Innsbruck: Neuer Stadtchef liebäugelt mit tirolweitem Antreten
Am Freitag wurde Johannes Anzengruber als Bürgermeister angelobt. Von der ÖVP abgespalten hat er seine von ihm gegründete und nach seinen Initialen benannten Liste „JA – Jetzt Innsbruck“ aus dem Stand auf Platz zwei (16,8 Prozent) geführt. Und in der dritten Bürgermeisterdirektwahl in der Geschichte der Landeshauptstadt das Duell gegen den bisherigen Stadtchef Georg Willi (Grüne) klar gewonnen.
Die kommenden sechs Jahre will der 44-Jährige die Stadt in einer Koalition mit Grünen und SPÖ regieren. Der ehemalige Almwirt denkt aber politisch bereits über Innsbruck hinaus und kann sich mehr vorstellen. Seine Ex-Partei ÖVP versucht offenkundig, sich mit Anzengruber wieder zu versöhnen.
Warum er "null Ambitionen" auf eine Rückkehr in seine alte politische Heimat hat, warum er ihr den Rücken gekehrt hat und wo er ein generelles Problem in der österreichischen Parteienlandschaft sieht, erklärt der neue Stadtchef im KURIER-Interview.
KURIER: ÖVP-Landeshauptmann Anton Mattle hat bei Ihrer Angelobung viel von „Handreichung“ und Aufeinanderzugehen gesprochen. Haben Sie das Gefühl, dass die ÖVP Sie wieder ins Boot holen will?
Johannes Anzengruber: Ich habe das Gefühl, dass es dem Landeshauptmann sehr Ernst ist in dieser Angelegenheit, da wir ja die Landeshauptstadt sind. Aber ich erwarte mir das auch, dass er mir die Hand reicht, dass wir aufeinander zugehen.
Das haben wir auch gemacht. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für die Stadt Innsbruck. Wir brauchen das Land sehr stark. Ich werde deshalb auch ganz klar sagen, was wir über den Finanzausgleich und die Zuweisungen brauchen. Und das fordern, was uns zusteht.
Aber versucht die ÖVP, der sie eine schwere Niederlage bereitet haben, Sie in die Partei zurückzuholen?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe diesbezüglich null Ambitionen. Für mich ist schön, wie wir diese Bürgerbewegung der Mitte mit meinem Team aufgebaut haben. Dass man die Sache voranstellt und zum Wohle der Stadt und der Bürger uneigennützig regiert.
Das kann man als unabhängiger, parteifreier Bürgermeister am besten. Unsere Aufgabe ist nicht, Parteipolitik, sondern Kommunalpolitik zu machen.
Auf Ihrer Liste sind viele dabei, wo teilweise sogar deren Familien über Generationen mit der ÖVP verbunden waren – wie bei Ihnen im Grunde auch. Woher kommt der Frust über die Volkspartei?
Das ist ja nicht Frust. Ich und meine Familie haben ganz klare Werte. Wir sind sehr bodenständig, Leute aus der Mitte, sind sehr unternehmerfreudig und haben vor allem auch eine sehr christlich-soziale Einstellung.
Aber die ÖVP hat vielleicht nicht mehr erkannt, um was es eigentlich geht im Leben: um die Menschen, das Miteinander, eine gute Gesellschaft und für die Leute da zu sein. Das habe ich nicht mehr gespürt, vor allem in der Stadt-ÖVP. Darum war das ein Befreiungsschlag, als man mich ausgeschlossen hat.
Aber die ÖVP hat zuletzt nicht nur in Innsbruck, sondern auch die Wahlen in Tirol und anderen Bundesländern und dort wiederum in anderen Städten – siehe Salzburg – verloren. Krankt es da an Grundsätzlichem in dieser Partei?
Ich war immer sehr kommunalpolitisch orientiert. Aber es sind jetzt EU-Wahlen und Nationalratswahlen. Und da haben es sicher alle Parteien nicht einfach. Ich bin nicht der, der sagt, dass er alles besser weiß.
Ich kann nur sagen: Alle Parteien müssen sich bei der Nase nehmen und wieder ihr Ohr bei den Menschen haben und hineinhören, was ihre wesentlichen Probleme sind, um den Alltag zu meistern. Meiner Ansicht nach hat man sich in vielen Parteien zu sehr nach innen konzentriert und die Menschen außen vergessen.
