Das Café Central, schrieb Alfred Polgar, sei eigentlich eine Weltanschauung und er fügte hinzu: Nämlich eine, deren innerster Inhalt es sei, die Welt nicht anzuschauen.
Ohne dem großen Literaten widersprechen zu wollen: Das trifft, wenn vielleicht nicht auf alle, doch auf viele Kaffeehäuser Wiens zu. So ähnlich formulierte es später ja auch Friedrich Torberg. Dass es gerade auf das Central kaum mehr zutrifft, weil dieses zum Touristen-Treff geworden ist, der es verunmöglicht, konsequent Innenschau zu betreiben, ist eine andere Geschichte (die dieser Tage pandemiebedingt ja wiederum auch nicht stimmt).
Das Kaffeehaus also. Wer aller in ihm saß und die Welt (nicht) betrachtete, war im Lauf des vergangenen Jahrhunderts Gegenstand unzähliger Traktate. Unter anderem Friedrich Torbergs noch immer gültiger Kaffeehaus-Huldigung „Kaffeehaus war überall“ (1961) – samt der Überlegung, dass Legenden in Wien besonders gut funktionieren.
Bereits Jahrzehnte vor Torberg hatten Kaffeehausliteraten von Alfred Polgar bis Anton Kuh oder Peter Altenberg über die Weltanschauung Kaffeehaus sinniert – letzterer beschrieb das Kaffeehaus als Refugium, in das man gehen könne, wenn man Menschen verachte, aber sie dennoch nicht missen wolle.
Artmann, Qualtinger, Bernhard
Nun hat der Brandstätter Verlag einen opulenten Band dazu herausgegeben, der so klassisch und partout nicht originell ist, dass es schon wieder eine Wohltat ist. Prächtigen historischen Fotos (samt Hawelka mit Artmann und Qualtinger sowie Bräunerhof mit Bernhard) und wunderbaren Grafiken der Wiener Werkstätten sind liebevoll ausgesuchte Textbeiträge beigestellt.
Darunter Persönlich-Analytisches wie Hans Weigels Text „Das Kaffeehaus als Wille und Vorstellung“: Weigel, Schriftsteller und Theaterkritiker, hatte das Café Raimund gegenüber dem Volkstheater zum Stammcafé erkoren; zu seiner „Raimund-Runde“ gehörten etwa Milo Dor, Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Friederike Mayröcker oder Marlen Haushofer. Das Wiener Café, schreibt er, sei seit eh und je nicht mehr das, was es einmal war, denn Wien kenne vier Vergangenheitsformen: „Die Mitvergangenheit, die Vergangenheit, die Vorvergangenheit und die Blütezeit.“
Erster Kaffeeausschank
Zur Legendenbildung passt Historisches wie Käthe Springer-Dissmanns „Geschichte des Wiener Kaffeehauses als Vielvölkereinrichtung“: War doch der erste Wiener Cafetier der armenische Handelsmann Theodat Diodato, der bereits 1685 in seinem Wohnhaus an der heutigen Rotenturmstraße 14 Kaffee ausschenkte.
Dem Kaffeegenuss kamen alsbald Billardspiel sowie Zeitungslektüre hinzu, die das Kaffeehaus zu „einer Keimzelle der öffentlichen Meinungsbildung“ machte. Das erste Kaffeehaus, das internationale Zeitungen anbot, war das bis 1866 bestehende Kramer’sche Kaffeehaus im Schlossgässchen (an der Stelle des heutigen Haas-Hauses), ein schummriges Gewölbe, in das selten Tageslicht drang.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich das Kaffeehaus zum noblen Etablissement, wie Markus Kristan in seiner Architektur-Betrachtung schreibt. Kristan widmet sich insbesondere dem Kaffeehaus-Interieur der Moderne: Adolf Loos im Café Capua, Josef Hoffmann im Grabencafé, Otto Prutscher im Heinrichhof. Alles längst nicht mehr vorhanden. Wunderbar dazu Trude Fleischmanns Fotografie des Architekten Loos und seines Freundes Altenberg mit dem liebenswürdig-ironischen Bildtext: „Zwei, die sich hinwegsetzten über alles, was bisher unrichtig war!“
Nostalgisch wird, wer Heimito von Doderers Ode an „Meine Caféhäuser“ liest, wo er über „die meditative Stille und das zweckfreie Vergehenlassen der Zeit“ sinniert. Und über „jene Leute, die zwischen den Weltkriegen im Café Herrenhof saßen und sich um die Weglassung eines Hilfszeitwortes oder die Setzung eines Kommas stritten: Sie haben weder den Ersten noch den Zweiten Weltkrieg herbeigeführt (...)“.
Apropos früher war alles besser: Bilder von Lieblingskellnern erfreuen – Herr Otto aus dem Korb – oder bringen Erinnerungen zurück: Der streng-gerechte Herr Walter aus dem Café Engländer ist leider schon in Pension.
Das Wiener Kaffeehaus
Herausgegeben von Christian Brandstätter. Verlag Brandstätter. 312 Seiten, 60 Euro.
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