Verkehrscoaching: Nachsitzen nach dem (Drogen-)Rausch
Als sich Walter Seligo nach vorne lehnt, um seine Präsentation zu starten, baumelt vor seiner Brust ein Autoschlüssel. Der pensionierte Unfallchirurg hat ihn an einem Schlüsselband um seinen Hals hängen – vielleicht ein Zeichen für seine Zuhörer. Sie alle mussten ihren Führerschein abgeben und wollen ihn zurück. Dazu haben sich die insgesamt sieben Teilnehmer am Freitagabend im düsteren, leicht in die Jahre gekommenen Schulungsraum der Johanniter in Wien-Währing eingefunden.
In Österreich gibt es 40.000 Menschen mit einem Drogenproblem. Viele Unfälle gehen darauf zurück.
Wer unter Drogeneinfluss oder mit einer Alkoholisierung zwischen 0,8 und 1,19 Promille am Steuer erwischt wird, der muss zu einem Verkehrscoaching. Dabei handelt es sich um eine Art Vorstufe der umfangreicheren und teureren Nachschulung. Zwei Stunden werden beim Verkehrscoaching die Gefahren des Lenkens eines Fahrzeugs unter Alkohol- oder Suchtmitteleinfluss thematisiert. Danach gibt es noch eine zweistündige Gruppensitzung mit dem Psychologen.
Evaluierung angekündigt
Den Anfang aber macht Seligo. Gleich zu Beginn projiziert der Arzt Zahlen an die Wand. 369 zum Beispiel. So viele Tote gab es in Österreich 2022 bei Verkehrsunfällen. "350.000 Alkoholiker gibt es in Österreich, dazu kommen 40.000 Menschen mit Drogenproblem. Viele Unfälle gehen auf diese Gruppe zurück", sagt der Mediziner, um seinem Publikum eine Reaktion zu entlocken.
Ob das hilft, Autolenker davon abzuhalten, noch einmal berauscht zu fahren, können jene vier Rettungsorganisationen, die diese Kurse veranstalten, nicht beantworten. Denn bis heute gibt es keine unabhängige Untersuchung, ob diese Coachings Sinn haben. Und wie sieht das zuständige Verkehrsministerium die Lage? Auf Anfrage des KURIER heißt es, dass die Coachings heuer – nach einem Jahrzehnt – erstmals evaluiert werden sollen.
Im Wiederholungsfall oder bei einer höheren Alkoholisierung geht es jedenfalls zur Nachschulung bei einem verkehrspsychologischen Institut. Verkehrspsychologen wie Gregor Bartl kritisieren derartige Kurse allerdings seit Jahren. Sie kosten Hunderte Euro, ein Nutzen für die Lenker sei nicht nachweisbar.
Angeboten werden sie vor allem vom Roten Kreuz, wo sich die Teilnehmer innerhalb weniger Jahre auf zuletzt 6.500 fast verdoppelt haben. Der Arbeiter-Samariterbund hat sein Angebot im Vorjahr eingestellt, die Malteser bieten noch Coachings an. Einem Lokalaugenschein haben einzig die Johanniter zugestimmt.
"Willkommen bei den anonymen Alkoholikern", ruft dort ein lässig auf seinem Sessel wippender Teilnehmer um die 50. Die davor recht gelangweilten Anwesenden grinsen jetzt zumindest.
"Cannabis-Freunde"
"Nach dem Lockdown beobachten wir einen starken Anstieg", erzählt der ehemalige Unfallchirurg, während er in seiner Präsentation zur nächsten Folie weitergeht. Diese zeigt ein komplett zerstörtes Auto. "In manchen Kursen habe ich zwölf Cannabis-Freunde sitzen. Das kann genauso gefährlich sein wie Alkohol oder andere Drogen", warnt er.
An diesem Abend hat Seligo sechs Alko-Lenker und eine Frau, die unter Amphetamin-Einfluss gefahren ist, vor sich. Eine andere Kursteilnehmerin ist vor allem daran interessiert, wie viel sie trinken kann, um noch Auto zu fahren.
Wenn sie noch einmal erwischt wird, muss sie zur Nachschulung. Die offiziellen Zahlen dazu für das Jahr 2022 gibt es erst im April, aber es dürften hochgerechnet rund 16.500 Lenker werden – der bisherige Rekordwert von 2013 könnte fallen.
Das hat einerseits damit zu tun, dass die Exekutive von Jahr zu Jahr besser bei der Jagd nach Drogenlenkern wird (plus 18 Prozent im Vorjahr), andererseits nehmen auch die Alkoholisierungen zu (plus 15 Prozent).
Im Keller der Johanniter erzählen die Kursteilnehmer inzwischen, warum sie da sind. Kurz vor 22 Uhr stellen sie sich wie am Zeugnistag auf, um sich ihre Teilnahmebestätigung abzuholen. Mit dieser in der Hand verlassen sie den Lehrsaal. Um 100 Euro ärmer, aber dem Führerschein um einen Schritt näher.
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