Es wird Zeit, dass man sich wieder öffnet und auf die Leute zugeht. Und das nicht nur bei Wahlen. Nur dann sieht die Gesellschaft in der Politik einen Halt.
Sie haben als Bürgermeister-Kandidat in der Stichwahl offenbar Wähler durch alle Schichten und auch jene der FPÖ ansprechen können. Jetzt koalieren sie mit zwei linken Parteien und der blaue Stadtrat bekommt keine Amtsführung. Glauben Sie, dass sich diese FPÖ-Wähler jetzt ge- oder enttäuscht fühlen?
Man spürt schon, dass sehr restriktive FPÖ-Wähler jetzt enttäuscht sind. Aber man muss immer realistisch und nicht populistisch sein. Mein Ziel war, als Unabhängiger, Parteifreier und Mann der Mitte die Leute direkt anzusprechen. Die haben uns das Vertrauen geschenkt.
Aber Sie haben im Wahlkampf in Bezug auf die FPÖ vieles offengelassen, immer gesagt, es geht darum, wer konstruktiv mitarbeitet.
Ich habe immer gesagt, dass wir alle einbinden und mir ist da durchaus vieles gelungen. Ich habe mit allen Sondierungsgespräche geführt. Wir haben uns – in Abstimmung mit meiner Fraktion – bei allen wesentlichen Ausschüssen geöffnet. So haben wir etwa der kleinsten Fraktion (ALI) die Leitung des Kontrollausschusses und Stimmrecht zugeteilt.
Oder der KPÖ, der das Wohnen wichtig ist, haben wir von meiner Fraktion einen Sitz mit Stimmrecht im Wohnungsausschuss gegeben.
Das Arbeitsprogramm Ihrer sogenannten „Sirtaki“-Koalition ist noch nicht bekannt ...
Das wird kein Arbeitsprogramm, sondern ein Zukunftsvertrag.
Aber Details werden erst präsentiert. Wird es in ihrem Bündnis koalitionsfreie Räume bzw. eine Dissenliste geben oder ist vereinbart, dass man sich – bei welcher Frage auch immer – nicht überstimmt?
Wir werden ganz klar so lange am Tisch sitzen, bis wir einen Weg finden, dass die Dinge passen. Ziel ist, dass wir uns alles ausreden. Ich bin überzeugt, dass wir das schaffen. Eine Dissenliste gibt es nicht.
Sie persönlich schleppen noch eine Altlast mit, weil Sie als Stadtrat von einem Unternehmer zur Verfügung gestellte Gutscheinkarten mit einem gewissen Wert verteilt haben und die WKStA deshalb wegen des Verdachts der Vorteilsnahme ermittelt. Würden Sie im Falle einer Anklage zurücktreten?
Ich finde es wichtig und gut, dass die WKStA sich das anschaut. Ich bin der Meinung, ich habe nichts Unrechtes getan. Da wird nichts herauskommen, wo ich strafrechtlich verurteilt werde.
Die Frage ist, was im Falle einer Anklage die Konsequenz wäre? Das ist im Stadtrecht klar verankert, dass ich im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung nicht mehr Bürgermeister sein könnte. Das ist also klar geregelt.
Sie haben mit Ihrer Liste einen großen Überraschungserfolg gefeiert. Wird es in Zukunft vielleicht auch „JA – Jetzt Tirol“ geben?
Ein paar haben mir schon geschrieben: JA – Jetzt Innsbruck, JA – Jetzt Tirol, JA – Jetzt Österreich. Jetzt bin ich Bürgermeister von Innsbruck. Und was die Zukunft bringt, werden wir sehen.
Aber ist für Sie denkbar, dass dieses Projekt irgendwann von Ihnen über Innsbruck hinaus getragen wird? Wie gesagt. JA – Jetzt Innsbruck, JA – Jetzt Tirol, JA – Jetzt Österreich. Das schließe ich nicht aus. Ich bin dazu da, einen guten Job zu machen. Und wenn man das macht, wird das auch entsprechend honoriert.
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