KPÖ-Stadtchefin Kahr: "Wir haben nichts am Hut mit einem Stalin"

Grazer Bürgermeisterin trat in der ORF-Pressestunde gegen die Impfpflicht auf und forderte erneut Preisregulierung vor allem im Wohnungsbereich.

Noch kein Grazer Stadtoberhaupt hat es in die überregionale ORF-Pressestunde geschafft - bis jetzt:  Sonntagvormittag saß also Elke Kahr im TV-Studio in Wien, seit Mitte November Bürgermeisterin von Graz - die erste Frau überhaupt in diesem Amt in der steirischen Landeshauptstadt. Und das auch noch als Chefin einer Partei, die österreichweit so gar keine Rolle spielt und historisch belastet ist: Kahr ist bekanntlich - Kommunistin. Dass die KPÖ nun Graz regiert - wenn auch gemeinsam mit Grünen und SPÖ - war dann wohl auch ein Grund für die Einladung in das prestigeträchtige Format.

Standpunkt zu Tito

Kahr versicherte, dass "sich in Graz seit 30 Jahren niemand vor der KPÖ fürchtet" und merkte an, dass Fragen nach ihrer Ideologie "immer nur von Medienvertretern" gestellt würden. "Ich habe es schon hunderte Male gesagt: Wir haben nichts am Hut mit Nordkorea oder einem Stalin."  Ihr Bild vom Kommunismus sei ein "sozial gerechter Staat", beschrieb Kahr. "Gleichberechtigung, Menschenrechte, Chancengleichheit, Verteilungsgerechtigkeit. Jene, die sehr vermögend sind, sollen mehr besteuert werden, als die große Masse der Erwerbstätigen."

Dass sie das Jugoslawien unter Tito als "interressanten Weg" bezeichnet habe und in Graz "Jugo-Feste" veranstaltet werden, sehe sie nicht als Jugo-Nostalgie: "Wir haben uns gedacht, es wäre schön, einen Ort zu schaffen, an dem sich die Menschen treffen können, Bosnier, Mazedonier, Slowenen, Kroaten."

Gegen "Vorschlaghammer" Impfpflicht

Zur eben in Kraft getretenen Pflicht, sich gegen Corona impfen zu lassen, hat Kahr aber eine deutlich Haltung - sie ist dagegen. "Ich halte es für falsch, eine Impfpflicht und eine Zwangsimpfung  zu verodnen. ich halte es nicht für richtig, dass jemand abgestraft wird, wenn er nicht geimpft ist." Vollziehen werde die Stadt die Bundesvorgaben freilich, auch wenn sie die Maßnahmen für fatal hielte. "Das ist weder administrierbar noch zu exekutieren."

Kahr - selbst dreifach geimpft - würde lieber auf Eigenverantwortung statt "auf den Vorschlaghammer" setzen: "Unter den Impfgegnern sind nicht nur Rechte und Verschwörungstheoretiker", glaubt Kahr. "Viele Menschen haben Ängste. Die kann man ihnen nehmen, wenn man mit ihnen redet und sie nicht in die Enge treibt." Beim Aus für kostenlose Corona-Tests blieb sie aber vage: "Das muss man sich anschauen."

 

KPÖ-Wahlsieg und Kahrs Selbstverständnis als Bürgermeisterin

Bei den Gemeinderatswahlen am 26. September 2021 verwies die KPÖ die bisherige Bürgermeisterpartei ÖVP auf den zweiten Platz und erzielte 28,8 Prozent der Wählerstimmen. ÖVP-Chef Siegfried Nagl trat nach 18 Jahren als Bürgermeister zurück. So plötzlich kam der Erfolg der Kommunisten freilich nicht, sie sitzen seit 1998 im Stadtsenat, schon seit 2012 ist die KPÖ im Grazer Rathaus zweitstärkste Fraktion: Mit ihrer Sozialpolitik und selbst auferlegten Einkommensgrenzen - Kahr behält sich von ihrer Bürgermeistergage nur 2.200 Euro netto monatlich - schlüpften die Kommunisten in die Rolle der Realsozialisten.

Überraschend war der Wahlsieg aber dann doch, gestand Kahr am Sonntag ein. "In dem Ausmaß schon." Sie entfernte die Designermöbel aus dem Bürgermeisterbüro und nahm jene eines Diskonters mit, die sie schon im Stadtratsbüro besaß. Ob sie da nicht ein falsches Politikverständnis zeige, immerhin sei sie keine "Sprechstundenpolitikerin und Sozialarbeiterin" mehr, wurde sie am Sonntag gefragt. "In erster Linie bin ich ein Mensch, der sozial denkt", konterte die 60-Jährige. "Ich habe keine Spindoktoren und keine Strategen, die mir sagen, wie ich auf Journalistenfragen antworten soll. Ich bin so wie ich bin, ohne Kalkül."

Sideletter "nicht normal"

Postenschacher gebe es in der Grazer Regierung keine, versicherte Kahr. Angesprochen auf die im Bund und einigen Landesregierungen bekannt gewordenen, geheimen Sideletter: "Das ist nicht normal." Erneut forderte sie staatliche Preisregulierungen vor allem im Wohnbereich und im Energiesektor, aber auch bei gewissen Lebensmitteln. Fragen nach Enteignungen wie in Berlin wehrte Kahr ab: "Das würden Sie jetzt gerne hören, weil wir von der KPÖ sind." Doch eines sei klar: "Grund und  Boden" müsse gesichert werden. "Aber das sehen viele ÖVP-Bürgermeister auch so."

Kommentare