Leben ohne Wirt: "Man könnte von Heimatlosigkeit sprechen"

„Das Kaffeehaus erspart uns die Wohnung“, hat Egon Erwin Kisch über das Kaffeehaus gesagt: Im Bild: der Bräunerhof, Thomas Bernhards zweites Wiener Wohnzimmer
Kultursoziologe Manfred Russo sagt, warum Gasthäuser und Cafés unersetzbare Orte sind

KURIER: „Das Kaffeehaus erspart uns die Wohnung“, hat Egon Erwin Kisch über diese Ur-Wiener Einrichtung gesagt. Jetzt bleibt uns nur die Wohnung. Was macht das mit uns?

Manfred Russo: Das Café ist ein merkwürdiger Zwischen-Ort, man kommt von irgendwo, bleibt eine Weile und geht dann wieder irgendwohin. Man ist allein, aber doch unter den Leuten. Es ist der Ort des Beobachters, der selbst beobachtet wird und der sich dessen auch bewusst ist. Und wenn Kisch und viele Wiener Literaten, allen voran Peter Altenberg, über das Café sprechen, so wissen sie genau, dass sie eigentlich mehr als ein Zuhause meinen, nämlich eine Kombination aus Bühne und Zuhause, die dem Menschen eine Entfaltungsmöglichkeit und Wahrnehmung seiner Persönlichkeit bietet. Wenn wir daheim sind, beobachten wir unsere Umwelt wenig, weil wir sie kennen, und wir werden selbst wenig beobachtet, weil wir bekannt sind. Vielleicht beobachtet uns noch unser Hund am meisten, weil er hinaus möchte und auf entsprechende Anzeichen des Aufbruchs wartet. Im Café werden wir noch auf menschliche Weise wahrgenommen, vielleicht auf eine Art, die wir uns wünschen.

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