Jedem Mieter sein Kraftwerk: Die Stadt als Solarstromquelle
Jeder, der schon einmal mit dem Flugzeug in einer größeren Stadt gelandet ist, kennt den Blick. Von oben sieht der urbane Raum meist wie eine einzige große Dachlandschaft aus – nur von grünen Einsprengseln und Straßenzügen durchbrochen. Auf diesen Flächen schlummert ein kaum genutztes Potenzial. Doch das wird sich in den kommenden Jahren ändern.
Eine Wohnanlage im Innsbrucker Stadtteil Reichenau bietet einen Vorgeschmack auf das, was möglich ist. Seit Anfang des Jahres kommt der Strom in den Steckdosen der Geschäftslokale im Erdgeschoß und in 38 Mietwohnungen des Häuserblocks zum Teil aus einer Fotovoltaikanlage vom eigenen Dach. Die 133 Solarmodule können auf einer Fläche von 223 Quadratmetern bis zu 20 Prozent des Strombedarfs der Teilnehmer abdecken.
Der städtische Stromanbieter IKB hat die Kosten von 40.000 Euro finanziert, die Anlage gebaut und betreibt sie. „Bevor es wer anderer macht, machen wir es“, nennt IKB-Vorstandschef Helmuth Müller einen der Gründe für das Engagement. Das lässt erahnen, dass sich in diesem Geschäftsfeld, das der Nationalrat vergangenen Herbst durch eine Gesetzesnovelle eröffnete, ein Konkurrenzkampf der Stromanbieter anbahnt. Zwar konnten schon bisher Solaranlagen auf Mehrparteienhäusern errichtet werden – der Strom durfte aber nur für Allgemeinflächen wie Garagen genutzt werden. Die Kleine Ökostromnovelle erlaubt es jetzt, den Strom vom Dach direkt an Wohnungen im Haus zu verteilen.
Vorreiter
Das Innsbrucker Pilotprojekt ist das erste seiner Art in Tirol und eines der ersten in ganz Österreich. Um den Testlauf zu ermöglichen, haben sich IKB und die gemeinnützige Neue Heimat Tirol (NHT) zusammengetan. Der größte Wohnbauträger des Bundeslandes hätte das Projekt alleine auch gar nicht umsetzen können. „Als Bauträger dürfen wir nicht mit Strom handeln“, sagt dazu NHT-Geschäftsführer Markus Pollo.
Als Handel gilt sowohl die Verteilung des Stroms auf die Teilnehmer im Wohnblock als auch das Einspeisen überschüssiger Energie ins Stromnetz. Für die Mieter ist der nun gewonnene Ökostrom um ein Fünftel günstiger als der Netzstrom.
Auf lange Sicht könnten sich Städte zu ihren eigenen Solarkraftwerken entwickeln – auch wenn es dafür noch einige Hürden gibt. Ungenützte Ressourcen sind reichlich vorhanden: „Allein auf unseren Bestandsgebäuden in Innsbruck steht eine potenzielle Fläche von mehreren Tausend Quadratmetern zur Verfügung“, sagt Pollo.
Auch andere österreichische Städte haben die Möglichkeiten zur Sonnenstrom-Produktion noch lange nicht ausgeschöpft. Die Wien Energie schätzt, dass sich rund 6800 Mehrfamilienhäuser in ihrem Zuständigkeitsbereich eignen würden. Der Energieversorger will im Mai konkrete Projekte vorstellen. Die oberösterreichische Energie AG verzeichnet derzeit erste Anfragen für Fotovoltaikanlagen auf Wohnblöcken und rechnet damit, im Lauf des Jahres erste Projekte umzusetzen. In Dornbirn soll bereits im Mai eine Gemeinschaftsanlage für 23 Parteien ans Netz gehen. Die Energie Graz hat in den Stadtteilen Gries und Geidorf je ein Wohnblock-Kraftwerk am Start. „In wenigen Jahren wird jeder Neubau mit einer derartigen Anlage ausgestattet sein“, glaubt ein Sprecher. Urbanen Solar-Kraftwerken stehe nichts im Wege – außer in der Innerstadt der Denkmalschutz, räumt er ein.
Solarziegel
Wiener Bezirkspolitiker haben auch dafür eine Lösung entdeckt: Spezielle denkmalzertifizierte Dachziegel mit integrierten Solarzellen. „Irgendeinmal gilt es auch Taten zu setzen und nicht nur über Klimaschutz zu reden“, sagt Karl Newole von „Wir im Ersten“. Im März beschloss das Bezirksparlament der Inneren Stadt auf Initiative seiner Liste, die Ausarbeitung einer Solarstrategie für öffentliche und gemeindeeigene Gebäude voranzutreiben. Experten prüfen das Vorhaben nun. Newole: „Es wäre sensationell, wenn das im Herzen einer mitteleuropäischen Großstadt umgesetzt werden kann und damit Beispiel für andere Städte und Regionen wird.“
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