Anders als etwa bei den Ausschreitungen in Wien Favoriten vor knapp drei Jahren ortet Güngör in Linz keinen weltanschaulichen Hintergrund. Während er in Wien einen starken islamischen Antrieb erkannt hat, sei es bei den Krawallen in Linz viel mehr um „ein politisches Rebellieren, um ein Mist bauen, eine Suche nach der eigenen Identität“ gegangen.
Welche Delikte werden den Teilnehmern der Ausschreitungen vorgeworfen?
130 Personen werden wegen Verdachts der schweren gemeinschaftlichen Gewalt und Ordnungsstörung angezeigt. Neun von ihnen wurden kurzzeitig auch in Gewahrsam genommen. Für die bloße Teilnahme drohen zwei Jahre Haft, Anstachler und Eskalierer müssen mit drei Jahren Haft rechnen. Die Polizei geht, anders als beim abgefackelten Polizeiauto, wo der Rädelsführer einer Jugendbande im Februar zu 18 Monaten Haft, sechs davon bedingt, verurteilt wurde, von einer „losen Gruppe“ aus.
Diese Einschätzung teilt auch der Soziologe Güngör: „Diese Online-Flashmob-Mobilisierung wird noch zunehmen. Die Jugendgruppen sind dadurch auch gemischter, anders als bei den Jugendbanden früherer Jahre.“ Wichtig sei, jene zu identifizieren, die dann eskalieren. Güngör spricht in diesem Zusammenhang von einer „Ästhetisierung des Rebellischen in Filmen“, also dass das, was die Jugendlichen in Athena gesehen haben, als besonders schön, besonders heroisch, wahrgenommen werde: "Das machen wir mit den Helden von Filmen auch, nur belassen wir das im Film. Das machen die meisten Jugendlichen auch." In diesem Fall sei es dann in die Realität übertragen worden.
Was macht die Politik?
Sie ruft nach Sofortmaßnahmen, etwa einer Verschärfung des Asylrechts, Aberkennung von Asyl, Abschiebung etc. ÖVP-Landeshauptmann Stelzer kündigte an, den Landessicherheitsrat einzuberufen, um sich ein Bild der Sicherheitslage machen zu können, ÖVP-Innenminister Karner hat Landespolizeidirektor Andreas Pilsl und Stadtpolizeikommandant Karl Pogutter beauftragt, einen Sicherheitsgipfel mit dem Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) einzuberufen, Luger fordert mehr Polizei für Linz.
Güngör warnt in diesem Zusammenhang vor einem „Sofortismus“, es bedürfe einer ernsthaften Problemanalyse, der Vorfall müsse sehr differenziert betrachtet werden: „Ich verstehe die Empörung, empört sind aber nicht nur die Österreicher, sondern auch die Migranten. Das zeigt, dass unsere Gesellschaft diese Form der Gewalt ablehnt.“
Was lässt das Gesetz überhaupt zu?
Hier gibt es wesentliche Unterschiede zwischen Asylwerbern und Asylberechtigten. Bei Personen, die Asyl (und subsidiären Schutz) genießen, kann erst mit einem rechtskräftigen Urteil die Aberkennung des Aufenthaltstitels einhergehen, erklärt Asylrechtsexperte Wilfried Embacher. Aber auch da muss es eine Verurteilung wegen eines schweren Delikts geben. Bei den Vorkommnissen in Linz unwahrscheinlich: „Wenn Anführer identifiziert werden können, vielleicht. Aber nur wenn jemand dabei war und einen Böller geworfen hat, wird das nicht reichen.“
Bei Asylwerbern wird der Aufenthaltstitel sofort entzogen, das Verfahren kann beschleunigt werden. Allerdings greift weiterhin der Abschiebeschutz, jedenfalls bei Personen aus Afghanistan, Syrien, Somalia und der Ukraine. Die Personen könnten aber auch Leistungen aus der Grundversorgung verlieren – etwa, wenn sie in U-Haft kommen.
Lassen sich Vorfälle wie jene in Linz in Zukunft verhindern?
Schwer. Denn auf den sozialen Plattformen sind solche spontanen „Flashmob-Mobilisierungen“ immer möglich, die werden auch bleiben. Soziologe Kenan Güngör hält eines für ganz besonders notwendig: „Wir müssen auch auf sozialen Netzwerken wie Tiktok Jugendarbeit noch stärker aufbauen. Ein großer Teil der Lebenswelten dieser jungen Menschen findet in den sozialen Netzwerken statt. Dort müssen wir schauen, was sich tut und wem die jungen Menschen folgen. Diese Micro-Influencer müssen wir finden, um Dynamiken frühzeitig zu erkennen.“
Was ist Athena?
Via TikTok hatten sich Jugendliche zu Randalen verabredet und in Linz ein „Athena 2.0“ angekündigt – in Anspielung an einen Netflix-Film. „Athena“ ist ein französischer Thriller von Romain Gavras, Sohn des berühmten griechisch-französischen Regisseurs Constantin Costa-Gavras („Z“). Der Film feierte bei den Festspielen in Venedig Premiere und läuft seit September bei Netflix.
Im Mittelpunkt stehen drei Geschwister mit algerischen Wurzeln aus einem Pariser Vorort. Ihr Leben ändert sich schlagartig, als ihr jüngster Bruder Idir stirbt: Er soll von Polizisten zu Tode geprügelt worden sein. Daraufhin eskaliert die Lage in der Athena-Siedlung, es kommt zu Straßenschlachten zwischen der Polizei und jungen Männern.
Der Film besteht aus langen, hektischen Einstellungen und Szenen voller Waffengewalt, Rauch und Feuer. Netflix hat ihn ab 16 freigegeben.
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