Als Teenager zum IS gereist: Schicksalstag für Maria G.
Vor genau zehn Jahren schloss sich die Salzburgerin der Terrormiliz an. Seit Jahren kämpft sie darum, mit ihren Söhnen heimkehren zu dürfen. Am Freitag befasst sich das Gericht damit.
Maria G. hatte sich zurückgezogen. Die Familie bereitete gerade alles für eine Grillerei vor. Maria saß abseits auf einer Bank. "Alles ok", beruhigte sie ihre Mutter. "Ich fahre nach Salzburg in die Moschee und treffe ein paar Freundinnen."
Auf den Tag genau zehn Jahre ist das am Freitag, her. Zehn Jahre, in denen viel passiert ist. Mit 17 Jahren verließ Maria G. ihre Familie in Hallein, Salzburg, und schloss sich dem IS in Syrien an. Seither war sie mehrmals verheiratet. Sie hat zwei Buben auf die Welt gebracht - sie sind nun 6 und 8 Jahre alt. Seit Jahren versucht Maria mit ihren Kindern nach Österreich zurückzukommen. Fünf Jahre schon ist sie in einem kurdischen Gefangenenlager in Syrien untergebracht, aktuell in Al-Roj. Ihre Hilfeschreie, und auch die ihrer Familie, blieben bisher ungehört. Das Außenministerium würde zwar ihre Kinder nach Hause holen. Doch Maria wird das verwehrt.
Am Freitag befasst sich das Bundesverwaltungsgericht in Wien mit der Causa. Die wesentliche Frage: Muss Österreich Menschen wie Maria, die einst freiwillig ausgereist waren, nach Hause holen?
Bis 18 Uhr ist die Verhandlung angesetzt. Und es wird auch Maria zu Wort kommen. Nicht persönlich - auch eine Schaltung nach Syrien ist nicht möglich. Doch die mittlerweile 27-Jährige hat eine schriftliche Stellungnahme verfasst, die am Freitag vorgetragen werden soll.
Darin schreibt sie, dass es ihr größter Wunsch ist, mit den Kindern zurückzukehren und von vorne anzufangen.
Mit dem IS will sie nichts mehr zu tun haben. Sie meide auch den Kontakt zu anderen Frauen in dem Camp, weil sie sich mit der Ideologie nicht identifizieren könne.
Maria G. beschreibt aber auch die Zustände in dem Lager. Die Versorgung ist schlecht. Die Kinder sind teils unterernährt. Strom gibt es nicht. Und auch keine Schulbildung für ihre Söhne.
Wie es Maria G. aktuell geht, ist nicht ganz klar, wie Anwältin Doris Hawelka - sie vertritt die Familie - berichtet: "Wir sind extrem besorgt. Seit drei Wochen haben die Eltern keine Nachricht mehr erhalten." Sonst würde sich die Tochter zumindest alle zwei Wochen bei den Eltern melden.
Marias Eltern versuchen seit Jahren, alle Hebel in Bewegung zu setzen - der KURIER berichtete auch in seinem Podcast Dunkle Spuren über den Fall. Oft werden sie aber mit Vorverurteilungen konfrontiert, wie sie beschrieben. "Die Leute urteilen so schnell, ohne zu wissen, was wirklich passiert ist", sagt Marias Mutter.
Auch das Außenministerium ließ mehrfach durchklingen, dass Maria ja freiwillig ausgereist sei. Gleichzeitig würde man ihre beiden Söhne aber nach Österreich bringen. "Maria ist doch ihre einzige Bezugsperson", geben die Eltern zu bedenken. Zudem wurde argumentiert, dass eine Rückholung aus Sicherheitsgründen problematisch sei.
Gleichzeitig wurden aber bereits österreichische Kinder aus den Camps zurückgeholt. Darunter die beiden Kinder von Sabina S.. Die junge Wienerin war ebenfalls 2014 nach Syrien gereist. Die junge Frau dürfte dort gestorben sein. Ihre Söhne befinden sich seit 2019 bei ihrer Großmutter in Wien.
Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger hält die Erklärung des Außenministeriums für wenig nachvollziehbar. Schließlich schaffen es auch andere Länder, derartige Rückholungen zu organisieren. "Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass das Außenministerium der Republik Österreich unfähiger ist, so etwas zu organisieren als die Außenministerien Deutschlands, Dänemarks oder Frankreichs."
