mit einem Schwerpunkt auf Kreuzungen, die auf Schulwegen liegen. Bis 2022 wurden viele der entsprechenden Kreuzungen im Umfeld von 247 Volksschulen geprüft und Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit entwickelt. „Diese Maßnahmen werden auch laufend umgesetzt“, versichert Kathrin Ivancsits von der Mobilitätsagentur Wien.
Die Rotumrandung von Schutzwegen ist eine weitere Maßnahme, die zur Steigerung der Verkehrssicherheit von Schülerinnen beitragen soll. Sie dient dazu, solche Schutzwege besonders zu kennzeichnen, die sich auf ausgewiesenen Schulwegen befinden. Das geht übrigens nur, wenn eine Kreuzung nicht mit einer Ampel geregelt ist. Die Signalwirkung dieser Rotumrandung soll die Aufmerksamkeit der Autofahrer auf die Schülerinnen, die sich auf dem Schulweg befinden, erhöhen.
Polizei verschärft Kontrollen
Für Wien hat die Polizei übrigens auch angekündigt, dass in den ersten Wochen und Monaten des neuen Schuljahres die Einhaltung der Tempolimits im Schulumfeld verstärkt kontrolliert wird. Durchschnittlich 3.800 Schulpflichtige im Alter zwischen sechs und 15 Jahren verunglücken Jahr für Jahr auf Österreich Straßen, rund 470 davon auf dem Weg zur oder von der Schule – das entspricht rund 22 Schulklassen jährlich, so die Wiener Polizei in einer Aussendung. Überhöhte Geschwindigkeit ist dabei ein großer Risikofaktor für Schulwegunfälle.
Die Verkehrsunfallstatistik zeigt, dass nicht angepasste Geschwindigkeit unter den Top Fünf der Hauptunfallursachen liegt. Knapp vier von zehn Kfz-Lenkenden (38,4 Prozent) überschreiten innerorts das 50 km/h-Limit und drei von vier Lenkenden (75,5 Prozent) ignorieren Tempo 30-Zonen.
Das Kuratorium für Verkehrssicherheit begleitet diese Maßnahmen durch die Kampagne „Wahre Held*innen fahren langsam“. Die vom KFV lancierte Kampagne soll Lenkende daran erinnern, im Schulumfeld noch mehr als sonst auf das Tempo zu achten und aufmerksam und bremsbereit zu fahren.
Auch das ist ein Baustein in der Fülle der Maßnahmen, die dazu führen sollen, dass Anna und Lukas – unsere zwei Taferlklassler – sicher in die Schule und wieder nach Hause kommen.
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