Tirols VP-Chef Mattle: "Der Staat wird nicht alles abfedern können"
Am vergangenen Samstag wurde Anton Mattle als Nachfolger von Tirols Landeshauptmann Günther Platter mit 98,9 Prozent zum neuen Obmann der Tiroler Volkspartei gekürt. Am 25. September muss er Landtagswahlen schlagen und steckt sich das Ziel mit dem Überspringen der 30-Prozentmarke niedrig. 2018 erhielt die VP 44,3 Prozent.
Der Wahlkampf wird überschattet von Teuerung und Energiekrise. Für Mattle steht fest: "Der Staat wird nicht alles abfedern können". Von einem Strompreisdeckel hält er wenig. Ein Gespräch darüber und seine Ideen für die Lösung von Tiroler Dauerproblemen.
KURIER: Sie haben vor einigen Wochen zum Energiesparen gemeint: „Früher hat zum Winter auch ein Pullover gehört.“ Wie warm müssen sich die Österreicher angesichts dessen, was droht, anziehen?
Anton Mattle: Obwohl mir die Gasversorgung und die Preise ganz große Sorgen bereiten, bleibe ich ein realistischer Optimist. Von den 120.000 Haushalten in Tirol, die mit fossilen Brennstoffen beheizt werden, sind 100.000 mit Öl beheizt. Für die wird es mit Sicherheit warm sein. Und beim Gasnetz hängen Tirol und Vorarlberg am deutschen Gasnetz. Ich glaube, dass wir den Speicher in Haidach füllen können, sodass Industrie und Haushalte ausreichend Wärme haben.
Aber mit Blick auf die Wirtschaft ist Tirol keine Insel. Wie schwierig wird der Winter?
Es wird durchaus ein herausfordernder Winter. Wir müssen darauf schauen, dass wir jene Teile der Bevölkerung mit geringem Einkommen entlasten. Und jenen Teil der Bevölkerung, dem es gut geht, den bitte ich einfach um Solidarität. Alles wird der Staat nicht abfedern können. Aber wir schauen auf jene, die es dringend brauchen.
Ihre Parteifreundin Johanna Mikl-Leitner fordert bereits einen Strompreisdeckel. Eine vernünftige Variante?
Das Tolle ist, dass sie eine Diskussion angestoßen hat. Selber glaube ich, dass die Variante europäischer Gaseinkauf die wichtigere und bessere ist. Im Moment freuen sich die Gasverkäufer, wenn jeder europäische Nationalstaat bei denen aufkreuzt und jeder den Preis noch weiter hinauftreibt.
Deshalb ist für mich der gemeinsame Einkauf, um das Zocken der Verkäufer zu unterbinden, der wichtigere Weg. Und wenn, würde eher ein Gaspreisdeckel, als ein Strompreisdeckel greifen, weil ja der Strompreis mit dem Gaspreis direkt in Verbindung steht.
Ein Gaspreisdeckel würde außerdem der heimischen Wirtschaft helfen und somit letztlich den KonsumentInnen, weil zum Beispiel die Preise für Lebensmittel weniger stark steigen würden.
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr warnt vor Preisdeckeln, kann sich aber zum Gegensteuern Stromgutschriften vorstellen.
Wenn wir zu sehr in den Markt eingreifen, führt es überhaupt nicht zum notwendigen Energiesparen im Sinne des Klimaschutzes. Darum könnte ich mir eher vorstellen, einen Sockelbetrag, der bei einer Standardgröße verbraucht wird, zu unterstützen. Alles, was darüber hinausgeht, ist zu bezahlen.
Tut der Bund in Vorbereitung auf den Winter genug ?
Gelegentlich wird Österreich mit Deutschland verglichen. Ich glaube, die ganz großen Unterschiede liegen in der Kommunikation. In Deutschland werden Probleme oftmals etwas deutlicher angesprochen als bei uns. Aber natürlich hat Österreich auch einen Gasnotfallplan. Nur wird über das Thema noch zu wenig gesprochen.
Also bräuchte es klarere Wort von der Bundesregierung?
Ich versuche das und sage auch immer: Ich mache mir da ganz große Sorgen. Einfach wird die Geschichte nicht. Aber es nützt auch nichts, den Kopf in den Sand zu stecken.
Wie groß ist Ihre Sorge, dass der soziale Friede in der Republik gefährdet ist.
Das würde meiner Meinung nach dann der Fall sein, wenn wir wieder eine hohe Zahl an Arbeitslosen bekommen. Und das passiert dann, wenn die Industrie kein Gas mehr bekommt und nicht mehr produzieren kann. Sozialer Friede hängt auch mit Arbeiten und einer funktionierenden Wertschöpfungskette zusammen.
Apropos Stimmung. War sie in der Österreichischen und der Tiroler Volkspartei jemals schlechter?