Schmidinger war selbst zwei Mal bei Maria G. und konnte mit ihr sprechen. Jedes Mal habe sie "deutlich ihren Rückkehrwunsch geäußert." Dass sie in Österreich mit einer Verurteilung wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation erwarten könnte, nimmt sie in Kauf. "Ihr Wunsch war es vor allem, den Kindern eine Zukunft in Österreich und einen Zugang zu Schulbildung zu ermöglichen."
Schmidinger hält es für fahrlässig, die Familie in dem Camp zu lassen. Zwar schotte sich Maria ab. Doch ihre beiden Buben würden in einer Umgebung (ehemaliger) Angehöriger des IS aufwachsen. "Es wäre damit auch in enormem Interesse Österreichs, dass diese Kinder nicht weiter in einem Lager in Syrien aufwachsen."
Im Gerichtssaal
Das Außenministerium beharrte auch am Freitag auf seiner Entscheidung: Eine für das Ministerium agierende Mitarbeiterin der österreichischen Finanzprokuratur - die Institution vertritt die Republik Österreich traditionell als Anwalt - wies auf die freiwillige Ausreise von G. trotz Reisewarnung hin. Über manche Details wollte sie dabei nur in Bezug auf einen fünfseitigen und nichtklassifizierten Bericht der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) sprechen, über den am Freitag zwei Mal nur unter der Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wurde.
Die Rückführung selbst sei keine Aufgabe des Ministeriums und bei einer möglichen Hilfeleistung sei die Sicherheit des Personals der Konsularbehörden zu berücksichtigen. Für Syrien bestehe jedoch weiterhin die höchste Reisewarnungsstufe 6. Trotz dieser Sicherheitsrisiken machte die Vertreterin der Finanzprokuratur aber deutlich, dass das Außenministerium versuchen könnte, bei einer Evakuierung der Kinder Hilfe zu leisten.
Trauma in der Jugend
Die Mutter von Maria G. am Freitag über die schwierige Kindheit von Maria, die als Zwölfjährige durch einen Unfall in einem Vergnügungspark schwer traumatisiert worden sei und anschließend jahrelang in psychologischer Betreuung gewesen sei.
Über eine Familientherapeutin habe G. einen Flüchtling aus Somalia kennengelernt, sei sie mit dem Islam in Kontakt gekommen und sei im Dezember 2013 konvertiert. Die Rede war auch von vereinzelten Moschee-Besuchen in Salzburg. Die Umstände im Zeltlager Roj beschrieben G.s Eltern als schwierig, insbesondere in Bezug auf die medizinische Versorgung sowie die Situation der zwei kleinen Söhne.
"Ein bisschen verzweifelt"
"Mein Eindruck von ihr war, dass sie sehr verschüchtert und ein bisschen verzweifelt gewirkt hat", beschrieb am Freitagabend der per Videokonferenz einvernommene Politikwissenschafter Thomas Schmidinger eine Begegnung mit Maria G. im Jahr 2022. Ihr Hauptaugenmerk sei auf die Kinder gerichtet gewesen. G. mache sich Sorgen, dass ihre Kinder im Camp verrohten und keine Schule besuchen könnten, und wolle nach Österreich zurückkommen.
Sie sei sich dabei bewusst, dass sie in ihrer Heimat ein Strafverfahren im Zusammenhang mit Vorwürfen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation erwartet. In Roj, das Schmidinger auch als "Internierungslager" bezeichnete, befänden sie und ihre Söhne sich in einem haftähnlichen Zustand, dessen Ende nicht absehbar sei. "Sie sitzt da lieber in Österreich in Haft und weiß, wann die Haft zu Ende ist", erklärte der auf die Region spezialisierte Experte.
Eine Rückführung von G. und ihren Kindern wäre relativ einfach, wenn es den politischen Willen dazu geben würde. "Die Person muss vom jeweiligen Außenministerium angefordert werden und von einer befugten Delegation dieses Staates entgegengenommen werden", erzählte Schmidinger. Die meisten europäischen Staaten hätten derartiges schon gemacht, auch würden die vor Ort präsente US-Truppen anbieten, die physische Rückführung für andere Staaten durchzuführen. In Bezug auf Maria G. und ihre Kinder bedürfte es dazu freilich eines offiziellen Ansuchens des österreichischen Außenministeriums.
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