Abschiebungen: Mordfall Leonie zeigt Schwächen bei Justizentscheidungen auf

Abschiebungen: Mordfall Leonie zeigt Schwächen bei Justizentscheidungen auf
Die Polizei geht mittlerweile von vier Tatverdächtigen aus, nach einem wird international gefahndet. Alle stammen aus Afghanistan.

Im Mordfall der 13-jährigen Leonie gehen die Ermittler mittlerweile von vier möglichen Tätern aus – das legen zumindest Zeugenaussagen nahe. Drei Verdächtige wurden bereits festgenommen, nach einem vierten wird international gefahndet. Bei allen Verdächtigen handelt es sich um Afghanen.

Eines zeigt der Fall deutlich: Die rechtlichen Möglichkeiten zur Abschiebung straffällig gewordener Asylwerber haben Lücken. Das macht vor allem die Akte des 23-jährigen Sahel S. deutlich, der als dritter Verdächtiger in dem Mordfall Mittwochabend in der U-Bahnstation Michelbeuern festgenommen wurde.

Der Afghane kam am 20. Oktober 2015 als Flüchtling nach Österreich und stellte einen Asylantrag. Es dauerte fast drei Jahre, bis das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) darüber entschied und diesen ablehnte. Während der Frist für eine freiwillige Ausreise legte er Beschwerde ein, weshalb der Fall zum Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ging. Zu der Verhandlung am 24. September 2019 erschien er erst gar nicht. Dafür sorgte Sahel S. in der Zeit für eine beachtliche Polizeiakte. Seit 2018 wurde er fünf Mal polizeilich angezeigt – wegen Drogenhandels, Körperverletzung, schwerer Nötigung und illegalen Waffenbesitzes.

Sexualdelikt

Wegen eines Sexualdelikts (geschlechtlicher Nötigung), Körperverletzung und anderer Delikte wurde er am 14. Mai 2020 am Landesgericht St. Pölten zu 24 Monaten Gefängnis verurteilt, sechs davon unbedingt. Weil er diese Zeit allerdings bereits in U-Haft abgesessen hatte, verließ er den Gerichtssaal als freier Mann.

Danach kommt es zu einem Katz-und-Maus-Spiel: Obwohl er wegen der Verurteilung von der Bewährungshilfe betreut werden muss, kann ihn das BVwG nicht ausfindig machen. Es gibt keinen bekannten Wohnsitz. Deshalb stellt das Gericht am 16. September 2020 das Verfahren ein, und damit tritt für den Afghanen ein zweijähriger Abschiebeschutz in Kraft. Es liegt die Vermutung nahe, dass das sperrige System bewusst ausgetrickst wurde. Denn nur fünf Tage später scheint die erste Wohnsitzmeldung des 23-Jährigen im Zentralen Melderegister in NÖ auf. Es folgen fünf weitere Adressen.

Laut belastenden Aussagen soll der 23-Jährige bei dem furchtbaren Martyrium an der 13-Jährigen in der Wohnung dabei gewesen sein. Ob er sich auch an ihr vergangen hat, sollen das Ermittlungsverfahren und vor allem DNA-Abgleiche klären. Die Ergebnisse dazu sind noch ausständig.

Ein Überblick über die anderen Verdächtigen:

Der zur Fahndung Ausgeschriebene: Dabei handelt es sich um einen 22-jährigen Mann, ebenfalls Afghane. Er soll mehrfach vorbestraft sein. Unter anderem wegen Drogendelikten. Auch wegen räuberischen Diebstahls stand er vor Gericht – es ging um einen Handyraub, den er gemeinsam mit dem 18-jährigen Wohnungsbesitzer begangen haben soll. Im Gegensatz zum 18-Jährigen wurde er aber freigesprochen. Nachdem 22-Jährigen wird nun in ganz Europa gefahndet.

Der Wohnungsbesitzer: Der 18-jährige Ibraulhaq A. kam 2015 allein von Kabul nach Österreich. Seither wurde er in diversen Einrichtungen betreut, zuletzt lebte er unter Aufsicht der Kinder- und Jugendhilfe in der Wohnung in Wien-Donaustadt (nahe des Fundortes der Leiche). Er machte in Österreich eine Kochlehre, galt bei Betreuern als äußerst integrationswillig. Zuletzt war er in der Gastronomie tätig. Gleichzeitig geriet er mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt. Er wurde zwei Mal wegen Suchtgiftdelikten verurteilt, einmal wegen räuberischen Diebstahls (eines Handys von einem Landsmann). Sein subsidiärer Schutzstatus wurde aberkannt.

Der Jüngste: Der 16-jährige Ali H. kam erst vor drei Monaten nach Österreich. Seine Mutter und seine Schwester holten ihn aus Afghanistan nach. Er soll die 13-jährige Leonie auch gekannt haben.

Eine entscheidende Rolle bei der Ausforschung des 18- und des 16-Jährigen soll laut ZIB2 ein 19-jähriger Syrer gespielt haben. Der Mann, der seit fünf Jahren in Österreich lebt, kannte demnach die beiden aus einer Asylunterkunft. Der 18-jährige Tatverdächtige habe ihn einen Tag nach dem Mord angerufen und alles gestanden. Den 16-Jährigen habe er unter dem Vorwand eines Drogenkaufs auf die Donauinsel gelockt, wo er festgenommen wurde. 

Runder Tisch nach Mord an 13-jähriger

Für schnellere Abschiebungen

Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) übte bei einem von ihr kurzfristig einberufenen runden Tisch am Donnerstag Kritik an der Justiz. Wäre schneller gehandelt worden, wäre einer der Verdächtigen wahrscheinlich zum Zeitpunkt der Tat schon abgeschoben gewesen, meinte Edtstadler. Ibraulhaq A. war sein Schutzstatus vom BFA zwar aberkannt worden, er hatte beim BvWG allerdings im November 2019 Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Solange das BvWG ein solches Verfahren nicht abgeschlossen hat, kann ein subsidiär Schutzberechtigter nicht abgeschoben werden – selbst wenn er ein Kapitalverbrechen begangen hat. Edtstadler warb dafür, diesen Umstand innerhalb der europäischen Rechtspraxis zu ändern. Gefordert sieht die Europaministerin auch die europäische Politik. Sie sprach sich für raschere Abschiebungen, weitere Rücknahmeabkommen und effektiveren Außengrenzenschutz aus.

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