KURIER: Herr Landeshauptmann, derzeit werden Möglichkeiten ausgelotet, um deutsche Urlauber im Sommer nach Österreich zu lotsen. Stellt sich aber nicht die Frage, ob dieser wichtigsten Touristengruppe aufgrund von Ischgl nicht ohnehin die Lust auf Tirol-Urlaub vergangen ist?
Günther Platter: Es ist festzustellen, dass die Stimmungslage rund um die Ischgl-Ereignisse nicht positiv ist. Man spürt ein massives Interesse daran, mit Ischgl einen Schuldigen zu haben. Und so ist es ja nicht. Mir wird von Touristikern berichtet, dass die deutschen Gäste bei uns buchen wollen. Die Frage ist, wann die Grenzen öffnen. Und da steht in erster Linie die Gesundheit im Vordergrund. Die gesundheitliche Lage in Deutschland, der Schweiz und Österreich muss genau analysiert werden. Wenn das positiv bewertet wird, glaube ich schon, dass die österreichischen und deutschen Gäste wieder in Tirol Urlaub machen wollen.
Es gibt den Vorwurf, dass das Geschäft über die Gesundheit von Gästen und Mitarbeitern gestellt wurde. Hätte Ischgl rückblickend nicht sofort unter Quarantäne gestellt werden müssen, nachdem die ganze Servicecrew im „Kitzloch“ positiv getestet wurde?
Man kann im Rückblick immer Entscheidungen infrage stellen. Das ist relativ einfach. Aber man muss sich immer wieder anschauen, was die Grundlagen der Behörde damals waren. Schließlich gab es erst am 7. März den ersten Infizierten in Ischgl. Ab da wurden Tag für Tag Entscheidungen getroffen. Das Gravierendste, wo ich mich persönlich eingebracht habe, war die Entscheidung, die Wintersaison noch in derselben Woche zu beenden.
Denn sonst wären mit dem Urlauberschichtwechsel 150.000 neue Gäste nach Tirol gekommen. Diese Entscheidung war schwierig, weil auf einen Schlag zwei bis drei Milliarden Euro auf der Strecke geblieben sind. Mir war aber klar, dass die Gesundheit der Tiroler und der Gäste im Vordergrund steht und nicht die wirtschaftliche Überlegung.
Die Landessanitätsdirektion hat nach dem ersten Fall zunächst noch erklärt, dass die „Übertragung des Coronavirus auf Gäste der Bar aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich“ ist. Wie erklären Sie Betroffenen so eine fatale Fehleinschätzung – und wird es dafür eine Entschuldigung geben?
Es war selbst den Virologen und den Medizinern damals nicht so eindeutig klar, was sich bei solchen Menschenansammlungen tut. Menschenansammlungen wie in Fußballstadien, bei Karnevalsveranstaltungen in Deutschland, bei Gottesdiensten in Frankreich und natürlich in Bars. Dass dort eine so aggressive Ansteckungsgefahr war, hat man erst im Nachhinein feststellen können. Natürlich muss man mit dem Wissen von heute die eine oder andere Entscheidung hinterfragen. Deshalb ist es wichtig, dass es eine tief greifende Analyse gibt. Das gilt aber nicht nur für Tirol. Denn das Virus wurde nicht in Tirol oder Ischgl geboren.
Ihr Kollege Hans Peter Doskozil hat – auch mit Blick auf Tirol – gemeint, dass der Bund zu spät Vorgaben an die Länder gemacht hat …
Der Tiroler Einsatzstab war bei jeder Entscheidung in engstem Kontakt mit dem Gesundheitsministerium. Es gab täglich Telefonkonferenzen. Es handelte sich nicht um einsame Entscheidungen der Tiroler Behörden.
Die Lage im Tiroler Tourismus, über den direkt und indirekt ein Viertel der Wertschöpfung im Land generiert wird, sieht düster aus. Wie viele Betriebe werden die Krise Ihrer Ansicht nach nicht überstehen?
In Tirol ist der Tourismus besonders gebeutelt, weil wir auch die stärkste Tourismusdestination sind. Deshalb bemühen wir uns jetzt, Maßnahmen zu setzen. Das wird ein laufender Prozess sein. Was mir Sorge bereitet, ist, dass wir mit einer zweiten Welle konfrontiert werden. Wir müssen uns gut auf den Winter vorbereiten. Man darf jetzt nicht blauäugig meinen, es ist alles erledigt, und die touristische Entwicklung wird so wie letztes Jahr sein.
Die Österreichische Hoteliervereinigung geht davon aus, dass jeder vierte Beherbergungsbetrieb heuer zusperren muss. Glauben Sie nicht auch, dass es manche nicht schaffen werden?
Die Gefahr besteht. Da geht es um die Liquidität. Ich bin mit den führenden Banken in Verbindung, damit man hier Modelle erarbeitet. Dass diese gesamte Krise an allen spurlos vorbeigeht, davon ist nicht auszugehen.
Besteht die Gefahr, dass Pleitebetriebe von ausländischen Investoren aufgekauft werden – und wie wollen Sie gegensteuern?
Das beschäftigt mich sehr, da wir ja jetzt schon mit solchen Entwicklungen da oder dort konfrontiert sind. Deshalb arbeiten wir derzeit mit der Tourismusbranche an Abfederungsmaßnahmen. Denn wenn ein Hotel nicht mehr weiterbetrieben werden kann oder ein Verkauf ansteht, dann ist es nicht der Tiroler Weg, dass hier Oligarchen über Umwege zu Kapital kommen.
Ist die Sommersaison noch zu retten – oder hoffen Sie, dass der Tourismus zumindest im kommenden Winter wieder in Fahrt kommt?
Ich habe die Sommersaison noch nicht abgeschrieben. Diese hängt aber von der Grenzöffnung ab. Vor allem die Stammgäste zeigen Interesse, wieder zu kommen. Tirol hat mit Ischgl Pech gehabt, denn das hätte auch in jedem anderen Skiort passieren können. Aber die Gäste wissen, dass die Corona-Krise eine weltweite Pandemie ist. Mir geht es darum, Signale zu senden, dass wir noch mehr auf Qualität und Wertschöpfung gehen. Es braucht schon Adaptierungen.
Kritik gab es ja schon vor Corona – Stichwort Verkehrsbelastung, Kunstschneebänder im Herbst oder neue Pisten in unberührter Gletscherlandschaft. Muss sich die Branche in Tirol mit Blick Richtung Zukunft nicht generell hinterfragen?
Ein generelles Hinterfragen wäre falsch. Der Tiroler Weg ist schließlich eine absolute Erfolgsgeschichte. Aber wir haben auch Fehlentwicklungen, unabhängig von Corona. Man wird sich da oder dort zurücknehmen müssen, wo man teilweise einfach mit Gewalt eine Weiterentwicklung haben wollte. Auch die Mobilität im Tourismus wird sich deutlich ändern müssen.
Und wie lange wird uns diese aktuelle Krise begleiten?
Sie wird sich deutlich ins Jahr 2021 ziehen. Wir müssen jetzt insbesondere auf die sozial Schwachen schauen.
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