Kärnten sieht Licht – an beiden Enden des Tunnels
Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser gerät selten ins Schwärmen. Ausgerechnet ein Projekt, das Jörg Haider im Bund durchboxte, bildet die Grundlage für Kaisers Zukunftsvisionen für Kärnten: der Koralmtunnel.
Mit der neuen Hochgeschwindigkeitsverbindung wird es erstmals eine direkte Zugstrecke zwischen den nur 100 Kilometer Luftlinie voneinander entfernten Landeshauptstädten Graz und Klagenfurt geben. Die Fahrzeit wird schlanke 45 Minuten betragen – nur eine Viertelstunde länger, als in Wien die U4 von Hütteldorf nach Heiligenstadt braucht. „In dem Großraum werden 1,1 Millionen Menschen leben. Es entsteht hier die zweitgrößte Metropolregion Österreichs und die fünftgrößte im deutschsprachigen Raum“, sagt Kaiser.
Geografisch beengt
Tatsächlich braucht Kärnten diese Anbindung mehr als die Steiermark, denn es hat nur halb so viele Einwohner und ist traditionell strukturschwach. Die Hohen Tauern im Norden, Dead End Osttirol im Westen, das entvölkerte Kanaltal und ein Slowenien, das selbst erst auf die Beine kommen musste, im Süden: die geografische Lage zwang viele Kärntner zum Abwandern.
Allein in Wien leben so viele Kärntner, wie der achte Bezirk Einwohner hat. Sehr viele bleiben nach dem Studium auch in Graz hängen. Durch die Koralmbahn, so hofft die Kärntner Politik, würden aus Abwanderern Pendler werden: „Man kann am Vormittag in Graz eine Prüfung an der Uni machen, und am Nachmittag in Kärnten in den See hüpfen“, sagt ÖVP-Landesrat Sebastian Schuschnig bei einer Wahldiskussion vor Oberstufenschülern und wirbt vor den angehenden Studierenden für die Heimat.
Bildungsstandort
Durch die Koralmbahn wird sich das Bildungsangebot tatsächlich vergrößern. Kärntens technische Fachhochschulen sind bereits eng mit den steirischen Universitäten verbunden, und die Kooperation wird ständig ausgebaut: Aktuell arbeitet Kaiser daran, das Klinikum Klagenfurt zur Uni-Klinik der MedUni Graz aufzuwerten, um Jungärzte zu bekommen.
Denn eines hat sich geändert: Waren früher mangelnde Jobaussichten der Hauptgrund für Abwanderung, reißen sich Wirtschaft und öffentlicher Dienst inzwischen um die jungen Leute.
„Die Firmen heuern uns die Studierenden schon während des Studiums ab“, erzählt ein Fachhochschulmanager dem KURIER. Dennoch würden gar nicht selten Studierende den Hut drauf hauen und von Kärnten weggehen. „Weil sie sozial vereinsamen.“ Denn Kärnten hat noch nicht ganz auf dem Radar, dass es auch ein Bedürfnis nach modernem Leben und sozialem Austausch gibt.
Modernes Leben fehlt
Die Seen, auf deren Attraktivität die Politik sich verlässt, sind in neun von zwölf Monaten zu kalt zum Baden. Außerhalb dieser kurzen Saison ist Kärnten ziemlich fad. Es gibt keinen Partystrand wie in Wien am Donaukanal und wenig alternative Lokalszene. Die verödeten Ortskerne sind keine Plätze der Begegnung. Trotz der vielen Gewässer gibt es kein autofreies Gelände für Freizeitsport, wie die Wiener Donauinsel. Auch an coolen Kunstarealen, um verregnete Nachmittage zu verbringen, mangelt es. Das sind die Steirer mit Projekten wie der Murinsel schon weiter.
Während es bei der Freizeit-Infrastruktur hapert, laufen die wirtschaftlichen Vorbereitungen auf den neuen Großraum auf Hochtouren.
Wirtschaftlich aufgeholt
Generell hat Kärnten wirtschaftlich aufgeholt, insbesondere die Industrieproduktion floriert. Die Koralmbahn wird nun für einen Erweiterungsschub genutzt, die Technologieparks in Klagenfurt und Villach werden ausgebaut, im Lavanttal soll ein Dekarbonisierungsschwerpunkt hinzukommen.
Die Landesregierungen der Steiermark und Kärntens sowie die Wirtschaftskammern der beiden Bundesländer forcieren die Regionalentwicklung entlang der neuen Bahnstrecke mit vereinten Kräften. Wissenschafter des Joanneum Research haben eine Studie erstellt und Handlungsanleitungen für Politik und Verwaltung erarbeitet.
In der Studie heißt es, dass es seit der Eröffnung der Semmeringbahn 1845 kein Projekt mit vergleichbarem sozialökonomischen Effekt in Österreich mehr gab.
40 bis 50 Kilometer links und rechts entlang der Strecke seien höheres Wirtschaftswachstum und eine positive Bevölkerungsentwicklung zu erwarten.
Eine neue Situation
In dieser Zone werden Entscheidungsträger in den Gemeinden und Bezirken seit geraumer Zeit auf die neue Situation eingeschworen. Es gilt, den Zubringerverkehr zu organisieren, die Raumordnung auf die neue Situation auszurichten, Grundstücke anzukaufen und Verwaltungsreformen durchzuführen. „Wir müssen zum Beispiel die Bauordnungen harmonisieren, denn eine Treppe in der Steiermark schaut anders aus als eine in Kärnten“, sagt der Sprecher der Kärntner Wirtschaftskammer, Peter Schöndorfer.
Der Chef der Kärntner Betriebsansiedlungsgesellschaft, Markus Hornböck, drängt: „Langsam wird die Zeit knapp. Wir müssen vom Planen ins Tun kommen.“
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