Ich habe in den vergangenen Tagen sehr viele Sympathien erhalten, weiß aber auch, dass das oft Momentaufnahmen sind. In vielen Gesprächen stelle ich fest, dass die Menschen sich Sorgen über die allgemeine Situation machen – auch weil eine gewisse Politikverdrossenheit da ist.
Aber wenn wir keine Politik mehr haben, haben wir auch keine Demokratie mehr. Und Demokratie braucht ganz einfach Parteien und Meinungsvielfalt. Und dazu bekennt sich die Tiroler Volkspartei.
Die schlechten Imagewerte der ÖVP hängen stark mit den Nachwehen der Ära Kurz zusammen. Bräuchte es hier klare Worte der Distanzierung?
Wir haben in Tirol immer gesagt und das auch gelebt: Wir sind die Schwarzen. Und ich bin ganz klar ein Schwarzer, ein Bürgerlicher und ein Christlich-Sozialer.
Nach dem Tiroler VP-Landesparteitag vor einer Woche wurde vor allem über die verunglückte Metapher Karl Nehammers – Alkohol und Psychopharmaka – diskutiert.
Da stellt man wieder fest: Selbst wenn man im engsten Kreis ist, gehören Worte abgewogen. Das war ein Fehlgriff und es ist auch Schade, dass dieser Sager das ist, was von unserem Landesparteitag bleibt.
Ist Nehammer der richtige, um die Krise zu managen?
In Gesprächen mit ihm stelle ich fest, dass ihn Leistungsbereitschaft und Pragmatismus auszeichnen. Dass dieser Sager passiert ist, ist ein ganz unglücklicher Umstand.
Hat er in der ÖVP noch das Sagen oder übernimmt bereits Johanna Mikl-Leitner, die ja auch Landtagswahlen hat, die Regie?
Die Wahlen in Niederösterreich schicken naturgemäß ihre Vorzeichen. Aber diese Ansage von Johanna Mikl-Leitner war wichtig, weil deshalb eine Diskussion begonnen hat.
Tirol wählt noch vor NÖ. Spielen Sie im Kopf bereits Dreier-Koalitionen durch?
Jetzt im Moment setze ich all meine Energie dafür ein, dass wir ein bestmögliches Wahlergebnis erreichen. Ich gehe davon aus, dass wir schon ein Stück weit über die 30 Prozent kommen. Die Koalitionsfrage lasse ich noch ganz gerne offen, wobei ich schon sagen möchte: Politischer Stil ist für mich auch etwas Wichtiges.
Am Parteitag haben Sie die VP eine „Eigentümerpartei“ genannt. Was wollen sie aber gegen das unleistbare Wohnen in Tirol tun?
Ich glaube, dass nach dieser extrem hochpreisigen Zeit in den vergangenen zwei Jahren das wieder irgendwann ins Lot kommen wird. Das ist ja auch ein Stück weit angefeuert worden durch die immense Nachfrage, die auch durch Investitionspakete geschürt wurde. Außerdem sind die Preise für Baumaterialen gerade enorm hoch.
Aber heißt das, keine weiteren Eingriffe ins Eigentumsrecht mit Ihnen?
Das wird immer von der entsprechenden Situation abhängen. Es gibt übergeordnete Ziele: Das ist Wohnen für alle. Dass die Menschen ein Dach über dem Kopf haben, hat Priorität. Und es ist auszuloten, wie weit man da geht. Das ist aber immer ein Grenzgang.
Schwarz-Grün ist daran gescheitert, den Verkehr durch Tirol zu verringern. Wie wollen Sie es anlegen?
Transit an fixen Zahlen zu messen, ist ganz schwierig. Man hat aber schon Parameter, die zeigen, dass sich die Fahrverbote gelohnt haben. Es lohnt sich auch das Lkw-Dosiersystem. Die Schadstoffe sind zurückgegangen. Das ist etwas Wesentliches. Bayern bewegt sich jetzt ja auch beim Thema Korridormaut.
Wir werden noch 10 bis 15 Jahre brauchen, bis das alles mit der Bahn funktioniert. Bis dahin brauchen wir intelligente Verkehrsleitsysteme. Und die dürfen nicht in Kufstein beginnen und am Brenner aufhören. Die müssen von Nordbayern bis Trient gehen. Mit intelligenten Verkehrsleitsystemen kann man Staus verhindern. Und damit verhindern wir auch ein hohes Maß an Schadstoffausstoß. Außerdem ist die Infrastruktur ausgelastet, mehr geht nicht.
Zuvor müssen Sie aber erst Landeshauptmann werden. Wie viel Prozent werden sie bei der Landtagswahl brauchen, damit Sie intern nicht in Frage gestellt werden?
Ich bin nicht einer, der in schwierigen Situationen davonläuft. Und als ich mich dieser Aufgabe gestellt habe, war mir klar, dass es eine große Herausforderung wird.
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